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Uthman sprang vor. Sein Schwert sauste nieder. Ohne einen Laut sank der Getroffene zu Boden.

»Da hinein!«, rief Jacques.

Sie betraten das Verlies und versuchten zu verstehen, was sie sahen. Einen leeren Kerker, Eisen, die leer in der Wand hingen, zur Linken einen leblosen Körper vor der verhüllten Frauengestalt aus Eisen, dem geöffneten Marterinstrument. Die entsetzliche Maschine in Menschengestalt stand schweigend da und reckte ihnen die mit Schwertern bewehrten Arme entgegen.

»Mein Gott, Henri!«, ächzte Uthman.

»Nein, er ist es nicht.«

Sie sprangen zu dem Marterinstrument. Ein Fremder lag eingeklemmt in der Falltür. Sie blickten in den Schlund und sahen entsetzt die messerstarrenden Wände. Unten klatschte in diesem Moment etwas ins Wasser und wurde fortgeschwemmt.

Ratlos schauten sie sich an.

»Vielleicht liegt er in einem der anderen Verliese!«

Sie liefen hinaus. Schnell begriffen sie, dass die anderen Kerker keine Insassen enthielten. Wenn Henri in diesem Donjon eingesperrt war, dann musste er sich in diesem Verlies befunden haben. Der Gedanke ergriff langsam Besitz von ihnen, dass es der zerstückelte Körper ihres Gefährten gewesen war, der durch das Marterinstrument getötet und in das Wasser hinabgefallen war.

»Wir sind zu spät gekommen«, entfuhr es Joshua.

Mutlos sagte auch Uthman: »Nur eine halbe Stunde früher! Vielleicht… Allah stehe uns bei!«

Draußen polterten plötzlich schwere Schritte die Steintreppen hinunter. Die Gefährten rannten hinaus. Sie sahen sich einer Rotte nach unten drängender Wachmänner gegenüber. Eine Art sich bewegender Wald aus hochgereckten Lanzen und Schwertern.

»Zurück, wie wir gekommen sind!«, rief Jacques.

Sie zogen sich in den dunklen Geheimgang zurück. Schulter an Schulter fochten sie um ihr Leben. Zunächst konnten sie den andrängenden Wachleuten standhalten, aber jedes Mal, wenn sie einen Feind ausgeschaltet hatten, sprang ein anderer in die Bresche. Sie spürten: Nicht mehr lange, und ihre Kräften würden erlahmen!

Es ging Schritt für Schritt zurück. Die Wachleute hatten Fackeln geholt, um zu sehen, wohin der Fluchtweg führte. Offenbar kannten sie ihn nicht. Schon waren Joshua, Uthman und Jacques an der Stelle, wo der Fluchtweg abbog. Hier ließ es sich für einen Augenblick leichter verteidigen. Aber als es dann weiterging, jetzt wieder bergauf, hatten sie Mühe, nicht zu stürzen.

Sich immer wieder umwendend, erblickten sie plötzlich das Ende des Ganges. Dort war es hell. Der Mond musste für einen Moment durch die kahlen Zweige der Bäume geleuchtet haben. Jetzt wurde es wieder dunkel.

Joshua keuchte: »Wir müssen den Gang sofort verschließen. Schaffen wir das?«

Uthman sagte mit fester Stimme: »Wenn wir die Schlusssteine sofort finden, dann ja. Jacques muss uns die Bewaffneten vom Leib halten.«

Grimmig kam die Antwort von Jacques de Charleroi: »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«

Sie erreichten die geöffneten Quader. Die Form der liegenden arabischen Acht schien ihnen von drinnen her gesehen jetzt anders auszusehen. Und sie erkannten, dass es nur die obere, größere Hälfte war. Das musste wohl so sein, damit man die Mauer von innen nicht öffnen konnte.

Sie sprangen ins Freie. Während Jacques die nachdrängenden Verfolger in Schach zu halten versuchte, liefen Uthman und Joshua zur Seite. Sie suchten die letzten Quadern, drückten mit der flachen Hand auf die Schriftzeichen – und die Wand schloss sich.

Mit einem dumpfen Geräusch prallten die gezeichneten Quadern wieder aufeinander. In diesem Laut erkannten die drei Flüchtlinge die zufriedene Zustimmung der geheimnisvollen unbekannten Baumeister.

Schwer atmend blickten sie sich um. Da sahen sie, dass ihre Pferde heranpreschten. Sean führte sie.

»Wo ist Henri?«, rief er schon von weitem.

»Wir müssen zum Fluss!«

Sie schwangen sich in den Sattel. Von ihren Verfolgern war noch nichts zu sehen, denn sie mussten sich einen anderen Ausgang aus dem Donjon suchen, der wahrscheinlich im angrenzenden Flügel des Schlosses lag.

So schnell sie konnten ritten sie einen kleinen Abhang hinunter und erreichten die Wasser nach zweihundert Metern.

Und wer konnte ihr Glücksgefühl beschreiben, als sie plötzlich eine Gestalt wahrnahmen! Sie versuchte, ans Ufer zu steigen. Eine kraftlose Gestalt mit zerfransten Haaren und tropfnassen Kleidern, barfuß, in der Kälte zitternd.

Alle vier sprangen von ihren Pferden. Sie zogen den zu Tode ermatteten Gefährten aus dem Ufergestrüpp. Joshua warf ihm eine Decke um. Uthman schickte ein Dankgebet zum Himmel.

»Setzt ihn zu Sean auf den Schimmel. Wird das gehen? Kannst du dich halten, Henri?«

»Wir sind immer zu zweit auf einem Pferd geritten«, flüsterte Henri de Roslin. »Adeo pauperes erant ut unum tantum equum haberent communem. Wir waren die armen Brüder Christi.«

Guillaume Imbert war außer sich. Er hatte die Würde seines Amtes völlig vergessen und schlug mit der dreifach geknoteten Kordel, die er von seinem Habit gerissen hatte, auf die Wächter ein. Auch die Berater des Königshofes konnten es nicht fassen.

»Wie konnte er entkommen! Ich habe mich nur eine einzige Nacht zur Ruhe begeben, und schon triumphieren Verrat und Unfähigkeit! Ich werde euch alle wegen Mittäterschaft hinrichten lassen! Und der Fluchtweg durch den Turm nach draußen? Warum kanntet ihr ihn nicht?!«

»Die Erbauer des Donjon sind schuld, Montseigneur«, jammerte ein Wächter, der rote Striemen im Gesicht hatte. »Der Gang war ein Geheimnis. Niemand kannte ihn.«

»Ich werde die Maurer alle der Ketzerei anklagen und verbrennen lassen! Ist die Inquisition in Frankreich etwa nicht mächtig genug, um ihre Feinde zu zermalmen?«

»Wer waren die Erbauer dieses Turmes?«, fragte Enguerrand de Marigny, der Minister des getöteten Königs, mit ruhiger Stimme.

Niemand wusste eine Antwort. Man ließ die Burgmannen aufmarschieren. Auch sie blieben ratlos. Schließlich fand man einen Beschließer. Er hieß Brugard und leitete die Domestiken des Schlosses. Der Alte wurde zusammen mit seiner Frau herangezerrt, er blickte ängstlich, schließlich sprach er mit leiser Stimme.

Von dem, was er zu berichten wusste, hatten die hohen Herren noch nie etwas gehört.

»Ich kannte die Erbauer natürlich nicht, ihr Herren, denn der Donjon steht schon seit hundert Jahren. Aber ich kenne die Lieder, die sie wahrscheinlich gesungen haben, denn sie haben sie handschriftlich niedergelegt. In der Bibliothek könnt ihr alles einsehen. Es müssen seltsame Leute gewesen sein. Jeder Stein war ihnen heilig. Sie sprachen: Die Finsternis des Chaos wich, die Wüste war erhellt, da baute Gott, der Schöpfer, sich zum Tempel diese Welt…«

»Und? Himmelherrgott! Was soll das Gerede?«

»Lasst ihn weiter sprechen, Generalinquisitor!«

»Fahre fort, guter Mann.«

»Sie glaubten, ihre Zeichen seien ein vertrauender Blick, der sich an ein vertrauendes Auge richtet. Er könnte nur von verständnisvollen Betrachtern verstanden werden. Von Menschen ohne Argwohn und Neid – wie auf Rosen die Perle des Himmels taut, so klar wird das Zeichen des Maurers geschaut – so sagten sie, so schrieben sie. Sie bauten fest gefügte Mauern, ja. Aber sie duldeten nicht, dass diese Mauern für freie Menschen zu Gefängnissen werden konnten.«

»Und ihr wusstet davon?«

»Ich habe nur ihre Schriften gelesen, Montseigneur. Ich bin des Lesens und Schreibens kundig. Aber ich wusste natürlich nichts von dem Geheimnis dieses Turms. Denn die Steinmetze dieser Bruderschaft behielten alles für sich. Kein Verrat durfte nach draußen dringen. Sie waren verpflichtet zu schweigen.«

»Na großartig! Ein schweigender Orden!« Imbert sank auf einen Schemel. »Ketzer, Häretiker, Bruderschaften! Die Welt ist aus den Fugen, wenn die Feinde des rechten Glaubens darin ungehindert wandeln können. Wenn unsere Autorität erlahmt und sie nicht mehr auf uns hören, ist die Welt am Ende.«