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Vor Schreck und Schmerz blind, galoppierte das Reittier durch den Wald davon. Es schleifte den hilflosen Reiter durch das Unterholz. Henri vernahm die Schmerzensschreie Philipps. Sofort versuchte er, das fliehende Pferd einzuholen.

Die rasende Jagd ging weiter, jetzt mit umgedrehten Vorzeichen, der Jäger war zum Opfer geworden.

Plötzlich sah Henri, wie der Fuß des Königs aus dem Steigbügel rutschte. Philipp blieb zusammengekrümmt im Gras liegen. Der Schwarzkittel stierte ihn mit roten Augen an. Dann schnaubte er und verschwand. Das Pferd verlangsamte erst nach einer Weile seinen Galopp.

Henri sprang mitten im Ritt von seinem Pferd.

Philipp blickte ihm erstaunlich munter entgegen, er schien keine Glieder gebrochen zu haben. Aber er blutete aus Schürfwunden am Hals, im Gesicht und an den Händen, und sein blondes Haar war verschmutzt.

»Hilf mir auf, mein Freund!«, sagte er. »Nun ist doch nicht erlegt worden, was es wert war, erlegt zu werden.«

Henri tat, wie ihm geheißen wurde. Er nahm die warme Hand des Königs, packte ihn und richtete ihn auf. Wäre er nur ein Jäger, der einen Unfall hatte, dachte er, würde ich ihn pflegen und schützen. Ja, ich würde mein eigenes Leben für seines geben. Aber er ist König Philipp der Schöne. Der, der meine Brüder vernichtet hat.

Henri versuchte sich der Bilder zu erwehren, die sein Inneres zu überfluten begannen. Folterszenen, zerbrochene Gliedmaßen, zerstörte Gesichter – und die Scheiterhaufen, auf denen Unschuldige wie sich bewegende Fackeln abgebrannt waren.

Ein seltsamer Laut verließ Henris Inneres. Es klang wie ein Hilferuf. Wie von jemandem, dem die Lippen vor Liebe bebten. Aber es war ein anklagender Laut des Hasses.

Er hob die Saufeder hoch über seinen Kopf. Sein König sah ihn ungläubig an.

Und dann ließ Henri die Waffe für die Wildschweinjagd niedersausen.

Philipps Blick schien zu fragen: Warum tust du das, Jude?! Woher kommt dein Hass gegen mich?! Henri schloss die Augen, um diesen erstaunten, beinahe sanften Blick nicht mehr sehen zu müssen. Er stieß noch einmal zu.

Und noch einmal.

König Philipp von Frankreich, der Schöne, sank im Alter seines sechsundvierzigsten Lebensjahres auf den vor Kälte dampfenden, nach Natur und Leben duftenden Waldboden nieder. Er streckte noch einmal die Hand aus, vielleicht aus verzweifelter Abwehr, vielleicht um den letzten Zipfel des Lebens zu fassen, das jetzt unbarmherzig aus ihm herausglitt.

Ein Leben, an dem er sich selbst so schmählich vergangen hatte.

Dann machte er seinen letzten Atemzug, und sein Körper streckte sich.

Henri erhob sich langsam. »Erst jetzt«, sagte er leise, »ist die Saujagd zu Ende, mein Herrscher!«

Er warf angewidert die Waffe, die er nach seinen Regeln nicht hätte berühren dürfen, weil sie für die Jagd nach dem Wild geschaffen worden war, zur Seite.

Im Wald war nichts zu hören.

Es war so, als sei die Natur angesichts des Geschehens erstarrt. Kein Laut. Auch nicht von den anderen.

Henri spürte ein stummes Gebet in sich aufsteigen. Er sah auf den toten Körper nieder. Dann blickte er flehend zum Himmel auf. Gib, betete er, dass ich nichts Unrechtes getan habe. Gib, dass meine Tat Dir wohlgefällig war und Du mich dazu ausgewählt hast, sie Dir abzunehmen!

Dann hörte er sie kommen. Sie brachen auf ihren Pferden aus dem Wald hervor.

Ihre Schreie gellten in seinen Ohren.

Warum fliehst du nicht?, fragte Henri sich selbst. Er spürte eine Eisesstarre in sich. Rette dich! Du darfst nicht in ihre Hände fallen! Doch er blieb, schon im Sattel, wie angewurzelt sitzen.

Und dann begriff er, warum er nicht mehr fliehen konnte! Es waren nicht die Verfolger, nein, die waren ihm gleichgültig. Es war er selbst. Er wollte nicht vor dieser Tat davonlaufen. Plötzlich überkam ihn das Gefühl, damit würde er vor sich selbst davonlaufen. Er war ein Tempelritter. Er musste sich der Verantwortung stellen.

Traurig dachte er: Meine Freunde, die ihr vergeblich auf mich wartet, so ist es nun einmal. Ich werde meinen Anteil bekommen, und ihr müsst auf mich verzichten. Schuld und Sühne.

Jetzt waren sie um ihn. Die Reiter auf den aufbäumenden Pferden sahen ihren König tot am Boden liegen und daneben die blutbefleckte Jagdwaffe.

Und als Henri jetzt doch noch aufsaß und seinem Reittier die Hacken gab, einfach, um es zu zwingen, sich noch einmal kämpferisch und stolz aufzubäumen, da waren es vierfach geknüpfte Wurfnetze, die ihn einfingen und vom Pferd rissen.

Und die Männer des Königs stürzten sich mit einem Hass auf ihn, als wollten sie ihn wie ein erlegtes Wild in Stücke reißen.

Ein Mann namens Enguerrand de Marigny, den Henri als Minister des Königs schon kennen gelernt hatte, bändigte sie jedoch und sagte prophetisch: »Habt Geduld! Wir alle werden unsere Rache befriedigen können. Wir besitzen ja die segensreiche Einrichtung unserer Folterkammern.«

Henri wehrte sich, wurde jedoch von einem Treiber mit einem Knüttel am Kopf getroffen. Er stürzte ohne Bewusstsein zu Boden. Starke Fäuste packten ihn und warfen ihn, gefangen in den Wurfnetzen, über sein Pferd.

Man hob den toten König behutsam auf und bahrte ihn auf einer der Tragen auf, die für Jagdunfälle in der Nachhut bereitgehalten wurden. Dann brach die Jagdgesellschaft auf, um Philipp den Schönen für immer dorthin zurückzubringen, wo er in aller Unschuld einst geboren worden war.

Henri de Roslin trugen sie in die Folterkammern von Fontainebleau, die in einem Donjon neben dem Schloss lag. Denn man wollte nicht den toten König und seinen Mörder in denselben Gemäuern halten. Dort angekommen wurde Guillaume Imbert, den man nur »De Paris« nannte, durch zwei reitende Boten informiert.

Den viel beschäftigten ersten Generalinquisitor des Landes erreichte die Nachricht bei einem Prozess gegen vier Hexen, darunter die »Frau von Chalois«, die lang anhaltende Unwetter vorausgesagt hatten. Imbert hatte sie so lange foltern lassen, bis sie auch zugaben, mit den Incubi und Succubi regelmäßigen Verkehr zu haben.

Guillaume Imbert traf zwei Tage später, aus der aufrührerischen Provinz um Montfaucon kommend, am Ort der Verhöre in Fontainebleau ein. Im Gepäck hatte er vier Kreuze und sein handgeschriebenes Buch, das in roten Samt eingebunden war und den Titel trug: »Anleitung zum Erbitten von Wahrheiten wider die satanische Versuchung«.

Es war ein Brevier, das ihm in der Vergangenheit schon gute Dienste geleistet hatte. Imbert wusste, vor diesem Brevier erkannte noch jeder seine kleine, schuldbehaftete Nichtigkeit, suchte die Wahrheit und geizte nicht mit Geständnissen.

9 

Im Jahr des Herrn 1307, letzte Sonntage

In diesem Jahr hatte die Schuld zugenommen. Die Kerker waren seit dem Herbst gut gefüllt. Die Peiniger, unter Anleitung ihres Generalinquisitors Imbert, konnten auswählen. Und sie wählten aus.

Man hatte schnell handeln müssen. Einige Verdächtige hatten schon ihre Schätze zusammengerafft und sich zur Flucht bereitgemacht. Deshalb ergingen die Befehle an die Beamten des Königs schnell, alle Mitglieder des Ordens gleichzeitig, auf Veranlassung des Heiligen Offiziums, zu verhaften. Der Dominikanerbruder Guillaume Imbert ließ allen Inquisitoren und Dominikanerprioren, Subprioren und Lektoren den Befehl zugehen, unverzüglich zu handeln.

Er zählte die Verbrechen des Ordens auf, ohne das Allergeringste auszulassen.

Es waren die Tage der Schuld. Die Tempelritter wurden einer nach dem anderen verhaftet. Man las die Anklageartikel vor und versprach Vergebung, wenn sie die Wahrheit bekannten und zur Kirche zurückkehrten. Andernfalls wollte man sie mit der Folter und dem Tod auf dem Scheiterhaufen bedrohen.