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»Gib auf! Du hast alles versucht!«

»Nein! Henri ist in ihrer Gewalt! Wenn ich nur wüsste! Und was ist, wenn die Steine, die außen nicht markiert sind, einen Weg beschreiben? Wenn die außen gebuckelten Steine ohne Zeichen genau diejenigen sind, die einen später ausgeführten Gang markieren!«

»Du meinst?…«

»Tastet diese Quadern entlang. Dafür brauchen wir kein Mondlicht. Am Anfang und am Ende einer solchen Strecke muss es Zeichen geben, die entscheidend sind. Wir müssen sie finden!«

Und sie machten weiter. Drei Gestalten in der Dunkelheit und Kälte der Nacht, die in Sorge um ihren gefangenen Gefährten die Steine erweichen wollten.

Henri arbeitete fieberhaft weiter. Was er gesehen hatte, war, dass der Schacht, der unterhalb der sich öffnenden Falltür lag, ebenfalls mit scharfen Messern bestückt war. Sie würden den fallenden Körper bis zur Unkenntlichkeit zerstückeln. Und was von ihm dann noch übrig bleiben würde – er wagte nicht, daran zu denken.

Von draußen drangen Stimmen zu ihm. Es kam eine Abordnung. Henri hatte keine Zeit mehr, abzuwägen, ob er es wagen konnte, den Weg durch das grässliche Marterinstrument zu nehmen. Er starrte in den messerbewehrten Schacht. Nein, es war aussichtslos. Er konnte es nicht schaffen.

Tief entmutigt sank er zurück. Gleichzeitig versuchte die eiserne Jungfrau, sich wieder zu schließen. Aber das ging nicht, weil der tote Wärter ihren Mechanismus blockierte.

Henri lauschte. Der Lärm kam näher. Wenn die Ablösung sah, dass er einen der ihren getötet hatte, würden sie ihn an Ort und Stelle erschlagen.

Er musste es einfach wagen!

Und jetzt sah er auch, wie es gelingen konnte.

Die Messer waren für einen Körper berechnet, der hinunterstürzte, für einen schon Toten. Wenn es ihm gelänge, den Mechanismus des Instrumentes außer Funktion zu halten, dann konnte er durch die Falltür auf die Messer steigen und langsam, Schritt für Schritt, durch den Schacht nach unten treten. Aber der geringste Fehler, und er stürzte unkontrolliert hinab, ein Opfer der furchtbaren Klingen.

Henri rückte noch einmal den Körper des Toten zurecht. Jetzt lag sein Kopf zwischen den Scharnieren der einen Flügeltür und seine Füße in denen der anderen Seite. Konnte er es jetzt wagen? Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Gestalten draußen im Gang herumliefen und im Licht der flackernden Fackeln ihre Schatten warfen.

Kurz entschlossen trat er in das Marterinstrument. Die Falltür war aufgesprungen. Weit unten schäumte das Wasser. Henri starrte in den entsetzlichen Schacht, der sich unter seinen Füßen befand. Er schien ihm eine Fluchtmöglichkeit zu öffnen, aber gleichzeitig schnitt er ihm den Weg in die Freiheit ab.

»Es muss das entscheidende Zeichen sein, denn es existiert genau zu beiden Enden der zeichenlosen Strecke. Aber ich kann es nicht entziffern!«

Uthman flüsterte: »Könnten es arabische Zahlzeichen sein?«

Joshua dachte darüber nach. »Du meinst, die letzten Zeichen hier mit der senkrechten Mittellinie und den krummen Haken, die auf dieses Sonnenzeichen verweisen? Vielleicht… aber… ich kann es nicht lesen…«

»Aber ich! Das ist vielleicht überhaupt des Rätsels Lösung! Um diese Strecke, wie du es nennst, zu verstehen, bedarf es Menschen, die aus unterschiedlichen Kulturen kommen, die unterschiedliche Sprachen sprechen und nicht die gleichen Religionen haben. Leute wie wir! Deshalb wäre es den Besitzern dieses Donjons gänzlich unmöglich, die Zeichen zu deuten, es sind einfältige französische Christen.«

»Vielleicht, Sarazene! Es wäre denkbar. Und gleichzeitig scheint es mir zu weit hergeholt…«

»Eine geschlossene Null, ein Pluszeichen, aufrecht stehende Striche mit Anhängseln, zwei Sonnen, ein Augenzeichen und diese Keilbuchstaben, die wie tanzende Figuren aussehen – wieder die Null, die aus unserer arabischen Arithmetik kommt.«

»Aber der Sinn, der Zusammenhang! Kannst du es verstehen?«

»Es ist unabweisbar eine Inschrift. Und sie besagt… Nein, es ist zu dunkel, ich kann es nicht lesen. Wir müssen den Tag abwarten.«

»Ich kann nur die am tiefsten eingemeißelten deutschen Minuskeln unter meinen Fingern spüren. Es sind die gleichen, die meine jüdischen Brüder in Speyer benutzen, die mich in der Schule der Kabbala die Zahlenmystik lehrten. Sie bilden einen Namen. Ich glaube, es heißt – nein. Es muss eine Zeichenreihe sein, die eine Entwicklung durchmacht.«

»Wir haben keine Zeit…! Lass mich nachdenken! Vielleicht von einer älteren bis zur heutigen Gestalt – vom Griechischen zum Lateinischen. Vielleicht ist es ein Chronogramm? Dann müsste sich der Schlüsselname ergeben aus Jahreszahlen und dem Addieren aller durch ihre Größe hervorgehobenen Zahlzeichen.«

»Dann versuche das, Joshua! Und ich finde das Wort aus den arabischen Zahlzeichen am anderen Ende der Strecke!«

Joshua und Uthman buchstabierten fieberhaft. Jacques schaute atemlos zu, beobachtete hin und wieder die Umgebung und blickte besorgt zu den Zinnen des fensterlosen Donjon empor. Tat sich oben am vorkragenden Dach aus Holz etwas? Plötzlich stieß Joshua einen eigentümlichen Laut aus.

»Innen ist unten – es heißt, innen ist unten!«

»Was soll das bedeuten?«, fragte Jacques verwirrt.

Und Uthman fiel genauso atemlos wie Joshua ein: »Wenn ich die arabischen Zahlzeichen auf unser Alphabet anwende und sie in Buchstaben übersetze – dann bedeuten sie genau das gleiche!«

»Innen ist unten!«

»Versuchen wir es! Drücke auf den Quader, der sich unterhalb des letzten unbeschrifteten Steins auf der Strecke befindet, Uthman!«

»Und du tue dasselbe auf deiner Seite, Joshua!«

»Jetzt! – Zur gleichen Zeit!«

Die beiden Gefährten versuchten es. Und als hätten sich Geister versammelt, die den Fremden gut gesonnen waren, schoben sich die Quader des Donjon auseinander. Sie hinterließen eine schmale Öffnung in der liegenden Form des arabischen Zahlzeichens Acht.

»Die Kanonenscharte«, flüsterte Gottfried. »So sehen Kanonenscharten an schottischen Burgen aus.«

»Tatsächlich!«

Die Männer zückten ihre Kurzschwerter. Sie versuchten, im Gang, der sich vor ihnen aufgetan hatte, etwas zu erkennen. Aber er war stockdunkel, sie konnten nicht die Hand vor Augen sehen. Unerschrocken stiegen sie in die Öffnung ein und tasteten sich vorsichtig Schritt für Schritt vorwärts. Der Weg führte leicht bergan. Dann endete er an einer Wand.

»Was ist?!«

»Aus! Es geht nicht weiter!«

Sie tasteten an den feuchten Mauern entlang.

»Doch hier, im rechten Winkel!«

Eine schmale Treppe tat sich hinter der Ecke auf. Sie führte steil bergab. Noch war es stockdunkel, aber ganz hinten schien es heller zu werden. Die Eindringlinge gingen behutsam darauf zu. Joshua glitt plötzlich aus und gab einen unterdrückten Laut von sich. Die beiden Gefährten brachten ihn wieder auf die Beine.

Das Licht kam näher. Und dann sahen sie den Gang, der in einen kleinen, niedrigen Vorraum führte. Ein Tisch, mehrere Fackeln in Eisengittern, Bohlentüren, Gitter.

Niemand war zu sehen. Aber eine Tür stand auf. Sie kamen näher. Plötzlich sprangen von der anderen Seite her mehrere schreiende Gestalten auf sie zu. Mit vorgereckten Lanzen rannten sie schnell heran.

Die drei Gefährten verständigten sich mit einem Blick. Sie blieben einfach stehen und ließen die wütende Meute herankommen. Erst im letzten Moment sprangen sie zur Seite, ließen die Angreifer ins Leere laufen. Dann schlugen sie zu. Ihre Kurzschwerter taten ihre Arbeit. Einer der Angreifer rappelte sich wieder auf, drehte sich herum, riss eine Fackel aus der Halterung. Er schleuderte die Fackel auf die Eindringlinge, gleichzeitig warf er seine Lanze. Im letzten Augenblick konnte sich Joshua wegducken, das Wurfgeschoss flog über ihn hinweg und zerbrach an den Mauerquadern.