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Ich weiß, dachte Henri, ihr habt euch mit Sachverstand bemüht, sinnvolle Instrumente zu erfinden. Und ich erkenne bei euch nicht einen Hauch von Gewissensbissen über eure Grausamkeit. Ich habe euren Praktiken als Beobachter schon beigewohnt. In Aleppo, wo Sarazenen die Nase und die Ohren abgeschnitten, die Hände abgehauen, die Glieder abgezwickt, Riemen aus der Haut geschnitten, die Zunge ausgerissen oder die Knochen durch das Rad gebrochen wurden. Ich habe erlebt, wie man die Ungläubigen lebendig einmauerte, in Tröge steckte, wo sie sich nicht bewegen konnten und von Insekten zu Tode gestochen wurden. Wie man Feinde verdursten ließ und ihnen gesalzene Speisen reichte, wie man ihnen keine Ruhe ließ. Wie die Henker ihr Tun genossen. Wie Christen ihre Feinde in jeder Form abschlachteten – oder von ihnen abgeschlachtet wurden.

Der Mensch ist des Menschen größter Feind. Es gibt kein Mitleid unter den Menschen. Die Hölle, das sind die anderen.

In seine Gedanken hinein fragte Imbert scheinheilig: »Willst du das Instrument nun in deinem Fall in Anwendung sehen oder nicht?«

»Nein.«

Der Großinquisitor zog die Augenbrauen zusammen. »Welches hast du dann für dich ausgesucht, Henri de Roslin?«

»Kommt näher, Imbert, ich verrate es dir allein. Ganz leise.«

»Ja?«

Als Imbert vor ihm stand und sich zu seinem Mund herunterbeugte, spuckte Henri ihm ins Gesicht. Der Generalinquisitor heulte auf.

»Packt ihn! Reißt ihm die verfluchte Seele aus dem Leib!«

»Langsam, Montseigneur!« Der Chirurg schritt ein. »Wir wollen doch alles der Regel gemäß machen.«

Imbert fasste sich wieder. »Schon gut. Hängt ihn an die Wand. Und jetzt sprich, Ketzer! Namen, Aufenthaltsorte! Und wo befindet sich der Schatz des Templerordens, für den du zuständig warst?! Meine Geduld ist zu Ende.«

»Wohin genau wird man ihn gebracht haben?«

»Vermutlich dorthin! Seht ihr den fensterlosen Donjon? Er trägt seltsame Steinmetzspuren. Aber das interessiert uns im Moment nicht. In diesem Turm gibt es, so weit kenne ich mich mit Burgen aus, im unteren Bereich Verliese.«

»Wird man ihn foltern?«, fragte Sean atemlos. »Natürlich«, antwortete Joshua voller Sorge. »Sie haben ihn schließlich in ihrer Gewalt. Foltern gehört zu ihrem Gefühl für Gerechtigkeit – wenn man sich das vorstellen kann.«

»Mein Gott, wir müssen handeln! Und sei es unsere letzte Tat!«

»Ihrer Folter hält niemand lange stand.« Wie in Erinnerung versunken, sprach Joshua weiter. »Die Folter muss in ihren Augen immer wiederholt werden. Sie trauen ihr selbst nicht, da der menschliche Charakter unterschiedlich ist und einige Gemarterte aus Angst alles gestehen, ohne wirklich abzuschwören. Deshalb muss eine Aussage unter der Folter in Gegenwart mindestens eines Inquisitors erfolgen. Dem Gefangenen wird mitgeteilt, warum er gefoltert wird, später muss er ein Protokoll unterschreiben. Hält er der Folter stand und besteht nicht der Verdacht, dass die Tortur zu milde war, dann kann er von der großen Schuld freigesprochen werden. Aber sie sorgen schon dafür, dass er gesteht – irgendetwas! So lange foltert man ihn. Und sein Geständnis wird dann als gültiger Schuldspruch gewertet.«

»Aber sie brauchen doch keine religiösen Geständnisse von Henri, um ihn anklagen zu können! Sie wollen, dass er die Namen seiner Gefährten verrät! Damit sie den Orden restlos tilgen können!«

»Sicher, Uthman.«

»Also handeln wir!«

»Wir müssen ihn befreien. Aber wie? Es wäre nicht das erste Mal, dass es gelingt. Aber oft ist es auch schon gescheitert.«

»Was sagtest du vorhin, Gottfried? Der Donjon trägt seltsame Steinmetzzeichen? Was sind das für Zeichen?«

»Keine Ahnung, Joshua ben Shimon. Ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus. Aber sie sind auffällig. Wie geheime Botschaften.«

Joshua sagte aufgeregt. »Aber ich kenne mich damit aus. Zeig mir diese Zeichen!«

Sean sagte zweifelnd: »Aber Meister Joshua, haben wir wirklich Zeit, um uns mit Steinmetzzeichen zu beschäftigen? Ich hörte einmal, man bringt sie zum Zweck der Lohnberechnung an den gefertigten Steinen an. Was soll das…«

»Wir schauen es uns an«, beharrte Joshua. »Ich habe mich mit den Zeichen der Kabbala beschäftigt, und ich weiß, dass sie manchmal Botschaften enthalten, die darunter liegen. So ist es auch mit den Zeichen der Hütten.«

»Botschaften?«

»Hinweise auf geheime Kammern. Bei Gräbern zum Beispiel. Hinweise auf geheime Gänge und Pforten.«

»Aber Joshua, wenn es so was gäbe, würden die jetzigen Herren dieses Donjons davon Kenntnis haben.«

Gottfried mischte sich ein. »Feudalherren und Ritter interessieren sich dafür nicht. Sie trauen Steinmetzen und Maurern keine Geheimnisse zu.«

»Also schauen wir uns deine geheimen Zeichen in Gottes Namen an.«

»Aber in Deckung der Schlagschatten!«, sagte Joshua. »Sean, du bleibst hier. Und halte die Pferde bereit. Wenn sie uns entdecken und wir fliehen müssen, ist jede Sekunde entscheidend!«

Sie saßen ab und schlichen zum Turm. Der Mond verschwand einen Augenblick und erleichterte ihre Annäherung. Aber mitten auf freier Fläche trat er hell und groß hinter den dunklen Wolken hervor. Die drei Männer fluchten leise und beschleunigten ihren Lauf. Als sie die glatten, ovalen Mauern des Donjon erreicht hatten, fielen sie schwer atmend dagegen. Sie lauschten besorgt. Nichts rührte sich.

»Fangen wir an«, sagte Uthman mit gepresster Stimme.

Joshua ging langsam an der Außenmauer entlang. Gottfried und Uthman beobachteten seine Spurensuche mit banger Skepsis. Sie dachten alle drei an ihren gefangenen Gefährten, der sich irgendwo da unten, hinter den unüberwindlich dicken Mauern, befinden musste. Und am liebsten hätten sie sich wie Maulwürfe mit bloßen Händen in die Erde eingegraben, um zu ihm zu gelangen.

Zur Linken hörten sie einen Fluss rauschen. Er musste unterirdisch fließen, denn sie sahen kein Wasser. Erst in Hunderten von Metern Entfernung, zwischen dem Gestrüpp der Burgbewachsung und dem beginnenden Waldsaum, schien das Mondlicht auf einer Wasseroberfläche zu blinken.

»Was ist nun mit den Zeichen?«, drängte Gottfried.

»Geduld!«

Sie hatten jetzt den unterirdischen Fluss überquert, sie hörten sein Rauschen in einer unbekannten Tiefe. Ängstlich schauten sie zum Himmel, wo der Mond noch immer ohne Wolken stand und sein bleiches Licht ergoss.

Joshua tastete weiter. Er hatte seine Finger schon über Runen und Zeichen fahren lassen und bekam langsam ein genaueres Bild über die Art der Zeichen. Aber ob sie eine Botschaft enthielten, bezweifelte er nun. Er wusste aber von seiner Ausbildung in den jüdischen Schulen des umfassenden Wissens, dass die erst vor wenigen Jahren gegründeten Bauhütten geheime Zeichen vorschrieben, die nicht der Willkür der Arbeiter entsprangen. Sie glichen genauen Beschreibungen für die Benutzung der errichteten Bauten. Jedes Bauwerk enthielt solche Zeichen. Es waren Schlüssel, in denen sich Hüttengeheimnisse ausdrückten. Die Baumeister der Kathedralen waren ebenso verfahren.

Joshua tastete mit inzwischen aufgerissenen und blutenden Fingern weiter. Hier fand er eingemeißelte Figuren mit einer Menge sich durchschneidender Linien, dort geometrische Zeichen, die ihn an Quadratur und Vierpass erinnerten. Aber er verstand es nicht, sie in einen Zusammenhang zu bringen. Die ganze Außenmauer des Donjon schien wie ein Buch beschrieben zu sein – aber Joshua kannte ihre Sprache nicht. Es schien keine einheitliche Sprache zu sein.

Er kannte die Marken der vorgriechischen Zeit, die Triangulaturen der Deutschen, die Zeichen der romanischen Rundbögen, die Drudenfüße, die Runenzeichen. Aber hier…

»Schneller, Joshua! Der Mond verschwindet bald!«

Verzweifelt suchte Joshua ben Shimon weiter. Dann glaubte er etwas zu verstehen. Es handelte sich um Buchstaben der älteren griechischen Schrift und um eine Anzahl Runenzeichen. Sie wirkten wie miteinander verknüpft – aber konnte das sein? Aufgeregt tastete er die Wölbungen der kalten Steinquader ab.