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Während Henri sein Pferd von Paris aus über die stark bereiste Straße nach Norden lenkte, versuchte er sich zu erinnern. Es war alles aus, darüber konnte er sich nicht hinwegtäuschen. Aber wann hatte es begonnen?

Er wusste es nur aus seinen Lektionen. War es nicht im Jahr des Herrn 1119 gewesen? So hatte man es ihn in der Klosterschule gelehrt. Damals übernahmen die beiden nordfranzösischen Ritter Hugo von Payus und Gottfried von St. Omer mit sieben Gefährten die fromme Aufgabe, die Wege nach Jerusalem von Räubern freizuhalten, damit die Pilger in Sicherheit zur heiligen Stätte reisen konnten. Stets kämpften unsere Brüder unter wehendem Kreuzesbanner im vordersten Glied, dachte Henri, ihnen folgten sogar die Könige. Und immer waren sie die Letzten, die sich zurückzogen, so hofften sie, sich den Himmel zu verdienen. Es war der Beginn einer großartigen Zeit gewesen! Jeder nachfolgende Tempelritter hatte das so empfunden. Und als der Ritter Raimond Dupuy um dieselbe Zeit die armen Brüder des Hospitals von St. Johann organisierte, schufen sie Seite an Seite der gläubigen Inbrunst und dem kriegerischen Eifer eine unwiderstehliche Bresche.

Wie gern wäre er damals dabei gewesen! Henri konnte sich die Anziehungskraft vorstellen, die das neue Ideal von Mönchtum und Ritterstolz damals ausgeübt hatte. Sie hatten die Welt aufgegeben, um Christus mit dem Schwert zu dienen! Wie wunderbar! Ein weißes Gewand, das Symbol der Unschuld, dem Eugen der Dritte ein blutrotes Kreuz hinzufügte! Und ihre schwarzweiße Fahne Bauséant mit der Inschrift »Non nobis Domine« flatterte ihnen unwiderstehlich voran!

Jetzt trug er selbst seinen Waffenrock nur noch im Mantelsack versteckt. Dazu Helm, Nackenkette, Beinschienen, Schwert und Schild, die Pumphosen, die rote Schärpe. Er führte es heimlich mit sich, aber er trug es nur noch, wenn er sich, geschützt von fremden Blicken, ins Gebet und in die Beschwörung der alten Ordensregeln vertiefen wollte. Dieses Tun brauchte er in dieser gottlosen Zeit!

Jetzt, dachte Henri, da die Zeit der Kreuzzüge in das Heilige Land längst und endgültig vorbei ist, bleiben Neid und Intrigen zwischen den ehemaligen Bündnisparteien übrig. Die Brüder von St. Johann, die nach Rhodos und Malta übersiedelten, sollten unseren Ordensschatz erben, den der Großmeister Jacques de Molay im Jahr des Herrn 1307 mit sich nach Paris geführt hatte. Aber Henri hatte das mit Hilfe der letzten Getreuen zu verhindern gewusst. Es war ihm gelungen, alle Zusagen des Königs und des Papstes dem inzwischen verfeindeten Orden der Hospitaliter wieder zu entreißen. Henri hatte damit unmittelbar nach dem unseligen 13. Oktober, gleich nach dem Erntedank, vor vier Jahren angefangen, als auf Befehl des Königs fünfzehntausend Templer in Ketten gelegt wurden. An einem einzigen Tag! Henri wusste sofort, wohin dieser Terror führen würde, und hatte gehandelt. Binnen Jahresfrist hatte er die verstreuten Schätze in den Besitz der Tempelbrüder zurückgeholt und versteckt.

Es war sein einziger Trumpf in dieser schweren, haltlosen Zeit!

Henri ritt voller schwerer Gedanken weiter. Er wusste, was geschehen war, er hatte die Akten studiert, die man angelegt hatte. Damals waren ja die Templer noch die strahlenden Helden des Jahrhunderts gewesen!

Henri wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sank denn die Sonne niemals mehr! Es hatte seit Monaten nicht mehr geregnet, und sie mussten mehr als einmal Bittprozessionen ausweichen, die mit Jammern und Gesang über die Wege zogen, um Regen zu erflehen. Barfüßige Frauen trugen Reliquien, andere geißelten sich, Gestalten in Federkostümen, mit fratzenhaften Masken über den Gesichtern, schlugen dumpf auf Trommeln, dazu spielten durchdringend Knochenpfeifen, Hörner und Trompeten.

Henri dachte: Wie oft habe ich diese Dinge schon erzählt! Alle Adepten wollten immer wieder wissen, wie alles angefangen hatte. Und wie es weiterging. Es war inzwischen wie eine Litanei, er konnte es auswendig hersagen.

Ja, sie waren reich geworden! Bald unermesslich reich! Sie hatten so viele Güter aufgehäuft, dass die Nachdenklichsten unter den Rittern sich gefragt hatten, ob sie nicht frevelten. Die Einkünfte und Spenden und das, was mit dem organisierten Betteln in allen Ländern aufgehäuft wurde, schickte man nach Jerusalem, dem Wohnsitz des Großmeisters. Henri fiel beim Weiterreiten eine Geschichte ein, die ihm ein Ordensbruder in der Pariser Cité erzählt hatte. Damals starb ein mächtiger Krieger ohne Nachfahren, war es nicht Alfons der Erste von Aragonien, Herr von Navarra und Kastilien, gewesen? Er schenkte den Rittern des Tempels und des Hospitals seinen gesamten Besitz zu gleichen Teilen. Seine einzige Bedingung war, dass der Orden drei Jahre lang dreihundert Ritter im Heiligen Land hielt.

So kamen die Reichtümer zustande, dachte Henri. Und seit damals sind sie nicht weniger geworden. War es nicht verwunderlich, dass diese Entwicklung Befürchtungen und Feindschaft erregte? Hatten die Bischöfe nicht Recht, wenn sie auf den Laterankonzilen forderten, die Templer sollten zumindest die erworbenen Kirchen und Zehnten zurückgeben?

Henri wandte sich im Sattel um und ließ seinen Blick über die drei Wagen schweifen, die von seinen Gehilfen gelenkt wurden. Fuhrwerke mit Sonnensegeln und großen, langsam mahlenden Holzrädern, auf denen gut abgedeckte Fässer mit in Salz eingelegten Gurken standen. In den rund hundert Fässern befand sich der letzte Teil des unermesslichen Templerschatzes.

Er wusste noch nicht, wo er ihn verstecken konnte. Der übrige Reichtum, soweit er ihn nach der Verhaftungswelle retten konnte, war inzwischen zusammen mit den Akten des Ordens an sicheren Orten im ganzen Land verteilt. Henri de Roslin fühlte sich noch immer verantwortlich für den Schatz, und er brauchte das Erbe der Templer, um seinen Hass in eine todbringende Waffe verwandeln zu können.

Vor der Stadtbrücke von Alencon, an der Grenze zur Bretagne, die ebenso wie das östlich angrenzende Anjou ein Lehen der französischen Krone war, musste der Transport plötzlich halten. Misstrauische Grenzwächter deckten die Plane ab, nahmen die Deckel von einigen Fässern ab und tauchten ihre Hände in das Salz. So tief reichen eure nichtswürdigen Arme nicht, dass ihr die wahre Konterbande berührt, dachte Henri. Er hatte keine Angst, die königlichen Zöllner könnten ihm auf die Schliche kommen, die Tarnung war zu gut.

Aber wenn doch?

Seine fünf Begleiter, allesamt harmlose Kaufmannsgesellen aus einem Pariser Vorort, waren dann keine Hilfe. Wenn es zum Äußersten kam, musste er allein und schnell handeln. Unwillkürlich fuhr seine Hand unter sein Gewand, wo im Gürtel sein Schwert steckte.

Die Stichproben der Zöllner ergaben nichts. Als Henri schon aufatmen wollte, tauchte aus dem Schatten des Turms, vor dem sich die Schranke befand, ein Offizier auf. Es war ein Hüne in geschniegelter, blauroter Uniform. Er schrie: »Ihr seid wohl nicht zufällig Templer, äh? Unterwegs mit Eurem sündhaften Schatz, äh? Abladen! Die Fässer werden visitiert!«

Henri durchfuhr es eiskalt. Blitzschnell überlegte er, was zu tun war. Wenn der Offizier es ernst meinte, flog alles auf, und er musste sofort fliehen. Aber da er gewohnt war, die Entwicklung der Geschehnisse kaltblütig zu beobachten, sagte er:

»Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass wir Templer sind!«

»Äh?«

»Wir sind Kaufleute aus den Sumpfwäldern um Paris, mit Gurken für Alencon. Ihr könnt heute Nachmittag auf dem Markt überprüfen, ob wir eingelegte Gurken in Salz oder goldstarrende Preziosen verkaufen!«

Die Zollsoldaten lachten hämisch. Der Offizier lief rot an. »Abladen!«, brüllte er noch einmal.

Henri legte selbst Hand an. Er löste Knoten für Knoten der Verschnürung, die ihn bei der Abfahrt viel Zeit gekostet hatte, und wuchtete die Fässer vom Wagen herunter. Er wusste, es war ein Fass dabei, das wirklich von oben bis unten nur mit Gurken beladen war. Als er den Deckel öffnete, richtete er es so ein, dass Schaden entstand. Er versetzte einem herumschnüffelnden Straßenköter einen Fußtritt, der Hund flog jaulend gegen einen Gehilfen, der ausweichen wollte und dabei das Fass umstieß. Henri fluchte laut.