»Du Scheiße am Huf eines Esels, kannst du nicht aufpassen! Habe ich euch nicht eingebläut, wie teuer die Gurken sind!«
Der Inhalt des Fasses verteilte sich über das schmutzige Pflaster – nichts als Salz und Gurken. Wieder lachten die Soldaten wiehernd. Der Offizier musste zur Seite springen, als das säuerlich stinkende Salz seine neuen Stiefel bedrohte.
»Was soll ich jetzt machen!«, jammerte Henri überzeugend. »Diese Gurken kann ich nicht mehr verkaufen! Ein ganzes Fass Verlust!«
»Packt das ausgelaufene Fass mit den anderen Fässern auf den Wagen zurück und trollt euch! Das stinkt ja! – Soldaten, macht hier sauber, aber allez!«
Henris Gehilfen bugsierten die Fässer auf den Wagen zurück und verschnürten die Seile wieder. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, angetrieben von Henris tiefer, scheinbar noch immer ärgerlicher Stimme.
Um keinen Verdacht zu erregen, musste Henri am Nachmittag die Wagen im Kreis auffahren, seine zusammenklappbaren Verkaufstische aufbauen und Gurken verkaufen. Vor einem aufwendigen Laden mit Fensterverglasung und Schindeldeckung an einem Klosterstift fand der Markt statt. Auch die Stiftsdamen aus adligen Familien kamen mit halb verhüllten Gesichtern zum Kauf. Hier mussten jedoch nach einem heftigen Gewitterregen, den alle herbeigesehnt hatten, erst Schlamm und Schmutz beseitigt werden, bevor Weine, Tuche, Töpferwaren, Färbemittel, Papier und vor allem Knochen verkauft werden konnten.
Der Marktkontrolleur kam und kassierte Standgebühren, überprüfte mit seinen Visiermaßen Henris Waage, hatte aber nichts zu beanstanden. Der Gurkenverkauf ging schleppend voran, und Henri benutzte diesen Umstand, um seine Gehilfen allein zu lassen und sich in dem Ort umzusehen.
Er kannte in Alencon niemanden und wusste nicht, ob es in der Nähe eine Burg gab. Konnte er hier ein Versteck finden?
Als er durch den Ort ging, bemerkte er, dass hier die Knochenschnitzer den Ton angaben, überall befanden sich ihre Werkstätten, in denen Flöten, Nadeln, Schnallen, Messergriffe, Würfel, Kämme und sogar Schlittschuhe hergestellt wurden. Auch die Herstellung von Perlen für Rosenkränze stand hoch im Kurs. Überall erblickte Henri die Bänke zum Bohren solcher Perlen in den Werkstätten der dafür zuständigen Paternosterer.
Er sah einem weißbärtigen Paternosterer, der wie ein Mönch gekleidet war, bei seiner Arbeit zu; er bohrte aus langen Knochenscheiten mit einem gehärteten Bandbohrer seine Stücke heraus, die wie Elfenbein aussahen. Über den Boden verteilt lag der Abfall, Späne, Stücke und ausgebohrte Knochenleisten – es sah aus wie ein Schatz! Eine Stadt des unschuldigen Handwerks, dachte Henri. Wenn ich in einer solchen Werkstatt meinen eigenen Schatz verstecken könnte! Aber wie sollte es gelingen, Gurkenfässer unterzustellen, ohne Verdacht zu erregen? Er hätte sich hier niederlassen und eine Werkstatt kaufen müssen.
Sich in Alencon niederlassen? Es war ein abwegiger Gedanke.
Nein, dachte er. Ich muss weiterziehen.
Nach den Schreckmomenten mit den Grenzsoldaten von Alencon vermied Henri vorerst die Städte. Aber wenn er keinen Verdacht erregen wollte, musste er zumindest kleinere Ortschaften ansteuern, um seine Ware zu verkaufen. Die Straßen waren nach dem heftigen Gewitter noch immer matschig und mit tiefen Pfützen übersät. Und als hinter La Chapelle eine Achse splitterte und zu brechen drohte, musste er seinen Vorsatz vergessen. Sie flickten die Achse notdürftig und fuhren langsam in Richtung der nächstgelegenen Stadt Domfront.
Schon als sie in die Stadt einfuhren, ahnte Henri, dass es hier Schwierigkeiten geben würde. Ein ungutes Gefühl sagte ihm, während die Holzräder über die Brücke des Stadtgrabens rumpelten, dass dies die letzte Stadt war, durch die er kommen sollte.
Domfront schien zu bersten. Zwischen den Mauern war es randvoll mit Menschen, Fuhrwerken, Hirten und Schafherden. Dazu kamen die dicht an dicht gebauten Holzhäuser rechts und links enger, hügeliger Gassen, durch die stinkende Abwässer schäumten. Hier gab es keine Läden, sondern man verkaufte das Notwendige aus erhöhten Fenstern heraus oder in geöffneten Ställen, Schweinekoben und Scheunen.
Aus den Häusern und Werkstätten drang unglaublicher Lärm, der jetzt auch noch vom Dröhnen der Kirchenglocken unterlegt wurde. Henri fielen die Zisterziensermönche auf, die auf Eseln herumritten, offensichtlich gab es ein Kloster in der Stadt. Er fand einen Stellmacher in der Nähe der übergroßen Kirche, der sich bereit erklärte, die Achse umgehend zu reparieren.
Dann sah er die Burg. Sie thronte auf einem Hügel über der Stadt, flache Steinhäuser drängten sich wie Schutz suchend um den Burgberg. Und von dort kam in diesem Augenblick ein Trupp bewaffneter Ritter im Prachtharnisch herunter.
Die Reiter im vollen Wappenschmuck saßen auf mächtigen, mit roten Satteldecken geschmückten Schlachtrössern, wilde Männer in Kostümen aus gefärbtem Flachs trugen ihre Standarten sowie das Banner des Königs, die Oriflamme, voran, die in der Sonne glitzerten und heftig im Wind wehten. Zogen sie zu einem glanzvollen Turnier oder einem der endlosen Bankette in die Stadt? Henri begriff den Anlass ihres stolzen Aufzugs nicht gleich. Dann sah er jedoch den Grund.
Die Ritter führten in ihrer Mitte zwei gefesselte Männer mit sich. Man hatte ihnen Sackleinen über die Köpfe gezogen. Als sie näher kamen, war Henri wie vom Schlag gerührt. Er begriff, dass die Gefangenen Templer sein mussten, denn sie trugen ihr weißes Ornat mit dem blutroten Tatzenkreuz auf Brust und Rücken. Und jetzt bemerkte er auch, wohin sie zogen. Zum größten Platz der Stadt, am Portal der Kirche.
Henri schloss sich ihnen an, und dann sah er die Menschenmenge, unter ihnen Hunderte von Mönchen. Feuer brannten in Pechpfannen, überall standen Buden und Garküchen, Schänken waren aufgebaut, an denen die Einwohner kräftig zechten. Furchtbar war der Anblick eines Podestes, auf dem ein Galgen errichtet worden war, und dahinter hatte man Holzscheite zu zwei Scheiterhaufen aufgeschichtet.
Es bedurfte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was hier sogleich geschehen würde.
Henri überlegte, ob er bleiben sollte. Wieder sollten Brüder schuldlos hingerichtet werden! Sollte er es mit ansehen? Konnte er es überhaupt ertragen? Vielleicht konnte er sie den Händen der Häscher entreißen? Er sah sich nach allen Seiten um. Überall drängte die Menge heran. Die Ritter geleiteten ihre Opfer zum Schafott, schon hielten sie vor dem Galgen.
Henri suchte angestrengt nach einem Ausweg. Aber sein Mut sank mit jedem Herzschlag. Er sah keine Möglichkeit, etwas zu tun. Selbst wenn er die Brüder vor dem Strangulieren bewahren konnte, ein Entkommen aus der Stadt war aussichtslos.
Die Menge johlte. Kleine Jungen warfen Steine auf die beiden Opfer, denen man jetzt die Kapuzen vom Kopf zog. Henri kannte die Unglücklichen nicht, deshalb war er sicher, dass auch sie ihn in der Menge nicht erkennen konnten. Waschweiber mit krummen Rücken und roten Händen sprangen jetzt zeternd vor und bespuckten die Gefangenen. Die Ritter trieben sie halbherzig zurück. Wieder kamen von hinten Steine und Abfall angeflogen, auch die Bewacher wurden nun davon getroffen.
»Hängt sie alle auf! Ketzer und Kirchenfürsten gleichermaßen!«
»Und die anderen Herren gleich noch dazu!«
»Nur die einfachen Leut’ sollen regieren!«
Henri schüttelte den Kopf. Dieses Land war in Aufruhr. Die Zeiten von Recht und Gesetz schienen vorbei. Jetzt regierten Willkür und blanker Hass. Die Menge drängte nach vorn, Henri wurde geschoben, Ellenbogen stießen in seine Rippen.