Einer der Schatten sprach eindringlich zu ihm.
»Du hast dich des größten Verbrechens schuldig gemacht, das es geben kann. Du hast den König heimtückisch ermordet. Dafür allein hast du zehn Tode verdient. Über deine anderen Verfehlungen als Mitglied des frevlerischen Tempelordens richten wir später. Ist dir klar, dass es für dich keine Hoffnung auf Gnade gibt?«
»Wir alle finden keine Gnade vor dem Weltenrichter! Unsere Sünden sind zu groß!«
Die Spindel drehte sich knarrend, Henri stürzte zu Boden. Einen Moment lang fühlte er sich glücklich. Das Glück bestand darin, keine Schmerzen zugefügt zu bekommen. Seine Glieder waren taub.
Er nahm wahr, dass einer der Kuttenträger aufstand und die Folterknechte beiseite scheuchte. »Das reicht! Verschwindet!« Er trat auf Henri zu und löste ihm Handfesseln und Fußeisen, er tat es so vorsichtig, als wolle er vermeiden, dass der Verhörte auch nur den geringsten weiteren Schmerz erleide.
Ganz langsam gewöhnte sich Henris gepeinigter Körper an die Bewegung. Mit Hilfe des Kirchenmannes konnte er sich aufsetzen und die Beine ausstrecken, seine Schultern waren nicht ausgerenkt. In ihm kribbelte alles, als das Leben zurückkehrte. Henri spürte den kalten Schweiß, der ihn bedeckte.
Er blickte sich nach dem Generalinquisitor um. Imbert stand unbeweglich im Halbdunkel.
»Henri de Roslin. Glaubst du an Gott?«
Henri nickte nur.
»Ich deute das als Zustimmung«, sagte die freundliche Stimme des Verhörers am Tisch. »Sagst du auch die Wahrheit?«
»Ihr gerechten Männer«, sagte Henri. »Ihr wisst, dass ein Templer niemals lügt. Ja, ich bin Henri de Roslin. Und ich bin in Eurer Gewalt. Was ich getan habe, das habe ich dem geschriebenen und dem ungeschriebenen Recht zuliebe getan. Der König musste sterben, weil er ein Mörder war. Sein Tod war ein Akt der Notwehr. Eine andere Schuld habe ich niemals auf mich geladen.«
»Wir sind hier, um dir das Geständnis möglich zu machen, und es ist schön, dass du die Gelegenheit ergreifst, es zu tun. Du hast Glück. Nicht jedem widerfährt es, gleich drei Beichtväter um sich zu haben.«
Jetzt trat Imbert in den Lichtschein. Mit scheinheiligem Kummer schüttelte er den Kopf. »Gutes Zureden nützt nichts. Er wird verstockt bleiben. Dabei wollen wir ihm doch nur helfen, seinen Seelenfrieden wieder zu finden. Es ist also besser, wir bereiten ihm weitere Schmerzen.«
Wieder hantierten sie an ihm, fesselten ihn und zogen ihn auf die Beine. Dann knarrte wieder die Winde. Henri biss sich auf die Lippen, bis das Blut floss. Ich werde ihnen widerstehen, dachte er, und wenn sie mich töten. In sich vernahm er eine Stimme, die sagte: Rette dich, Henri! Nutze die Zeit zur Gewissenserforschung! Bist du nicht tatsächlich voller Schuld?
»Nein!«, schrie der Gefolterte. »Die wahren Schuldigen seid Ihr! Ihr habt Euch gegen die Menschenrechte vergangen!«
Dann versagten die Worte. Er wurde emporgerissen und spürte wieder nur das grässliche Ziehen am ganzen Leib, das in einen Laut mündete: Tortur!
Wieder spannte er mit aller Kraft, die ihm zur Verfügung stand, die Muskeln an. Ein Folterknecht versetzte ihm einen Tritt, Henri geriet ins Schlingern, die Schmerzen wurden unerträglich. Er wurde ohnmächtig.
Als er wieder zu sich kam, spürte er unter sich den kalten Boden und um sich stinkendes Stroh. Und wieder betraten die drei Kuttenträger in einer gespenstischen Prozession den Raum. Imbert war nicht dabei. Sie setzten sich an den Tisch. Jetzt brannten Kerzen auf einem Leuchter. Wieder stützten ihn die Folterknechte und stellten sich hinter ihn.
»Wir haben den Eindruck, du bist reumütig, du willst ein Geständnis über dein verpfuschtes Leben ablegen. Doch zuvor unterschreibe dieses Protokoll über die Tortur. Darin steht genau beschrieben, was du bisher zu erleiden hattest. Denn wir handeln nicht aus persönlicher Rache, sondern nur, um die Wahrheit vor Gott ans Licht zu bringen.«
Sie legten ihm das Pergament vor. Henri unterschrieb mit zitternden Fingern, die ihm selbst wie verkrüppelt erschienen. Der Kuttenträger nahm es, schaute auf die Unterschrift, als läse er ein Geheimnis, und sagte: »Dann sollten wir mit dem Verhör in caput alienum fortfahren.«
»Tut, was Ihr nicht lassen könnt, gerechte Herren!«, sagte Henri mit fester Stimme. »Der Herr sei Euch gnädig.«
Unwillig sahen sie ihn an. Sie konnten nicht dulden, dass er so mit ihnen sprach, denn mit ihm – mit ihm – musste Gott gnädig sein. Sie waren ohne Sünde und ohne Schuld.
»Worauf es nun ankommt, Henri, ist dein Gehorsam. Du musst uns folgen, aber nicht in dem Maße, dass du uns nach dem Munde redest. Zum Beispiel frage ich dich nun: Bist du mit uns einer Meinung, dass du weiterhin gefoltert werden musst? Womöglich gar noch härter als bisher? Grausamer, als du es dir überhaupt vorstellen kannst?«
Henri schwieg.
»Nun?«
Henri schwieg weiter. Es war aussichtslos. Sie wollten nur eines erreichen – ihn zerbrechen.
Ein Kuttenträger gab den Folterknechten, die gehorsam im Hintergrund warteten, einen Wink. Die Kerle warfen ihn auf eine Leiter, die sie auf den Boden gelegt hatten. Sie banden ihn mit Lederriemen am ganzen Körper und am Kopf fest, legten diese um einen Bolzen und zogen sie so fest an, dass sie tief ins Fleisch schnitten. Fester und fester schnürten Henri die Riemen ein. Henri hatte das Gefühl, zerquetscht zu werden. Am ganzen Körper, an Beinen und Armen, am Hals und am Kopf entstand ein unerträglicher Druck, der das Blut abschnürte und den Körper anschwellen ließ.
Der Protokollant schrieb eifrig mit. Henri ahnte, dass sie noch kein Blut vergießen wollten, also war dieser Foltermethode eine Grenze gesetzt. Er biss die Zähne zusammen, bis sein ganzes Gesicht im Krampf verhärtet war. Und schwieg.
Nach weiteren Umdrehungen bekamen die Folterknechte Zeichen. Sie drehten den Bolzen zurück.
Henri fühlte sich als hilfloses Bündel aus Fleisch und Nerven. Und das Schlimmste war, dass seine Situation etwas Verführerisches barg; sie war als Folge seiner Tat so grauenvoll logisch und konsequent! Darin lag die größte Erniedrigung. Sie war beinahe schlimmer als die grässlichen Schmerzen.
»Gib nun alles zu, mein Sohn. Berichte uns von allen deinen Verfehlungen. Wer steht hinter dir? Wen kannst du mit einem Geständnis vor dem Fegefeuer retten?! Sprich, erleichtere dein Gewissen!«
»Incubbus!«, flüsterte Henri. »Der Euch fressen wird.«
Die Folterknechte kippten die Leiter, auf der Henri noch immer fest gebunden lag, an der Fußseite an. Henri hing nun mit dem Kopf nach unten an den Sprossen. Gewaltsam öffneten sie ihm den Mund, führten eine Toca aus Leinen tief in seinen Hals ein, legten einen feinen Leinenstoff über Mund und Nase und gossen Wasser darüber. Henri musste schlucken, ob er wollte oder nicht. Er bekam sehr schnell keine Luft mehr, doch sie gossen weiter und weiter.
Henri warf in kreatürlicher Panik den Kopf hin und her, versuchte, das Leinen abzuschütteln, wieder zu atmen, doch sie hielten ihn fest. Als ihm schwarz vor Augen wurde und der panische Schlag seines Herzens ihm den Leib zu zersprengen drohte, nahmen sie das Tuch weg. Japsend schluckte Henri den letzten Wasserschwall und schnappte keuchend nach Luft. Er würgte. Sein ganzer Körper bäumte sich auf, alles in ihm schrie nach einem Ende dieser Qual. Tränen der Erschöpfung rollten ihm über das Gesicht.
Dann setzten sie die Tortur fort.
Nach unerträglichen Momenten der Qual fiel Henris Körper in sich zusammen. Er nahm nichts mehr wahr, sein Leib krümmte sich nur noch in unkontrollierten Zuckungen. Die Folterknechte schlugen ihm mit beiden Händen ins Gesicht. Er kam zu sich. Seine Augen waren blicklos auf die Decke gerichtet. Er schwitzte Blut am ganzen Körper. Und in einem Rest von Verstand sagte er zu sich: Dies war auch die Erfahrung des Herrn, auch er schwitzte Blut. Er hat es für uns alle erlitten, doch für wen erleide ich es…