Die Peiniger starrten ihn schweigend an. Das Gesicht des Protokollanten zerschnitt ein hässliches Lächeln.
»Wir raten dir, in deinem offensichtlichen Hochmut nicht die nächste Lektion abzuwarten, es könnte zu viel für dich werden!«
»Ich kann euch nichts sagen, was euch befriedigen würde. Denn siehe, ich bin der Gemarterte am Kreuz eures blinden Hasses. Und ihr seid die Schächer!«
Sie wurden bleich. Einer sprang auf und schrie: »Was? Du frevelst immer noch?« Er griff nach dem Seil, das noch immer von der Decke hing, und begann auf Henri einzuschlagen.
Sein Glaubensbruder hielt ihn zurück. »Wartet! Haltet doch ein! Ihr schlagt ihn ja blutig!«
Mon Dieu!, dachte Henri, wenn ich es überlebe, werde ich ihn töten. Er dachte diesen Gedanken ganz kalt, ohne Wut. Er würde ihm bei lebendigem Leib das Herz herausreißen.
Der Kuttenträger beruhigte sich wieder. Er ordnete seine Kleidung, sein fahles Gesicht zuckte. Niemand sprach mehr.
Offensichtlich warteten sie auf etwas.
Nach einer Weile öffnete sich die hintere Pforte. Der Generalinquisitor trat mit eingezogenem Kopf über drei ausgetretene Steinstufen in das Verlies, in seinem Gefolge befand sich ein weiterer Mann. Imbert kam näher, trat auf Henri zu und lächelte.
»Deine Kumpanen liegen im Schloss in Ketten«, sagte er. »Sie haben ebenso wie du alles gestanden. Damit ist für den Moment das Verhör abgeschlossen. Der Königsmord wird durch deinen Tod gesühnt werden.«
»Du lügst, Imbert«, entfuhr es Henri. »Du hast immer gelogen! Ist es die Pflicht eines so großen Kirchenmannes, vor Gott die Unwahrheit zu sprechen?«
»Noch bist du in der Lage, deine Zunge und deinen Atem zu gebrauchen, Ketzer«, sagte Imbert. »Ich gestatte dir, das zu tun, solange du es noch kannst. Es ist ein Akt der Gnade.«
»Lasst mich frei«, sagte Henri in einer törichten Anwandlung.
»Aber im Gegenteil«, sagte Imbert milde. »Ich zeige dir jetzt die Folterinstrumente, die dich erwarten. Hab keine Angst Henri, du wirst noch nicht sterben. Du wirst es bei vollem Verstand erleben! Willst du nicht wissen, wer mein Begleiter hier ist? Nein? Es ist der Chirurgus.«
Uthman packte den Juden an der Schulter. »Joshua! Wir müssen ihn befreien! Sie töten ihn!«
»Ich weiß das. Aber wir dürfen uns nicht selbst in Gefahr bringen, nicht wahr? Wir müssen klug überlegen.«
»Ich spüre es, das Attentat ging schief. Sie haben ihn. Reiten wir schon heute los, sonst ist es zu spät!«
»Aber Gottfried ist in seiner Nähe! Er wird ihn entweder raushauen oder uns alarmieren!«
»Ein einzelner Mann! Nein, Joshua!«
»Also gut. Sean, sattele die Pferde. Auch du kommst mit. Mach schnell, um Gottes willen!«
Als hätten ihre Worte einen Sturmwind erzeugt, so eilig hatten es die Gefährten plötzlich. Wie hatten sie so lange zögern können!
Henri war zwar erst seit zwei Tagen fort, ebenso wie Gottfried, und sie hatten sich erst für den dritten Tag verabredet. Aber nun stand die Vision der Todesgefahr für ihren Gefährten klar vor ihren Augen. Sean gelang es gerade noch, seine Flöte in den Mantelsack zu stecken. Und kurz darauf flogen ihre drei Pferde dahin, mit tief über ihren Rücken gebeugten Reitern. Richtung Westen, in die Nacht hinein, in der das Licht des jetzt vollkommen gerundeten Mondes weiß schien.
Tief in der Nacht erreichten sie den Wald von Saint Maxence. Uthman begann, die Spuren zu lesen. Und im Mondlicht war es für den erfahrenen Sarazenen nicht schwer zu begreifen, was sich hier vor nicht mehr als einem Tag abgespielt hatte. Er entdeckte die Spuren der Jagd, die Kampfspuren, das Blut. Und er konnte die Fährte der königlichen Reiterschar über den Umweg zum Fluss Essonnes zur Feste Fontainebleau verfolgen.
Plötzlich packte Uthman die Zügel von Joshuas Reittier. »Still!«
Sie lauschten in die fahle Dunkelheit. Vor ihnen am Waldrand bewegte sich etwas sacht und leise. Dann sahen sie, verdeckt von den Baumstämmen, einen Reiter. Er hielt sein Pferd jetzt an und stand unbeweglich im Unterholz. Lange hielt er seinen Blick auf die dunkle Fassade des Schlosses gerichtet.
»Ist es Gottfried?«
»Sean! Sitz ab und schleiche dich heran. Aber vorsichtig!«
»Wie ein Salamander, Herr Uthman!«
Der Knappe verschwand. Und die beiden Beobachter sahen nach einer Weile, wie er neben dem Fremden auftauchte und auf ihn zuging. Ja, es war Gottfried! Schnell ritten die Gefährten zu ihm. Sie begrüßten sich mit gedämpften Stimmen. Gottfried berichtete sofort, was er gesehen hatte. Und er fügte hinzu:
»Jetzt sind wir zu dritt. Wir können ihn raushauen. Ich erinnere mich an einen Kampf in Syrien. Drei Templer befreiten den Präzeptor von Jerusalem aus einem ähnlichen Gefängnis. Wir können es schaffen, wenn wir die gleiche List wie damals anwenden.«
»Aber Gottfried! Wie soll das gehen? Es ist unmöglich!«
»Nein, Joshua. Es ist möglich. Aber wir müssen uns einen Plan ausdenken. Sicher können wir nicht zur Vordertür hineinspazieren. Es wird einen anderen Weg geben. Vielleicht kann Sean…«
»Den Knappen lassen wir aus dem Spiel! Er ist noch ein Kind. Und wir feiern gerade die christliche Zeit der unschuldigen Kinder. Sean wird hier, im Schutz des Waldes, mit den Reittieren warten. Wenn uns einfällt, wie wir in das Schloss gelangen könnten…«
»Aber wir brauchten Rammböcke, Steinschleudern, Sturmleitern! Die haben wir nicht!«
»Nein, Uthman. Gerade damit würden wir scheitern. Wir benötigen solches Gerät nicht, das weiß ich. Ich habe zwar noch keinen Plan, aber ich bin sicher, wir müssen die Kriegsgeräte durch eine List ersetzen! Ich grüble schon die ganze Zeit darüber.«
Sean sagte: »Ich könnte versuchen, ins Schloss zu gelangen, und mit meiner Flöte ein Lied anstimmen. Vielleicht hört Henri es und fasst Mut.«
»Sie haben ihn in das tiefste Verlies geworfen, damit müssen wir rechnen. Dort dringen keine Schreie nach draußen. Und von den Dingen, die draußen geschehen, ist drinnen kein Laut zu hören! Nein, es ist aussichtslos.«
»Aber wir sind hier! Wir sind seine Gefährten, seine einzige Rettung! Es muss uns etwas einfallen!«
Sie starrten hinüber. Die großartige Silhouette des königlichen Schlosses hob sich bizarr im Mondlicht ab. Mit all den Türmen, Giebeln, Erkern und Nebengebäuden wirkte es wie eine eigene Stadt. Und irgendwo da drinnen, in einem winzigen, geheimen Raum, mitten im Herzen des Schreckens, hielten sie Henri de Roslin gefangen.
Die drei Männer und der Junge spürten immer deutlicher und niederschmetternder, dass sie ihm nicht helfen konnten.
Der Generalinquisitor war in seinem Element. Vielleicht hatte er seine weiße Mähne vom Anblick des Grauens bekommen, für das er selbst verantwortlich war. Sein Leben lang hatte er gebetet und gefoltert.
Henri de Roslin wusste, was in den nächsten Stunden auf ihn zukam. Er versuchte, sich zu wappnen. Noch war sein ganzer Körper wund von den bisher erlittenen Qualen, ein Teil seiner inneren Organe fühlte sich aufgebläht und entzündet an. Aber er konnte sich wieder bewegen, und nichts war gebrochen.
»Holt den Marterstuhl, rückt ihn hierher. Die Leiter dorthin, öffnet die Daumenschrauben und die gezähnten spanischen Stiefel, damit wir mit der Territion beginnen können. Templer, du hast Gelegenheit, dein Gewissen zu erleichtern. Falle ab von aller Apostasie, Gotteslästerung und Zauberei! Nenne uns die Namen aller Frevler des Ordens, die noch in Freiheit sind! Und sage uns, wo wir ihrer habhaft werden können!«
Henri bemühte sich nicht einmal, eine Antwort zu geben. Er dachte an seine Gefährten. Es fiel ihm ein, wie er im Jahr des Herrn 1307, als die ersten Verhaftungen begonnen hatten, die gefangen gesetzten Brüder im entweihten Tempel von Paris nicht hatte retten können. Diese Wunde in seiner Seele schmerzte noch immer heftiger als manche körperliche Wunde. Er hatte ihren Tod nicht verhindert! Denn damals musste er selbst aus der Stadt an der Seine fliehen, um sich der Verhaftung zu entziehen. Gerade noch hatte er den Schatz aus den Gewölben des Tempels in Sicherheit bringen können. Sein Weg danach war weit gewesen – bis nach Alexandria, Aleppo, Antiochia.