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Der Trupp kam immer näher. Und dann sah der Tempelritter, was geschehen war. Er sah Henri bäuchlings über ein Reittier gelegt, flankiert von Bewaffneten, und er erblickte die Bahre mit dem Körper im königlichen Jagdgewand. Er hat es tatsächlich geschafft, frohlockte Jacques. Aber gleichzeitig zog ihm das Entsetzen das Herz zusammen. Um welchen Preis!

Sie hatten Henri de Roslin in ihren Krallen!

Jacques wollte losstürzen. Ein Tempelritter genügte für eine Rotte von Feiglingen! Aber dann riss er sich zusammen. Er musste besonnen handeln, sonst war Henri verloren. Es hing jetzt ganz allein von ihm ab, ob der Bruder mit dem Leben davonkam. Mit Schaudern dachte Jacques an die Tage und Nächte in den Folterkellern, die auf Henri warteten. Das musste er verhindern!

Er folgte dem Trupp. Sie ritten nach Nordwesten, auf Fontainebleau zu. Aber dann bogen sie plötzlich ab in Richtung auf Poissy. Am breiten Fluss, der Essonnes hieß, schienen sie zu beratschlagen. Schließlich ritten sie wieder nach Osten und näherten sich dem Schloss Fontainebleau.

Jacques sah, dass es aussichtslos war, eine Attacke zu reiten. Sie waren zu viele. Dagegen kam auch ein Tempelritter nicht an. Er folgte den Reitern weiter, mehr konnte er im Moment nicht tun. Und er musste tatenlos mit ansehen, wie sie im Schlosshof ankamen.

Dort teilte sich die Gruppe. Während die eine den toten König ins Schloss begleitete, führte die andere den gefangenen Henri de Roslin zum fensterlosen, dreieckigen Turm. Dort befanden sich wie in jedem Donjon die Verliese.

Jacques de Charleroi überlegte, ob es sinnvoll war, die Gefährten zu alarmieren. Aber er würde zu viel Zeit verlieren. Außerdem hatten sie ausgemacht, sich zwei Tage später in Fontainebleau zu treffen, wenn inzwischen kein Lebenszeichen eingegangen war.

Er musste versuchen, ins Schloss zu gelangen. Er musste versuchen, Kontakt zu Henri de Roslin herzustellen, um ihm Mut zuzusprechen.

Jacques erinnerte sich daran, wie er im Jahr des Herrn 1308 in Aleppo Henri kennen gelernt hatte. Damals hatten sie gemeinsam in einer tollkühnen Aktion gefangene Christen aus einem sarazenischen Kerker befreit. Viele waren dabei gestorben, aber die Rettung war gelungen. Jacques musste daran denken, dass Henris Freund Uthman Sarazene war. Ein Kämpfer! Gemeinsam mussten sie es schaffen, Henri zu befreien, und sei er in der Gewalt des Teufels!

Er beschloss, auf die Gefährten zu warten. Dann würden sie ein kleiner, schlagkräftiger Haufen sein. Er konnte nur beten, dass Henri de Roslin einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang im Kerker überlebte.

Als Henri de Roslin nach Stunden aus tiefer Bewusstlosigkeit erwachte, kündigte ihm der Folterknecht die Ankunft des Generalinquisitors Guillaume Imbert an. Henri hatte in all den letzten Jahren damit gerechnet, einmal erneut dem unbarmherzigsten Verfolger des Ordens gegenübertreten zu müssen. Dass es nun in diesem Moment seiner äußersten Wehrlosigkeit geschah, erfüllte ihn mit Wut und tiefer Resignation. Aber er nahm sich fest vor, keine Schwäche zu zeigen. Den Triumph, ihn gebrochen zu sehen, gönnte er seinem größten Feind nicht.

Man hatte ihm die Haare und den Bart abgeschnitten, den Judenring abgerissen. Er lag in Ketten in einem Verlies, das von drei Kienspanfackeln nur notdürftig erhellt wurde. Aber das Licht reichte aus, um die Instrumente zu erkennen, die sich im Hintergrund befanden. Henri kannte sie alle, und es wurde ihm bewusst, dass er sich im Heiligen Land schon einmal in einer ähnlich ausweglosen Lage befunden hatte.

Er dachte an den Bruder Jacques de Charleroi. Er befand sich irgendwo draußen in der Nähe des Schlosses. Aber es gab keine Möglichkeit, dass er ihm beisprang. Und Uthman, Joshua, Sean? Sie erschienen ihm in diesem Augenblick wie Lichtgestalten, die einem anderen Leben angehörten.

Meine Gefährten, dachte er, wir sehen uns nicht wieder.

Als der Generalinquisitor das Verlies betrat, spürte Henri dennoch ganz tief in sich einen stillen Triumph. Er hatte seinen Auftrag erfüllt! Komme nun, was nicht zu verhindern war – er hatte den verräterischen König getötet!

Imbert trat dicht vor ihn und sah ruhig auf ihn herab. Im Gesicht des mächtigen Mannes mit den schlohweißen Haaren stand Milde. Er sagte: »Nun kannst du deine Seele erleichtern, Henri de Roslin. Es ist die Zeit der Vergebung.« Und dann bückte er sich zu dem Gefangenen herab – und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Als er sich wieder erhob, bekreuzigte er sich.

Henri spürte das Blut, das über sein Gesicht lief. Am meisten demütigte ihn, dass er es nicht abwischen konnte. In seinem Inneren wurde es kalt. Einmal mehr verstand er, mit wem er es zu tun hatte. Mit einem gefühllosen menschlichen Ungeheuer, das sogar Christus, wenn er noch unter ihnen weilte, für einen Gegner halten würde.

Und er war ihm bedingungslos ausgeliefert.

Im Hintergrund öffnete sich in diesem Moment eine niedrige Pforte, die Henri bisher nicht bemerkt hatte. Drei Männer in Kutten traten ein. Sie gingen gemessenen Schrittes, ohne den Gefangenen anzusehen, in die Mitte des Verlieses. Hinter ihnen trugen zwei barfüßige Gesellen mit nacktem Oberkörper und verwahrlosten Gesichtern einen Tisch herein. Der Generalinquisitor bestimmte mit einer herrischen Geste den Standort des Tisches. Die Kuttenträger nahmen daran Platz. Einer legte Pergamente vor sich hin. Ihre Bewegungen waren würdevoll, in ihren hageren Gesichtern standen weder Hass noch Bosheit.

Henri wusste alles über Verhöre. Es war ihm klar, dass er niemand vertrauen konnte. Sie würden ihr Spiel spielen. Dennoch beschlich ihn ein leiser, irrlichternder Hoffnungsschimmer, denn wenn Kirchenmänner ein Protokoll schrieben, würden die Folterungen nicht in blindwütige Exzesse ausarten. Er dachte darüber nach, was er zu gestehen hatte.

Guillaume Imbert zog ein Buch aus dem Gewand und blätterte darin. Sein Zeigefinger fuhr über eine bestimmte Stelle, dann machte er ein Zeichen. Die beiden halb nackten Folterknechte lösten Henris Ketten. Sie zerrten ihn auf die Beine und führten ihn zu den Gerätschaften. Dann rissen sie ihm Hemd und Stiefel herunter. Einer verschränkte Henris Arme auf dem Rücken, der andere band ein von der Decke herabhängendes Seil um seine Handgelenke und zurrte es fest.

Sie befestigten Eisengewichte an seinen Füßen und zogen ihn mit einem Ruck empor.

Henri unterdrückte nur mit allergrößter Willensanstrengung einen Schmerzensschrei. Es war, als würden ihm die Arme aus den Gelenken gerissen. Das Gewicht an den Füßen drohte nicht nur seine Knöchel zu zerquetschen, sondern zog auch seinen Körper auseinander. Er spannte die Muskeln an, so fest er konnte. Als Templer war er darauf vorbereitet, Folter und Schmerzen zu erdulden. Aber wie lange konnte er das ertragen?

Als wollten sie ihn zerfetzen, zogen die Folterer kräftiger am Seil, knarrend bewegte sich der Flaschenzug an der Decke. Henri baumelte hilflos in der Luft. Imbert trat nahe an ihn heran und versetzte ihm einen Stoß, sodass er sich langsam drehte.

Henris Körper war in weiß glühenden Schmerz getaucht. Er konzentrierte sich allein darauf, nicht zu schreien. Er spannte seine Muskeln an, bis sie hart wie Stein waren. In die glühenden Nebel hinein, die sein Gehirn ausfüllten, sagte die Stimme Imberts:

»Wie heißt du, mein Sohn?«

»Incubbus«, sagte Henri, »der kommen wird, um dich zu fressen.«

Die beiden Kuttenträger am Tisch und der Schreiber schlugen das Kreuz. Einer sagte mit mahnender Stimme: »Wir wissen aber, dass du Henri de Roslin heißt.«

Die Worte des Kirchenmannes glitten durch Henris Bewusstsein hindurch wie heiße Fäden, die seinen Kopf durchschnitten. Er bemühte sich zu antworten: »Ich habe keinen Namen. Ihr habt ihn mir soeben geraubt.«

Henri vernahm das Kratzen der Feder des Protokollführers auf Pergament überdeutlich. Er nahm drei Schatten an der Wand wahr, die die Körper der Geistlichen warfen, jetzt gesellte sich auch der vierte des Generalinquisitors hinzu. Die Schatten waren in ständiger Bewegung, mal schrumpften sie zusammen, dann blähten sie sich plötzlich wie große Tiere auf, die über ihn herfielen.