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Ach, zum erstenmal, seitdem er Narnia betreten hatte, sah er das dunkle Grün einer Tanne. Aber er konnte nicht länger schaun und lauschen, denn die Hexe rief: »Starr Er nicht so vor sich hin, Dummkopf, steige Er aus und helfe Er ziehn!« Edmund mußte gehorchen. So kletterte er in den Schnee hinaus, der wirklich nur noch Matsch war. Er half dem Zwerg, den Schlitten aus dem Schlamm herauszuziehn, in dem er feststeckte. Endlich wurde der Schlitten wieder flott, und mit furchtbarer Grausamkeit trieb der Zwerg die Rentiere derart an, daß es wieder ein Stück weiterging, aber bald war kaum noch Schnee vorhanden, überall tauchten Grasflächen auf. Man kann sich vorstellen, wie tief beeindruckt Edmund war, als er nach so viel Schnee endlich frische Rasenflächen sah.

Da stak der Schlitten wieder fest.

»Es geht nicht, Majestät«, klagte der Zwerg. »Bei solchem Tauwetter können wir unmöglich Schlitten fahren.«

»Dann müssen wir eben zu Fuß gehn«, erwiderte die Hexe.

»Zu Fuß werden wir sie niemals erreichen«, knurrte der Zwerg. »Bei dem Vorsprung, den sie haben.«

»Ich habe dich nicht um Rat gefragt«, sagte die Hexe.

»Tu, was ich dir befehle! Zerschneide das Gespann der Rentiere, und laß sie laufen! Sie werden ihren Heimweg allein finden. Dann binde dem Menschen­geschöpf die Hände auf dem Rücken mit dem Seil zusammen, nimm das Ende in die Hand und benutze deine Peitsche!«

Der Zwerg gehorchte. Er stieß Edmund aus dem Schlitten, und nun mußte der Junge mit zusammen­gebundenen Händen laufen, so schnell er nur konnte. Er versank in Schlamm und Matsch, und jedesmal wenn er ausrutschte, fluchte der Zwerg und ließ ihn die Peitsche fühlen.

Die Hexe ging hinter dem Zwerg und rief unablässig: »Schneller, schneller!«

Der Schnee schwand immer rascher dahin, das Gras wurde dichter, es breitete sich aus, und die Bäume hatten alle weißen Schneehüllen abgeschüttelt. Wohin man blickte, überall war dunkles Tannengrün zu sehn, stachlige Zweige, vom Schnee befreite Eichen, Buchen und Ulmen. Dann verwandelte sich der weiße Nebel in Gold, und gleich darauf klärte es sich auf. Sonnen­strahlen glitten über den Waldboden, und durch die Baumkronen war schon ein Stück blauer Himmel sichtbar. Bald vollzogen sich weitere Wunder. Sie kamen zu einer Gruppe Silberbirken, und Edmund sah den Boden ringsum mit kleinen, gelben Sternblumen besät. Der Lärm der rauschenden Wasser wurde stärker, jetzt überquerten sie einen schäumenden Bach, Schneeglöckchen wuchsen jenseits des Ufers.

Als Edmund den Kopf drehte, um sie näher zu besehn, zog der Zwerg den Strick heimtückisch an und rief: »Kümmere dich um dich selbst!« Doch das hinderte Edmund nicht, sich umzuschaun. Wenige Minuten später gewahrte er Krokusse. Sie blühten goldgelb, lila und weiß um einen alten Baum. Dann erklang ein noch süßerer Laut. Ein Vogel trillerte auf einem Baum neben ihrem Pfad. Aus der Ferne antwortete von allen Seiten ein Piepsen, Pfeifen, Zwitschern und Trillern. Der eine Ruf war nur der Auftakt zu einem vielstimmigen Singsang gewesen. Der ganze Wald war davon erfüllt, und wohin Edmund seine Augen auch richtete, auf allen Ästen saßen Vögel, flogen über ihn dahin, jagten einander, stritten ein wenig, putzten ihr Gefieder oder schnäbelten miteinander.

»Schneller, schneller!« schrie die Hexe.

Keine Spur vom Nebel war mehr vorhanden. Der Himmel wurde blauer und blauer. Dann und wann zogen weiße Wolken darüber hin, und in den Wiesen blühten die Primeln.

Eine leichte Brise erhob sich und schüttelte Tropfen von den schwankenden Zweigen auf die erhitzten Gesichter der Wandernden.

Die Bäume waren zu vollem Leben erwacht, die Birken und Lärchen mit Grün bedeckt, der Goldregen trug seine gelben Dolden. Eine Biene summte vor ihnen und flog quer über ihren Pfad.

»Das ist kein Tauwetter mehr!« rief der Zwerg plötzlich und blieb stehn. »Das ist der Frühling. Was sollen wir nun machen? Mit Euerm Winter ist es aus. Ich sage Euch, das ist Aslans Werk! Das hat er getan.«

»Wer von euch noch einmal diesen Namen erwähnt, soll sofort sterben!« schrie die Hexe.

PETERS ERSTER KAMPF

Während der Zwerg und die Hexe so sprachen, gingen der Biber und die Kinder fern von ihnen Stunden um Stunden wie in einem schönen Traum dahin. Schon lange hatten sie ihre Mäntel abgelegt. Soeben blieben sie stehn und riefen sich gegenseitig zu: »Seht, ein Eisvogel!« – »Hallo, dort eine blaue Glockenblume!« – »Ach, und was riecht da so gut?« – »Horcht, eine Drossel!« Sie setzten ihren Weg fort und schwiegen wieder. Sie kamen über warme, von der Sonne beschienene Stellen, in grünes, kühlendes Dickicht, traten auf weite Moosflächen, wo schlanke Ulmen das blätterreiche Dach über ihren Köpfen ausbreiteten, und dann mitten hinein in dichte, blühende Johannisbeer­sträucher; an Schlehdornhecken entlang, deren süßer Duft sie fast überwältigte. Sie waren genauso überrascht wie Edmund, daß der Winter verschwunden war und der Wald sich in wenigen Stunden derart verwandelt hatte. Aus Januar war Mai geworden. Sie hatten im Gegensatz zu der Hexe nicht einmal gewußt, daß dies so kommen mußte, sobald Aslan in Narnia war, aber sie alle wußten: Ihr böser Zauber hatte den endlosen Winter hervorgebracht; und so wußten sie auch, angesichts dieses bezückenden Frühlings, daß etwas schiefgegangen war, ganz schief mit den Plänen der Hexe. Und da es weitergetaut hatte, einige Zeit schon, war es ganz klar, daß sie den Schlitten nicht länger benutzen konnte. Folglich hatten sie weniger Eile, und sie rasteten ausgiebiger, denn sie waren ziemlich müde, nicht eben erschöpft, nur träger und schläfriger. So ist einem zumute, wenn ein herrlicher langer Tag im Freien sich dem Ende zuneigt und man dies Ende bereits sieht. Suse hatte an einer Ferse eine kleine Blase.

Sie waren schon seit geraumer Zeit vom großen Fluß immer nach rechts abgewichen, sie wanderten gen Süden, um an den Ort des Steintisches zu kommen. Auch wenn es nicht ihr Weg gewesen wäre, hätten sie nicht länger im Flußtal bleiben können. Durch die Schneeschmelze war der Strom angeschwollen, eine prachtvoll brüllende, gelbe Flut wälzte sich vor ihnen, und ihr Pfad wäre überschwemmt gewesen. Die Sonne senkte sich, das Licht wurde röter und die Schatten länger. Die Blumen begannen sich zu schließen.

»Nicht mehr lange!« sagte der Biber und führte sie über tiefes, weiches Torfmoos bergan. Das weiche Moos war sehr angenehm unter ihren müden Füßen. Sie erreichten einen Platz mit hohen Bäumen, die weit auseinander wuchsen. Sie keuchten und schnauften bei diesem Aufstieg am Ende eines langen Tages, und als sie sich eben fragten, ob sie wohl noch auf die Höhe kämen ohne eine nochmalige lange Rast, waren sie plötzlich auch schon oben.

Was sahen sie da?

Sie standen auf einer grünen, offenen Lichtung und konnten nach allen Seiten ausgedehnte Wälder sehn. Nur geradeaus, fern im Osten, bewegte sich etwas Glänzendes.

»Donnerwetter«, flüsterte Peter Suse zu. »Das Meer!«

Oben auf dem Hügel stand der Steintisch, eine mächtige Platte aus grauem Stein, von vier Steinpfeilern getragen. Sie sah sehr alt aus und war über und über mit seltsamen Linien und Figuren bedeckt. Es wurde einem ganz seltsam zumute, wenn man sie betrachtete, es mochten Buchstaben einer unbekannten Sprache sein. Das nächste, was sie erblickten, war ein Zelt, das auf einer Seite der Hoch­fläche errichtet war, ein wunderbares Zelt, besonders jetzt, wo es in den Strahlen der unter­gehenden Sonne erglänzte. Die Wände schienen aus gelber Seide zu sein, mit purpurnen Schnüren und elfenbeinernen Zeltpflöcken. Hoch darüber wehte von einem Mast das Banner, das einen aufgerichteten roten Leu zeigte, ein leichter Wind blies vom fernen Meer. Er kühlte ihnen die Gesichter und bewegte die Flagge. Während sie das alles fast andächtig still betrachteten, hörten sie Musik. Als sie die Köpfe nach rechts wandten, sahen sie ihn.