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»Ich könnte es sicher mehr würdigen, Herr, wenn meine Religion mir die Beteiligung erlaubte. So ist es aber ein spannendes Theaterstück.«

»So, ein Theaterstück! Dann pass er auf, ob dabei nicht echtes Blut fließt!«

»Das wird nicht ausbleiben, Majestät.«

»Ihr seid scheu wie der Heilige Hubertus, der Schutzpatron der Jäger, nach seiner Begegnung mit dem Hirsch, der in seinem Geweih ein leuchtendes Kruzifix trug und ihn aufforderte, sich zum Christentum zu bekehren! Wild muss gejagt werden! Es ist nicht nur ein Vergnügen, es ist eine edle Pflicht!«

»Ihr habt Recht, Majestät.«

»Man soll übrigens das Wild mit Edelsinn und Vornehmheit erlegen, nicht wahr, damit man gute Unterhaltung hat und mehr Tiere übrig bleiben. Meint Ihr nicht?«

»Das denke ich auch, Majestät. Oder man jagt überhaupt nicht.«

Der König sah ihn nachdenklich an. »Morgen in aller Frühe jagen wir das Schwarzwild. Wir brechen noch vor Sonnenaufgang auf. Und Ihr werdet in meiner Nähe reiten. Ich will, dass Ihr alles seht!«

»Ja, Majestät.«

»Und dabei erzählt Ihr mir von Eurem Schatz, verstanden?! Wenn die Jagd zu Ende ist, will ich alles wissen!«

Henri hatte verstanden. Die Worte des Königs klangen nicht nur wie eine Drohung, sie waren eine.

Gebratenes Flugwild und Wein stärkten die Jäger. Die Feuer flackerten noch eine Weile. Jeder prahlte mit seiner Beute. Bald kam das geblasene Signal zur Jagdruhe. Die einfachen Treiber schliefen auf dem Erdboden rund um die Feuer, die höher gestellten Teilnehmer verschwanden in ihren Zelten.

Henri schlief in dieser Nacht nicht. Im Zelt war es kalt. Von draußen kam das Schnauben der angepflockten Pferde, die das Blut des schon erlegten Wildes rochen. Hin und wieder ging er hinaus und wärmte sich am Feuer. Während er das Lager beobachtete, versäumte er nicht, den Eindruck eines gedankenverlorenen, stumm vor sich hin betenden Juden zu verbreiten. Aber seine Gedanken kreisten ausschließlich um den kommenden Tag.

Am Morgen brachen sie früh auf, das Schwarzwild musste zwischen Dämmerlicht und Frühsonne gejagt werden, es schätzte die Nacht und mied das helle Tageslicht.

Henri war doch noch eingedöst und nun mit einem Schlag hellwach. Er spürte sofort die Gefahr, die von diesem Tag ausging. Er versuchte, sich zu erinnern, welches Datum es war. Der 29. November des Jahres 1314, der Tag des Namenspatrons Andreas, er hatte ihn einmal mit einem befreundeten Tempelritter dieses Namens in Akkon gefeiert.

Ein guter Tag zum Töten, dachte Henri de Roslin. Jedenfalls werde ich ihn dazu machen.

Schneegeruch lag in der Luft, es war eiskalt. Aber es blieb trocken. Der Wald dampfte. Bodennebel stieg in weißen Schwaden auf, zerteilte sich aber schnell. Es würde ein klarer Tag werden.

Am Vorabend hatte ihm ein Jäger erzählt, das Schwarzwild sei klug, es mache es dem Jäger nicht so leicht wie Rehwild. Man musste lange nach ihm suchen und es zu treffen wissen. Dies war der Grund, warum auch der König daran teilnahm.

Es war ein Tag mit einer sich lang hinziehenden Morgendämmerung, das Licht wollte nicht kommen, und der Wind wechselte ständig. Auch das Morgenkonzert der Singvögel fiel aus. Henri erblickte die Gestalt des Königs auf seinem Ross. Er stand gegen die Helligkeit und gab einen imposanten Umriss ab.

Philipp vollführte eine Geste, als winke er ihm. In seiner Gestalt schienen sich in diesem Moment absolute und unbeirrbar ausgeübte Macht zu vereinen. Was hatte dieser Mann, der jetzt nur als Umriss wahrzunehmen war, nicht an Schuld auf sich geladen!

Der Wald war noch schlafruhig, nur in den Baumwipfeln ertönte ein sanftes Blätterrauschen. Als sie aufbrachen, war zwischen den Stämmen die Nacht endgültig zurückgetreten, und die Sandwege schluckten jeden Tritt der Reittiere.

Es ging in einem geschlossenen Waldstück mit einzelnen Kieferhalden um Wegbiegungen, dann mit Felsblöcken übersäte Anhöhen hinauf, an der hohen Flanke wichen die verfilzten Kieferndickungen Eichenwald und knorrigen, verwunschenen Hutebuchen.

Langsam formierte sich die Meute der Jäger und Treiber. Plötzlich schien der Wald lebendig zu werden. Es kam den Jägern so vor, als würde der Waldboden mit seinem Laub und feuchten Gras umgeackert.

Und dann sahen sie vor sich das Rudel.

Kräftiger Wildgeruch stieg Henri in die Nase. Frischlinge quiekten, ringsum krachte es im trockenen Holz, Äste brachen, Henri sah huschende Schatten. Das schwarze Völkchen mächtiger Schwarzkittel wühlte schmatzend im Wurzelwerk alter Buchen und benahm sich im Schutz der Bachen und Keiler recht ungeniert.

Henri gab seinem Pferd die Hacken und ritt bald hinter dem König der flüchtigen Rotte hinterher. Der wandte sich zu ihm und rief: »Jetzt beginnt die Saujagd, Jude! Sie hält immer Überraschungen bereit. Während einer solchen Hatz kommt immer die Wahrheit zu ihrem Recht. Es ist an der Zeit, dass du mir verrätst, was ich wissen will.«

»Deshalb bin ich gekommen, Majestät!«

»Du weißt genau, was du tust?«

Henri hörte einen seltsamen Unterton heraus. Ahnte der König etwas von seinen Plänen? Das war wohl undenkbar. Und doch lag in seinem Antlitz ein merkwürdig verschlagener Ausdruck.

War es dieser Umstand, der Henri zu Leichtsinn verführte? Er sagte:

»Ich weiß, was ich tun muss, Majestät! Ich konnte es schon im Kerker lange überlegen. Und jetzt erfülle ich nur meinen Auftrag. Ich tue es nicht aus eigenem Antrieb, das glaubt mir. Es muss einfach getan werden, auch wenn ich inzwischen glaube, dass Ihr nicht so grausam seid, wie Ihr erscheint.«

»Was ist das? Wovon redest du, Jude?!«

Der König hatte sein Pferd hart am Zügel gerissen. Es bäumte sich hoch.

Henri de Roslin begriff, dass er etwas Falsches gesagt hatte. Sein Zorn hatte ihn übermannt. »Ich verrate Euch, was ich weiß. Und dann…« Er wollte sagen, dann töte ich Euch, aber er bremste sich und sagte: »Und dann gehe ich meiner Wege.«

»Das werden wir sehen. Also sprich!«

Die Begleiter des Königs waren weit zurückgeblieben. Sie waren beschäftigt mit dem Taxieren und Einsammeln des Kleinwildes, das die Jäger bereits wieder erlegt hatten. Die Trommeln und Schreie der Treiber waren nur als schwaches Echo aus der Ferne zu hören.

In dem Moment, als Henri de Roslin mit seiner Erklärung beginnen wollte, die er in ihrer Mischung aus Wahrheit, Anklage und Lüge gut vorbereitet hatte, brach ein Keiler aus dem Unterholz hervor. Er war so mächtig und unruhig, dass er das gesamte Blickfeld vor den beiden Reitern in Bewegung zu versetzen schien.

Henri rief dem König eine schnelle Warnung zu. Der mächtige Keiler erblickte sie und rammte seine Hufe in den Waldboden. Er grunzte anhaltend. Dann jedoch machte er kehrt und floh.

»Er gehört mir!«

Der König nahm die Verfolgung auf. Henri ritt, ohne zu zögern, hinterher. Er hob unwillkürlich die Saufeder und hielt sie im angewinkelten Arm. Sie verfolgten den flüchtigen Schwarzkittel, der mit kraftvoller Behändigkeit über Stock und Stein sprang. Längst waren die anderen hinter ihnen nicht mehr zu hören.

Die rasende Jagd dauerte fast eine Stunde lang, die Pferde mussten ihr ganzes Können zeigen. Zu Tode erschöpft blieb das Wildschwein schließlich stehen. Seine Flanken zitterten. Der Keiler drehte sich um, er wandte sich in seiner Todesangst dem Verfolger zu, seine mächtigen Hauer ragten empor. Dann ging er zum Angriff über.

Henri erstarrte. Und auch das Pferd Philipps bäumte sich auf.

Philipp blickte Henri de Roslin an, als wollte er sagen: Jetzt gilt es, mein Freund! Dann gab er seinem Pferd die Sporen. Er griff das Wild an, hob die Wurflanze, zielte sorgfältig auf das jetzt wieder einhaltende Tier und warf sie.

Aber er verfehlte den Keiler.

Jetzt griff der Schwarzkittel erneut an. Mit gesenktem Schädel, die Hauer vorgereckt, raste er auf den König zu. Einer seiner Hauer traf den königlichen Schimmel am Bein. In panischem Schmerz bockte das Pferd und warf den König ab. Mit unwillkürlichem Entsetzen musste Henri mit ansehen, wie der Reiter stürzte – und im Steigbügel hängen blieb.