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Die Kinder schwiegen nach der Erzählung des Bibers.

Sie hatten so aufmerksam zugehört, daß sie lange nichts anderes wahrnahmen. Doch dann rief Lucy plötzlich aus: »Hallo, wo steckt denn Edmund?«

Eine entsetzliche Pause folgte. Einer fragte den andern.

»Wer sah ihn zuletzt? Wie lange ist er schon weg? Ist er draußen?« Und alle drängten sich zur Tür, um nach ihm auszuschauen. Der Schnee fiel dicht und gleichmäßig, und das grüne Eis des Tümpels war unter einer dicken, weißen Decke verschwunden. Von der Mitte des Dammes, wo das kleine Haus stand, war kaum das Ufer zu sehn. Sie liefen hinaus und versanken bis über die Fußknöchel in dem weichen Neuschnee. Sie rannten in allen Richtungen um das Haus. »Edmund! Edmund!« riefen sie, bis sie heiser wurden. Aber der lautlos fallende Schnee dämpfte ihre Stimmen, und nicht einmal ein Echo kam als Antwort.

»Geradezu schrecklich«, jammerte Suse, als sie endlich verzweifelt zurückkehrten. »Ach, ich wünsch­te, wir wären niemals hierhergekommen.«

»Was um Himmels willen sollen wir jetzt tun, Herr Biber?« fragte Peter.

»Tun?« antwortete der Biber, der schon dabei war, seine Schneestiefel anzuziehn. »Wir müssen sofort aufbrechen! Keinen Augenblick dürfen wir zögern.«

»Am besten teilen wir uns in vier Rettungsgruppen. Jeder geht in eine andere Richtung«, schlug Peter vor. »Wer ihn findet, kommt gleich zurück und…«

»Rettungsgruppen, Adamssohn?« unterbrach der Biber.

»Wozu das?«

»Selbstverständlich, um Edmund zu suchen.«

»Es hat keinen Zweck, ihn zu suchen«, knurrte der Biber.

»Was soll das heißen?« fragte Suse. »Er kann doch nicht weit sein! Wir müssen ihn finden! Warum behaupten Sie, daß es keinen Zweck hat, ihn zu suchen?«

»Weil es ganz klar ist, wo er ist«, antwortete der Biber.

Alle starrten ihn atemlos an. »Begreift ihr denn nicht? Er ist zu ihr gegangen, zur Weißen Hexe. Und er hat uns verraten.«

»Oh, unmöglich!« rief Suse. »Das kann er nicht getan haben.

»Kann er wirklich nicht?« sagte der Herr Biber und musterte die Kinder mit scharfem Blick. Was sie auch vorbringen wollten, erstarb auf ihren Lippen, denn jedes von ihnen war plötzlich ganz sicher: Genau das war es, was Edmund getan hatte.

»Aber wieso kennt er den Weg?« fragte Peter.

»Ist er denn nie vorher hier im Land gewesen?« fragte der Biber.

»Doch«, antwortete Lucy. »Leider war er schon hier.«

»Und hat er auch erzählt, was er getrieben hat, wem er begegnet ist?«

»Nein, das tat er nicht«, sagte Lucy.

»Dann glaubt mir«, sagte der Biber, »die Weiße Hexe hat ihn erwischt, und er hat sich auf ihre Seite geschlagen. Er hat erfahren, wo sie wohnt. Ich wollte es bisher nicht erwähnen, da er euer Bruder ist… und überhaupt… und so. Aber als ich seine Augen sah, sagte ich mir: Das ist ein Verräter. Er sah aus wie einer, der bei der Zauberin gewesen ist und ihre Spei­sen genossen hat. Wenn man lange genug in Narnia gelebt hat, erkennt man das sofort an den Augen.«

»Und wenn auch«, sagte Peter mit halberstickter Stimme.

»Wir müssen ihn suchen gehn! Selbst wenn er ein rechtes kleines Biest ist, bleibt er doch unser Bruder, und er ist auch nur ein Kind.«

»In das Haus der Hexe gehn?« rief die Frau Biberin.

»Begreife doch, du mußt ihr fernbleiben. Das ist die einzige Möglichkeit, ihn und euch zu retten.«

»Wie stellen Sie sich das vor?« fragte Lucy.

»Ei! Sie will ja gar nichts anderes als euch alle vier auf einmal kriegen. Die ganze Zeit denkt sie an nichts anderes als an ihre vier Throne auf Feeneden. Sobald ihr alle vier in ihrem Haus seid, hat sie gewonnenes Spiel, und bevor ihr noch Piep sagen könnt, stehn vier neue Steinfiguren in ihrer Sammlung. Solange er der einzige ist, läßt sie ihn leben und benutzt ihn als Lockvogel. Er ist der Köder, mit dem sie euch fangen will.«

»Oh, kann uns denn keiner helfen?« wehklagte Lucy.

»Niemand als Aslan, sagte der Biber. »Er ist unsere einzige Hoffnung.«

»Meine Lieben«, sagte nun die Bibern. »Es wäre wichtig zu wissen, wann er entwischt ist. Er kann ihr nur verraten, was er hier gehört hat. Haben wir Aslan schon erwähnt? Wenn nicht, dann ist alles gut. Dann weiß sie gar nicht, daß Aslan in Narnia angekommen ist und daß wir ihm begegnen sollen. Sie wird, was das anbelangt, nicht auf ihrer Hut sein.«

»Ich erinnere mich nicht mehr«, begann Peter. »War er noch dabei, als wir von Aslan sprachen?«

»Doch, er war dabei.« Lucys Stimme klang kläglich.

»Erinnert euch doch. Er fragte, ob die Hexe nicht auch Aslan versteinern könnte.«

»Schlimm, schlimm«, meinte der Biber. »Und nun weiter: War er noch da, als ich euch erzählte: der Treffpunkt mit Aslan ist der Steintisch?«

Auf diese Frage wußte keiner eine Antwort.

»Denn«, meinte der Biber, »wenn er das gehört hat, dann jagt sie einfach mit ihrem Schlitten in dieser Richtung los, fängt uns noch, bevor wir den Steintisch erreichen, und wir sind von Aslan abgeschnitten.«

»Das ist nicht ihr erster Gedanke«, sagte die Biberin.

»Nein, nein, ich kenne sie. Sobald ihr Edmund erzählt hat, daß wir hier alle beisammensitzen, versucht sie, uns gleich hier zu fangen. Wenn sie vor einer halben Stunde aufgebrochen ist, kann sie in einer Viertelstunde hiersein.«

»Du hast recht, liebe Frau«, bestätigte ihr Mann. »Wir müssen fort! Jeder Augenblick ist kostbar.«

IM HAUS DER ZAUBERIN

Nun wollt ihr natürlich wissen, was mit Edmund geschah. Er hatte gegessen, was es zu essen gab, aber es schmeckte ihm nicht recht, denn die ganze Zeit über dachte er an den türkischen Honig, und nichts verdirbt den Appetit so sehr, als wenn man an Zauber­schlecke­reien denkt. Er hatte dem Gespräch mit großem Mißbehagen zugehört, denn er hatte ja gemerkt, daß die andern ihn nicht beachteten, ja sogar ihm die kalte Schulter zeigten. Das taten sie zwar nicht, aber er bildete sich das eben ein. Er hatte auch noch gehört, wie der Biber von Aslan gesprochen und gesagt hatte, daß sie ihn am Steintisch treffen wollten. Da zog er sich leise zurück und verbarg sich hinter dem Vorhang, der vor der Tür hing. Denn bei der Erwähnung Aslans überkam ihn geheimnisvoller Schrecken wie die andern geheimnisvoll Liebliches.

Gerade als der Biber den Spruch von Adams Fleisch und Blut aufsagte, drückte Edmund lautlos die Klinke nieder, und noch bevor der Biber erklärte: die Weiße Hexe sei kein wirklicher Mensch, sondern halb Dämonin, halb Riesin, glitt Edmund hinaus in den Schnee und schloß behutsam die Tür hinter sich.

Ihr müßt nun nicht denken, Edmund sei so schlecht gewesen zu wünschen, sein Bruder und seine Schwestern sollten in Stein verwandelt werden. Er hatte keinen andern Wunsch, als türkischen Honig zu naschen, Prinz zu werden und später gar König. Aber er wollte es auch Peter heimzahlen, daß er ihn ein Biest genannt hatte. Die Zauberin mochte mit den andern anfangen, was sie wollte, keinesfalls sollte sie besonders nett zu ihnen sein oder sie so gut wie ihn behandeln. Es gelang ihm zu glauben, oder er tat wenigstens so, als ob er es glaube, die Hexe würde ihnen nichts wirklich Böses antun. »Denn« sagte er sich, »alle Leute, die so häßliches Zeug über sie reden, sind ihre Feinde. Wahrscheinlich ist nur die Hälfte davon wahr. Zu mir war sie jedenfalls sehr nett, viel netter als die Meinen. Ich glaube, sie ist die wirkliche Königin, auf jeden Fall wird sie besser sein als der gräßliche Aslan.«