»Ich werde es Ihrer Majestät melden«, sagte der Wolf.
»Bleibe Er indessen unbeweglich auf der Schwelle stehn, wenn Ihm sein Leben lieb ist.« Der Wolf verschwand im Haus. Edmund stand und wartete. Seine Finger schmerzten vor Kälte, und sein Herz hämmerte gegen die Brust.
Bald darauf kam der graue Wolf, Maugrim, Oberst der geheimen Zauberpolizei, zurück und rief: »Komm Er herein, komm Er herein, beneidenswerter Günstling der Königin, oder vielleicht auch nicht so zu beneidender!«
Edmund überschritt die Schwelle, er ging sehr behutsam, um nicht auf die Pfoten des Wolfes zu treten.
Er kam in eine lange dämmerige, von vielen Säulen getragene Halle. Sie war genauso voll von Steinfiguren wie der Hof. Gleich neben der Tür stand ein kleiner Faun mit einem sehr traurigen Gesicht. Das ist sicherlich Lucys Faun, dachte Edmund. Es war nur spärlich Licht im Raum, eine einzige Lampe brannte, und dicht neben ihr saß die Hexe.
»Da bin ich, Eure Majestät.« Edmund lief eifrig auf sie zu.
»Er wagt es, allein zu kommen?« fragte die Hexe mit schrecklicher Stimme. »Habe ich Ihm nicht gesagt, Er soll die andern mitbringen?«
»Bitte sehr, Majestät, ich tat, was ich konnte. Ich brachte sie ganz in die Nähe. Sie stecken in dem kleinen Haus, gerade oberhalb des Flusses auf dem Damm, bei Herrn und Frau Biber.«
Ein schlaues, grausames Lächeln glitt über der Hexe Gesicht.
»Sind das alle Neuigkeiten?« fragte sie.
»Nein, Majestät«, und Edmund erzählte ihr alles, was er vor dem Verlassen des Biberhauses mit angehört hatte.
»Was? Aslan ist da?« schrie die Hexe. »Aslan? Ist das wahr? Wehe, wenn Er mich belügt.«
»Bitte schön, ich wiederhole nur, was sie gesagt haben«, stammelte Edmund.
Aber die Königin beachtete ihn nicht länger. Sie klatschte in die Hände, und sofort erschien derselbe Zwerg, den Edmund bereits von ihrer ersten Begegnung her kannte.
»Mach den Schlitten bereit«, befahl die Hexe, »aber nimm das Zaumzeug ohne Glöckchen!«
DER ZAUBERBANN WEICHT
Nun zurück zu Herrn und Frau Biber und den drei Kindern. Sowie der Biber sagte: »Es ist höchste Zeit«, schlüpften alle in ihre Mäntel, nur die Frau Biberin nicht. Sie holte Rucksäcke, legte sie auf den Tisch und bat: »Lieber Mann, reich mir jetzt den Schinken herunter, und dort ist ein Päckchen Tee, da Zucker, hier Zündhölzer, und einer soll mir aus dem irdenen Topf in der Ecke zwei oder drei Brote langen.«
»Was tun Sie da, Frau Biberin?« erkundigte sich Suse.
»Ich packe uns allen etwas zum Essen ein, mein Kind«, meinte die Biberin sehr gelassen. »Oder glaubst du vielleicht, wir machten uns ohne Essen auf den Weg?«
»Aber wir haben doch keine Zeit«, klagte Suse und knöpfte ihren Mantelkragen zu. »Sie kann ja jede Minute hier sein.«
»Das sage ich auch«, stimmte ihr der Biber zu.
»Nun regt euch nur nicht auf«, sagte seine Frau.
»Überleg dir doch, lieber Mann, sie kann frühestens in einer Viertelstunde hier sein.«
»Aber sollten wir nicht schon einen möglichst weiten Vorsprung haben?« meinte Peter, »damit wir vor ihr am Steintisch sind?«
»Ja das sollten Sie sich überlegen, Frau Biberin«, sagte Suse. »Wenn die Hexe hereinschaut und merkt, wir sind gerade erst fort, wird sie uns mit Windeseile nachjagen.«
»Das wird sie wohl«, antwortete die Biberin. »Aber was wir auch tun, wir können keinesfalls vor ihr dort sein, denn sie fährt im Schlitten, und wir gehn zu Fuß.«
»Dann haben wir ja gar keine Hoffnung!« rief Suse.
»Mach nur jetzt keinen Kuddelmuddel, mein Kind, sondern nimm lieber ein halbes Dutzend saubere Taschentücher aus der Schublade. Natürlich haben wir genug Hoffnung. Wir können nicht vor ihr dort sein, aber wir können uns im Dickicht verbergen und Pfade wählen, die sie nicht kennt. Vielleicht kommen wir so durch.«
»Das ist schon richtig, liebe Frau«, sagte ihr Mann, »aber es ist trotzdem höchste Zeit, hier rauszukommen.«
»Jetzt verliere nicht auch du noch den Kopf, lieber Mann«, beruhigte ihn seine Frau. »Da, das ist besser. Hier sind vier Rucksäcke, der kleinste ist für die Kleinste von uns. Das bist du, mein Kind«, setzte sie hinzu und schaute auf Lucy.
»Ach bitte, bitte, kommt«, bettelte Lucy.
»Schon gut, ich bin fast fertig«, antwortete die Biberin und ließ sich von ihrem Mann in die Schneestiefel helfen.
»Die Nähmaschine wird wohl zu schwer sein zum Mitnehmen?« ,Ja, die ist viel zu schwer«, sagte der Biber. »Und du glaubst doch selbst nicht, daß du sie unterwegs brauchen kannst.«
»Nein, aber ich krieg' den Gedanken nicht los, daß die Hexe daran herumpfuscht, sie ruiniert oder stiehlt, das wäre nämlich gut möglich.«
»Oh, bitte, bitte, bitte, beeilt euch«, drängten die drei Kinder.
Schließlich waren sie glücklich draußen, und der Biber versperrte die Tür.
»So, das wird sie ein bißchen aufhalten«, brummelte er.
Sie hängten sich die Rucksäcke über die Schultern und marschierten ab. Es hatte aufgehört zu schneien, und der Mond ließ sich wieder einmal sehn, als sie ihren Weg antraten. Sie gingen im Gänsemarsch, zuerst der Biber, dann Lucy, dann Peter, dann Suse, und zum Schluß kam die Biberin. Der Biber führte sie über den Damm ans rechte Flußufer und dann zwischen den Bäumen die Uferböschung hinab. Die Talseiten waren vom Mond beschienen, sie türmten sich zu beiden Seiten hoch auf.
»Halten wir uns soweit wie möglich hier unten«, bat der Biber. »Sie muß mit ihrem Schlitten oben auf der Höhe bleiben. Sie kann ja nicht herunterschlittern.«
Was für ein schönes Bild wäre es gewesen, hätte man es durch ein Fenster vom bequemen Stuhl aus betrachtet.
Und selbst so hatte Lucy zunächst ihre Freude daran, doch als sie weiter und immer weiter gingen und gingen, wurde der Rucksack schwer und schwerer, und sie fragte sich, wie das alles wohl enden solle. Sie blieb stehn und sah sich die flimmernde Helle des gefrorenen Flusses mit seinen erstarrten Wasserfällen, die weißen Schneelasten der Baumwipfel, den großen klaren Mond und die unzähligen Sterne an. Sie beobachtete Herrn Bibers kurze Beinchen, die vor ihr, pitsch – patsch – pitsch – patsch, durch den Schnee watschelten, als würden sie niemals stillestehn. Dann versteckte sich der Mond wieder, und es fing von neuem an zu schneien. Lucy war so müde, daß sie fast im Laufen eingeschlafen wäre, da bemerkte sie plötzlich: Der Biber wandte sich vom Ufer ab nach rechts, führte sie steil aufwärts in dichtes Strauchwerk, und hast du nicht gesehn, verschwand er in einem kleinen Loch das fast unsichtbar war unter dem Gebüsch, und erst wenn man ganz nahe stand, entdeckte man es. Bevor sich Lucy überhaupt klar wurde, was geschah, sah sie nur noch seinen kurzen breiten Schwanz herausragen.
Sofort bückte sie sich und krabbelte ihm nach. Dann hörte sie Stoßen und Strampeln und Scharren hinter sich und in wenigen Minuten waren alle fünf drinnen.
»Wo um alles in der Welt sind wir?« fragte Peter.
Seine Stimme klang müde und blaß. (Ich hoffe, ihr versteht, was ich mit einer Stimme, die blaß klingt, sagen will?)
»Das ist ein alter Biberschlupfwinkel für gefährliche Zeiten, ein großes Geheimnis. Wir haben nicht viel Platz, aber wir brauchen ein paar Stunden Schlaf«, erklärte der Biber.
»Hättest du beim Abmarsch nicht so gedrängelt, dann hätte ich einige Kissen mitgenommen«, klagte die Biberin.
Die Höhle war nicht halb so hübsch wie die von Herrn Tumnus, stellte Lucy fest. Es war ein sandiges, aber immerhin trockenes Erdloch. Es war sehr eng, und nachdem alle sich niedergelegt hatten, bildeten sie nur ein einziges Pelz- und Kleiderbündel, aber dadurch wärmten sie einander, und nach dem langen Marsch fehlte nicht viel, so wäre es geradezu heimelig gewesen.