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Am nächsten Tag wurden in Paris die Lehrer der Universität und die Domherren in Notre-Dame versammelt, Guillaume Nogaret, der Prévôt von Paris, und andere königliche Beamte legten die Vergehen dar, welche den Templern nachgewiesen worden seien. Das Volk wurde aufgefordert, sich im Garten des königlichen Palastes zu versammeln, wo die Dominikaner und die königlichen Sprecher es über die Angelegenheit aufklärten.

Die Bevölkerung von Paris strömte am Sonntag zu Tausenden zusammen und staunte. Sie hatte den abgeschlossenen Templerorden, der wie ein Staat im Königsstaat war und dunkle Geheimnisse bewahrte, immer schon gefürchtet, aber jetzt sollte sie ihn von einem Tag auf den anderen verachten! Nur ganz langsam gelang es den Propagandisten des Königs, in einem fortgesetzten, schonungslosen Gerichtshof Abscheu in die Menschenherzen einzupflanzen.

Es war schwierig. Doch schließlich gelang es ihnen.

Die Tempelherren, ob hoch oder niedrig, sollten Verbrechen zu festen Ordensregeln erklärt haben. Sie sollten den Verrat Ludwigs des Heiligen um die Festung Akkon zugelassen und mit dem Sultan von Bagdad Abmachungen getroffen haben, ihm im Fall eines neuen Kreuzzugs alle Christen zu verkaufen. Sie sollten einen Teil des königlichen Schatzes aus dem Land geführt und dadurch dem Reich großen Schaden zugefügt haben. Sie trügen einen Ledergürtel auf der bloßen Haut, der die Macht habe, andere zu verhexen und im Irrglauben zu bestärken. Bisweilen werde ein Templer, der in diesem falschen Glauben gestorben sei, verbrannt und aus seiner Asche ein Pulver bereitet, das andere essen müssten. Wenn einem Templer von einer Jungfrau ein Kind geboren würde, so werde es geröstet, von seinem Fett eine Salbe gemacht und damit das in den Kapiteln angebetete Götzenbild gesalbt. Diesem Idol würden auch Menschenopfer ohne Zahl gebracht.

War es möglich, dass die Tempelherren solche Scheusale gewesen waren?

Schon gingen versiegelte königliche Briefe, die die Ketzerei in ihren Formen schilderten, an alle Fürsten der Christenheit. Und in den Kerkern von Paris unterzog Imbert mit seinen ganz persönlichen Gehilfen die einhundertachtunddreißig Gefangenen, die man mit Hilfe der Gens des Rois innerhalb einer Stunde aus dem Tempel hierher transportiert hatte, einer genauen Befragung. Sechsunddreißig starben gleich unter der schweren Folter. Acht machten ihrem hoffnungslosen Dasein ein Ende. Alle Überlebenden, bis auf drei standhafte Brüder, gaben die Anschuldigungen zu. Imbert verfügte über die Mittel dafür. Die Zangen glühten dreiunddreißig Tage lang im ständig entfachten Feuer.

Henri de Roslin befand sich am ersten Sonntag der Verhaftungen nicht im Tempel. Er saß mit dem Juden Joshua ben Shimon an der Seine und besprach die Mystik der Zahlen, von der der Jude alles wusste. Es war ein sonnenüberstrahlter und kalter Herbsttag im Oktober, ein schöner Tag für alle Geschöpfe Gottes, die ohne Schuld waren. Aber den Tempelrittern wurde dieser Tag verweigert.

Und als Henri von den Verhaftungen erfuhr, musste er von seinen noch in Freiheit befindlichen Brüdern zurückgehalten werden. Er wollte kämpfen und die Gefangenen heraushauen. Es wäre aber nur sein eigenes Verderben gewesen.

Die Gefangenen lagen, verteilt über ganz Paris, in dunklen, feuchten Kellern, in denen es nach Unrat und Tod stank. Weiße Würmer und Maden zogen im flackernden Schein rußender Kienspanfackeln ihre Bahnen durch das verfaulte Stroh und an den kalten Wänden entlang. Noch hofften die Männer, dass sie nicht gefoltert würden. Ein königlicher Beamter zeigte sich auf der Empore, hielt sich die Hand vor die Nase und versprach: »Ihr werdet nicht gefoltert.«

Aber dann brachten sie den gerade verhafteten Präzeptor von Zypern, Rainbaud von Caron, herein. Beim ersten Verhör hatte der Angeklagte nur zugegeben, dass ihm in Gegenwart seines Onkels, des Bischofs von Carpentras, gesagt worden sei, er müsse Christus verleugnen. Als sie ihn wieder holten, gestand er, dass er bei seiner Aufnahme in den Orden gezwungen worden sei, Christus zu entsagen und auf das Kreuz zu spucken. Als sie ihn das dritte Mal holten, sagte er, dass man ihn zur Befriedigung unnatürlicher Lust gezwungen habe.

»Hat man dich gequält, dass du solche unwahren Dinge erzähltest, Meister?!«, fragten mit entsetzten Blicken die Gefangenen, die sich um ihn scharten.

»Nein, meine Brüder!«, entgegnete der alte Präzeptor. Aber dabei zitterten seine bleichen Lippen. Und dann sahen sie das Blut, das an seinen Armen herablief. Und sie erblickten seine zerquetschte Hand.

»Brüder! Wir müssen der Tortur standhalten!«, rief einer. »Sonst ist es unser aller Untergang!«

»Aber wenn wir gestehen, lassen sie uns vielleicht frei!«, rief ein blutjunger Ritter. »Nur wenn wir schweigen, wird man uns foltern und mit dem Tod bedrohen!«

»Nein, so ist es nicht«, antwortete der alte Präzeptor schwach. »Sie wollen Geständnisse um jeden Preis. Und wenn sie diese haben, werden sie uns vernichten, egal, was wir gesagt haben. Es ist etwas in Gang gekommen, das nur teuflischen Ursprungs sein kann. Wir können es nicht verstehen und nicht aufhalten.«

»Die Brüder in Freiheit im ganzen Land werden uns befreien! Sie können doch nicht tatenlos zusehen, wie wir…«

Die junge Stimme brach ab und ging in Schluchzen über. Der alte Präzeptor tröstete den jungen Bruder mit leiser Stimme. »Sicher. Sie kommen und retten uns.«

Aber es klang hilflos. Und als die Kellertür knarrend aufschlug und die nächsten geholt wurden, da überfiel die Eingekerkerten das blanke Entsetzen.

Und während drinnen in den Verliesen das Grauen umging, die Eingekerkerten ohne Hoffnung, Zukunft und Nachricht von draußen dem Zugriff der Schergen ausgeliefert waren, begannen die in Freiheit befindlichen Tempelbrüder, Pläne zu schmieden.

Mit jedem Tag wurde ihnen klarer, dass die Schergen des Königs dem Orden die Köpfe abgeschlagen hatten. Darunter waren Gottfried von Charney, Präzeptor der Normandie, Guido Dauphin, höchster Beamter des Ordens, Gaucher de Liancourt, Präzeptor von Reims, Hugues de Pairaud, Visitator. Und in einer Einzelzelle, die als einzige Vergünstigung ein winziges Fenster besaß, durch die eine kalte, höhnische Oktobersonne einfiel, saß der Mann, der nach dem Fall der Stadt Akkon im Heiligen Land Großmeister des Ordens geworden war, Jacques de Molay. Er bebte vor Angst, denn man hatte ihm die Folterwerkzeuge schon gezeigt, und er wusste, das konnte er in seinem Alter niemals überstehen.

Die, die in Freiheit geblieben waren, schienen ratlos. Ohne ihre Meister konnten die Templer nicht handeln, denn unbedingter Gehorsam war ihre erste Pflicht. Nur wenige wagten überhaupt daran zu denken, dass sie jetzt selbstständig handeln mussten. Henri de Roslin versuchte, sie davon zu überzeugen.

Er organisierte das erste geheime Treffen der bisher verschonten Templer. Sie kamen im Nordosten der Stadt zusammen, dort, wo die Mühlbäche in die Seine flossen.

Der Anblick seiner Brüder zerriss Henri fast das Herz.

Sie waren zwölf. Eine kleine verschworene, aber aus der Bahn geworfene Gemeinschaft. Der jüngste Bruder war schon als Kind in den Orden eingetreten und hatte nun sein siebzehntes Jahr gerade erreicht. Henri versuchte, sie aufzurichten.

»Wir brauchen Zugang zu den Kerkern. Ich würde alles tun, um hineinzukommen! Haben wir nicht alle Reichtümer der Welt? Ich bin gerade dabei, unseren Schatz in Sicherheit zu bringen. Es muss möglich sein, damit die Wärter zu bestechen!«

»Aber auf eigene Faust dürfen wir niemals aktiv werden, das verletzt unsere Regeln!«

»Unsere Regeln sind außer Kraft, Bruder! Das gesamte Gefüge unserer Ordensgemeinschaft ist zerschlagen worden! Wir werden alle sterben, wenn wir nicht sofort handeln!«

»Aber wie sollen wir es anstellen?«