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Henri hielt dem Anführer auf der flachen Hand einen Lederbeutel mit wenigen Münzen hin. Dieser blickte ihm noch immer misstrauisch entgegen, als wittere er hinter seiner Bereitschaft eine Arglist. Dann sagte er: »Wo steckt übrigens Euer wertvolles Schwert? Gebt es mir!«

Henri versuchte, Zeit zu gewinnen. Er wollte schon zu einer Entgegnung ansetzen. Im gleichen Moment sah er, wie sich am Waldrand ein Schatten mit etwas Länglichem in den Händen auf sie zu bewegte. Er begriff zunächst nicht, was da vor sich ging, es geschah alles zu schnell. Eine kräftige Gestalt sprang von hinten an den Anführer heran. Er schlug ihm den Helm vom Kopf, riss seinen Hals nach hinten und setzte ihm ein Messer an die Kehle.

»Die kleinste Bewegung, du Unmensch, und ich zeige dir, was ein Templer vermag!«

Die Begleiter des Banditen schrien durcheinander, hoben die Waffen und rückten näher. Offenbar trauten sie sich aber nicht, einzugreifen, denn der Angreifer machte ein wild entschlossenes Gesicht.

Henri war der Mann fremd, er begriff, dass es an ihm war, das Entscheidende zu tun. Er herrschte den Anführer der Rotte an: »Sag deinen Männern, sie sollen die Waffen hinlegen und sich zurückziehen!«

»Mach schon!«, brüllte der Ankömmling, dessen Stimme einen fremden Akzent besaß.

Der Bandit blieb stumm, schnaufte nur in sich hinein, als bekäme er keine Luft mehr.

Henri wiederholte seinen Befehl. Als die Meute sich nicht rührte, befahl er: »Dann schneide ihm die Kehle durch!«

Jetzt krächzte der Bandit: »Tut, was er sagt. Für den Moment bleibt uns keine Wahl.« Dann spuckte er Blut. Offenbar hatte der Angreifer tiefer geritzt, als es ausgesehen hatte.

Die Männer beeilten sich jetzt, zu tun, was ihr Anführer ihnen geheißen hatte. Sie zogen sich langsam zurück.

In diesem Moment, als habe sie bis dahin abgewartet, ging die Sonne auf.

Einer murrte: »Und was wird aus unserem Haufenführer?«

»Er bleibt bei uns. Wenn ihr noch einmal in unsere Nähe kommt, stirbt er.«

Henri wunderte sich nicht über seine innere Kälte, er hatte solche Situationen schon oft erlebt. Er wusste in diesem Moment, es würde ihm nichts ausmachen, den Banditen zu töten. Er würde es nicht dem anderen zumuten, sondern es selbst tun.

Zögernd ließen die Wegelagerer ihre Waffen fallen und stolperten rückwärts davon. Schnell hatte der Wald sie verschluckt.

Der Fremde stellte sich vor. »Gottfried von Wettin, Ritter aus Regensburg in teutschen Landen, seit einiger Zeit in der schönen Stadt Avignon.«

»Seit Ihr wirklich Templer?«

Der andere nickte. »Es ist mein eigentliches Geheimnis. Nur im Kampf vergesse ich es manchmal. Aber nach außen hin lebe ich als Mönch des Dominikanerordens.«

Henri gab sich ebenfalls zu erkennen. Sie zeigten sich ihre Ordensembleme und waren hocherfreut, einen Gleichgesinnten in der Nähe zu wissen. Henri vermied es aber, den Wettiner in seine Pläne einzuweihen – man konnte nie wissen. Aber hier, auf dem Lehensboden der englischen Krone, wo die Verfolgung der Templer nur zögernd verlief, war es möglich, freier zu sprechen. Der Bandit wurde gebunden und bäuchlings über Henris Pferd gelegt.

Die beiden Männer hatten das Bedürfnis, den Ort schnell zu verlassen. Und als die wärmende Morgensonne durch die Zweige der Ulmen schien, die den Platz des Überfalls umstanden, ritten sie nebeneinander auf schnaubenden Pferden davon.

Am Abend waren sie an einem Fluss namens Cergu. Er lag auf dem vierundvierzigsten Breitengrad, wie der Wettiner wusste. »Übrigens genau wie Avignon, wo ich als Mönch des Dominikanerkonvents tätig bin«, erklärte der Templer, der sich mit Astronomie auskannte und Henri unterwegs schon von seltsamen Sternbildern erzählt hatte, die kamen und gingen.

»Wie könnt Ihr nach all den schlimmen Ereignissen noch Dominikaner sein, Gottfried? Die Mönche jagen uns unbarmherzig«, sagte Henri traurig.

»Ich bin es mit Seelenqualen, das glaubt mir. Denn in Deutschland wurde unser Orden genauso verboten wie in Frankreich und anderswo…«

»… England, Schottland, Aragonien, Kastilien, Portugal, Neapel.«

»Ja. Und ich hasse den Großinquisitor von Paris, Guillaume Imbert, der unseren Brüdern so übel mitgespielt hat, genau wie Ihr. Aber ich glaube nun einmal inbrünstig und brauche die Brüder im Glauben um mich. Viele Dominikaner sind übrigens wunderbare Menschen.«

Der Fluss war breit und besaß eine kräftige Strömung, aber sein Kieselbett stellte sich als so flach heraus, dass sie ihn mühelos überqueren konnten.

Der gefesselte Bandit schrie hin und wieder nach Wasser. Aber Henri hielt an und stopfte ihm das Maul mit einem Knebel und einem abgerissenen Stück Leinenlumpen. Dann ritten sie weiter.

Der Deutsche sprach nicht viel. Aber nachdem Henri sich bei ihm bedankt hatte, erzählte er: »Ich ritt schon einen ganzen Tag hinter Euch her, Bruder. Ohne Arg oder Absicht übrigens, denn ich will nach Millau und werde Euch dort auch wieder verlassen. In dieser Stadt versteckt sich ein Präzeptor vor der päpstlichen Kommission. Es ist Jean de Chalon, gewiss kennt Ihr ihn.«

»Aber ja! War er nicht zur Zeit der großen Verhaftungen Leiter des Templerhauses von Namur?«

»Derselbe. Ich kenne ihn aus Trier, woher ich komme.«

»Und was wollt Ihr von ihm?«

»Er ist mit dreißig anderen französischen Brüdern seit Jahren auf der Flucht. Sie wurden aufgegriffen, den Untersuchungskommissionen vorgeführt, gefoltert und konnten wieder fliehen. Man sagt, dass der Schatz des Visitators von Frankreich, Hugues de Pairaud, in seinem Besitz ist.«

»Das müsste ich wissen, denn ich war Schatzmeister unseres Ordens und Trésorier des Pariser Tempels.«

Der Wettiner zügelte überrascht sein Pferd. »Jetzt verstehe ich! Ihr seid Henri de Roslin!«

»Ja.«

Der Wettiner streckte ihm sprachlos die Hand hin.

Henri bemerkte einen gerührten Schimmer in seinen hellen Augen. Sie ritten eine Weile stumm weiter.

Die Landschaft wurde in dem Maße immer öder, wie die Hitze zunahm. Der Weg führte an schon grünen Bäumen vorbei endlos geradeaus durch die immergleichen braunen Felder, die offensichtlich von den Bauern nicht bearbeitet wurden. Dann mussten sie wieder einmal eine trostlose Heidelandschaft durchqueren.

Bei Arvieu kamen sie an einen ausgedehnten Lac. Der See war umgeben von baumlosen Wiesen, sie konnten also, ohne einen Überfall zu befürchten, am Ufer lagern.

Sie wuschen sich ausgiebig. Die Pferde soffen das klare Wasser. Jetzt bekam auch der Bandit einen Schluck. Obwohl die Gegend freundlich wirkte, waren die beiden Männer angespannt.

Sie berieten sich.

»Was soll mit dem Räuber werden?«, wollte der Wettiner wissen. »Wenn du ihn weiter mitschleppen willst, isst er nur deinen Proviant weg, außerdem müssen wir seinen Gestank ertragen.«

»Ich behalte ihn als Geisel. So haben wir zumindest eine kleine Gewähr, nicht überfallen zu werden. Wir müssen aber ständig auf ihn aufpassen. Ich lasse ihn erst kurz vor Avignon frei«, entschied Henri.

»Was habt Ihr übrigens vor in Avignon?« Der Wettiner stellte diese Frage mit unschuldiger Miene, aber Henri beschloss dennoch, ihm die Wahrheit vorzuenthalten. Einem Mann, der in der Gemeinschaft der Dominikaner lebte, konnte er sich nicht rückhaltlos anvertrauen.

»Ich muss es für mich behalten«, antwortete er deshalb, nicht glücklich darüber.

An diesem Abend suchte Henri den Gefangenen auf, kontrollierte seine Fesseln und nahm ihm den Mundknebel ab. Der Bandit ächzte und mahlte mit den verkrampften Backenmuskeln. »Wenn du das Maul hältst«, sagte Henri, »erspare ich dir den Knebel. Aber wehe, ich höre ein einziges Wort!«

Der Bandit starrte ihn nur hasserfüllt an und wandte sich ab.

Eine ruhige Zeit folgte. Das Wetter blieb gleichmäßig warm, der Himmel war klar und hoch. Nur einmal fielen ein paar Tropfen. Henri fühlte sich an seine Heimat Midlothian erinnert, wo die Tiefe des Himmelsblaus ihn immer an die Augen einer frühen Geliebten erinnert hatte. Er hatte sie als Jüngling verehrt, bevor er zum mönchischen Tempelritter geworden war. Es war lange her, und Henri seufzte unwillkürlich.