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»Ach, wie können sie nur«, klagte Lucy – Tränen strömten über ihre Wangen. »Diese Rohlinge!«

Das geschorene Antlitz Aslans sah schöner und geduldiger aus denn je zuvor.

»Legt ihm einen Maulkorb an!« befahl die Hexe. Sogar jetzt, wo sie an ihm herumarbeiteten und ihm den Maulkorb anzwängten, hätte ein einziger Biß seines Rachens sie mehrere Gliedmaßen kosten können. Doch er regte sich nicht. Das aber schien das Gesindel zu ärgern. Alle stürzten sich nun auf ihn, selbst diejenigen, die sich bisher noch gefürchtet hatten. Aber nachdem er so gefesselt und mit einem Maulkorb vor ihnen lag, wurden sie mutiger, und eine Weile lang konnten die beiden Mädchen Aslan nicht einmal mehr sehn, so dicht war er umringt von diesem scheußlichen Gewimmel, das ihn mit Füßen trat, ihn stieß, ihn bespuckte und üblen Spott mit ihm trieb.

Dann fesselten sie ihn enger und zogen die Stricke immer stärker an. Er war so gefesselt, daß er nun tatsächlich nur noch einem Knäuel von Stricken glich.

»Oh, diese Feiglinge, diese Feiglinge«, schluchzte Suse.

»Sogar jetzt haben sie noch Angst vor ihm.«

Endlich hatte das Gesindel seine häßlichen Späße satt.

Sie schleppten den gefesselten Löwen mit seinem Maulkorb zum Steintisch. Einige zogen, andere schoben nach, er war zu gewaltig, und sie erschöpften alle ihre Kräfte, um ihn auf die Steintafel zu heben.

Sobald Aslan auf dem flachen Tische lag, erstarrte die Menge in Stille. Vier Furien, vier Fackeln in den Händen, standen an den vier Ecken des Tisches. Die Hexe entblößte wieder ihre Arme, genau wie in der vergangenen Nacht, als es um Edmund und nicht um Aslan ging. Dann wetzte sie ihr Messer, die Kinder sahen das Messer im Fackelschein. Es schien nicht von Stahl, sondern von Stein zu sein und sah unheimlich und seltsam böse aus.

Endlich trat sie nahe an ihn heran und stand ihm zu Häupten. Ihr Gesicht zuckte krampfhaft und war vor Wut verzerrt. Das seine blickte still zum Himmel empor, ohne Groll, ohne Furcht. Da beugte sie sich nieder und rief, ehe sie zum Schlag anhob, mit bebender Stimme: »Wer ist nun obenauf? Hast du, mit all deinem Getue, geglaubt, daß du den verräterischen Menschen retten kannst? Nun hast du zu sterben, so wie wir abgemacht haben, auf daß der Urzauber befriedigt werde. Aber wenn du erst einmal tot bist, wer will mich hindern, auch ihn umzubringen? Begreifst du, daß du mir Narnia für immer ausgeliefert hast? Dein eigenes Leben hast du verloren und seines nicht gerettet. In diesem Bewußtsein magst du verzweifeln und sterben.«

Die Kinder sahen nicht, wie sie ihn tötete. Sie konnten den Anblick nicht ertragen und hatten ihre Augen verhüllt.

NOCH TIEFERER ZAUBER AUS DER ZEITEN DÄMMERUNG

Während die beiden kleinen Mädchen noch in den Büschen kauerten, das Gesicht in den Händen, hörten sie die Hexe rufen: »Mir nach und auf in den letzten Kampf! Noch eine kurze Weile, und wir haben das Menschengezücht ausgerottet, jetzt, da der große Narr, diese Riesenkatze, tot ist.«

Da schwebten die beiden Kinder einige Sekunden lang in großer Gefahr, denn mit wildem Geschrei, gellendem Pfeifen und schrillem Hörnerklang fegte das gemeine Pack gerade an ihrem Versteck vorbei hügelabwärts. Sie fühlten die Gespenster wie einen kalten Wind an sich überstreichen. Der Boden bebte vom Galoppieren der Stiermenschen, und über ihren Köpfen schwirrte der garstige Flügelschlag schwarzer Geier und riesenhafter Fledermäuse. Zu jeder andern Zeit hätten sie vor Furcht gezittert, aber ihr Herz war zu voll von Trauer, Schrecken und Scham über Aslans Tod, und sie achteten kaum auf etwas anderes.

Sobald der Wald wieder still geworden war, erkletterten Suse und Lucy den Hügel. Der Mond war im Untergehn, leichte Wolken glitten über ihn hin, aber sie sahen gleich die Gestalt des toten Löwen in seinen Fesseln. Sie knieten beide im nassen Gras, sahen sein kaltes Gesicht und streichelten sein schönes Haar, soviel davon übriggeblieben war, und weinten, bis sie keine Tränen mehr hatten. Dann blickten sie sich an, faßten sich aus lauter Einsamkeit an den Händen, weinten aufs neue und verstummten abermals. Endlich sagte Lucy: »Ich kann den häßlichen Maulkorb nicht ertragen, können wir ihn nicht abnehmen?«

Sie versuchten es, und nach vielen Anstrengungen, ihre Finger waren starr vor Kälte, und es war stockfinstere Nacht, gelang es schließlich. Aber als sie sein Gesicht frei sahen, brachen sie von neuem in Tränen aus und liebkosten und hätschelten ihn abermals. Blut und Schaum wischten sie, so gut sie konnten, weg, und alles war unsagbar gottverlassen, unsagbar hoffnungslos, unsagbar grauenvoll.

»Ob wir ihm nicht auch die Fesseln abnehmen könnten?« fragte Suse.

Doch seine Gegner hatten aus purer Bosheit die Stricke so fest angezogen, daß sie keinen Knoten lösen konnten.

Ich hoffe, keiner, der dieses Buch liest, ist jemals so unglücklich und traurig gewesen wie Suse und Lucy in jener Nacht, aber wenn er jemals eine Nacht lang aufgeblieben ist und geweint hat, bis ihm die Tränen versiegten, dann wird er wissen: zu guter Letzt tritt Friede ein, so als ob niemals wieder irgend etwas geschehn könnte. Jedenfalls fühlten die beiden kleinen Mädchen es so.

Stunde um Stunde verstrich in tödlicher Stille. Sie spürten kaum, daß sie froren und daß es kälter und kälter wurde, aber endlich merkte Lucy, wie die Dunkelheit des Himmels sich im Osten erhellte. Es war nicht mehr ganz so schwarz wie vor einer Stunde, und an ihren Füßen sah sie im Gras etwas Winziges hin und her huschen. Zuerst achtete sie nicht darauf. Was bedeutete das schon? Jetzt war nichts mehr wichtig. Doch da sah sie, wie dieses Etwas sich dem Steintisch näherte, und was es auch sein mochte, es krabbelte jetzt sogar auf Aslans Leib herum. Sie betrachtet es genauer, es war etwas Kleines, Graues.

»Ihhh, ihh«, rief Suse über den Tisch hinüber. »Wie ekelhaft! Da krabbeln wirklich kleine Mäuse über ihn hin. Weg mit euch, Geziefer!«, und sie erhob die Hand, um sie zu verscheuchen.

»Warte«, bat Lucy, sie hatte die Tierchen genauer beobachtet. »Siehst du nicht, was sie tun?«

Beide Mädchen beugten sich nieder. »Ich glaube fast…« begann Suse. »Ach, wie sonderbar! Sie nagen die Fesseln durch.«

»Das schien mir auch so«, sagte Lucy, »und ich glaube, es sind gute Mäuse. Ach, die armen kleinen Dinger wissen noch gar nicht, daß er tot ist. Sie denken, es nützt etwas, wenn sie ihn befreien.«

Es wurde nun wirklich heller, und auf einmal merkten die Kinder, wie blaß sie beide aussahen. Sie sahen, die Mäuse knabberten und nagten weiter. Viele, viele Hundert Feldmäuse nagten ein Seil nach dem andern durch, indes die Sterne verblaßten und der Himmel weiß wurde.

Nur ein großer Stern schwebte noch tief am östlichen Horizont. Suse und Lucy froren jetzt noch mehr als in der Nacht. Die Mäuse huschten lautlos davon, und die Mädchen räumten die zernagten Stricke beiseite. Befreit von ihnen, glich Aslan wieder mehr sich selbst. Ja, von Minute zu Minute sah sein Antlitz edler aus, und jetzt, da es lichter wurde, konnten sie ihn deutlicher erkennen.

Hinter ihnen im Wald ließ ein Vogel einen lachenden Ruf ertönen. Es war viele Stunden lang so still gewesen, daß sie bei diesem Laut erschraken. Dann antwortete ein anderer Vogel, und bald erscholl allüberall Vogelsang.

Der Morgen war angebrochen, die Nacht war vergangen.

»Mich friert«, klagte Lucy.

»Mich auch«, sagte Suse. »Laufen wir ein wenig auf und ab.«

Sie liefen bis zum östlichen Hügelrand und schauten hinab. Der eine große Stern war fast verschwunden. Das Land war noch tief in Grau, doch dahinter, am Rand der Welt, schimmerte das fahle Meer. Der Himmel rötete sich. Die beiden Mädchen liefen ungezählte Male hin und her, um sich zu erwärmen. Ach, wie müde waren alle ihre Glieder. Dann standen sie einen Augenblick still und schauten auf das Meer und Feeneden, das sie eben erst erkennen konnten. Dort, wo Meer und Himmel sich berührten, wandelte sich das Rot in Gold, und langsam stieg der Sonnenball empor. Da hörten sie hinter sich ein lautes Krachen.