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Selbstverständlich folgten die Kinder mit ihren Augen dem Löwen, aber es gab so viele Wunder zu sehn, daß sie ihn bald vergaßen. Überall begannen die Steingebilde zu leben. Der Hof glich nicht länger einem Museum, sondern viel eher einem zoologischen Garten. Allerhand Tiere eilten zu Aslan und umringten ihn, zeitweilig verschwand er gänzlich im Gedränge. Das unheimlich farblose Grau des Hofes verwandelte sich in lebendigen Farbenglanz. Das warme Kastanien­braun der Zentaurenleiber, das Indigoblau des Hornes der Einhörner, das Rostbraun der Füchse, Hunde und Satyre, die gelben Strümpfe und knallroten Mützen der Zwerge, Eiben und Buchen mit ihrem silbrigen Grün, das Lärchengrün, das fast noch gelblich schimmerte, dazwischen gestreut das Silber der Birkenstämme, und nicht zu vergessen das flammend farbige Gefieder der Vögel.

Aus dem tödlichen Schweigen des Hofes war ein Mordslärm geworden, ein glückliches Bellen, Kläffen, Winseln, das Posaunen der Esel, ein Girren, Gurren, Trillern, Zwitschern, Pfeifen und Tremolieren, ein Stampfen, Wiehern und ein Hurraschreien, ein Jubilieren, Singen und Lachen.

»Oh«, rief Suse ängstlich, »jetzt bin ich begierig, ob das gut ausgeht!«

Lucy blickte auf und sah, wie Aslan die Füße eines versteinerten Riesen anblies.

»Nur keine Angst!« rief Aslan freudestrahlend. »Sobald die Beine sich bewegen, kommt das andere nach.«

»Ja, das eben fürchte ich«, flüsterte Suse in Lucys Ohr.

Aber es war zu spät, es zu verhindern, selbst wenn Aslan es gehört hätte. Das Erwachen krabbelte schon an den Riesenbeinen hoch, und da bewegte er seine Füße, und einen Augenblick später hob er seine Keule auf die Schulter, rieb sich die Augen und sagte: »Lieber Himmel, ich muß eingeschlafen sein. Aber wo steckt die vermaledeite kleine Hexe? Sie war doch eben zum Greifen nahe, zwischen meinen Füßen war sie.«

Alle schrien ihm etwas zu und versuchten ihm zu erklären, was inzwischen tatsächlich geschehen war. Aber erst nachdem der Riese seine Hand ans Ohr gelegt hatte und sie es nochmals wiederholten, verstand er es endlich, zog seine Kappe vor Aslan und beugte seinen Kopf zwei Stockwerke tief zu Boden; dabei strahlte er über sein häßliches, aber gutmütiges Gesicht. Riesen seiner Art sind heute sehr selten, und nur wenig Riesen sind gutmütig.

Ich wette mit euch, ihr habt noch niemals einen »strahlenden« Riesen gesehen. Das ist wirklich ein lohnender Anblick.

»Nun ins Haus hinein!« befahl Aslan. »Schaut euch überall nach Lebendigem um – treppauf, treppab, auch in den Zimmern der Hexe! Untersucht jede Ecke! Ihr ahnt gar nicht, wo noch arme Gefangene verborgen sein können.«

Da rannten alle in das Schloß hinein, und für einige Minuten hallte durch das schrecklich alte dunkle Gebäude das Öffnen der Fenster, und aus jedem hörte man sie einander zurufen: »Vergeßt das Burgverlies nicht!« »Laßt mich diese Tür öffnen.« – »Da ist eine kleine Wendeltreppe.« – »Hört mal, da ist ein Känguruh, ruft Aslan!«

»Pfui, wie das hier stinkt.« – »Sucht nach Falltüren!«

»Hier hinauf!« – »Dort auf dem Treppenabsatz gibt's noch eine Menge.«

Aber das allerbeste war, als Lucy die Treppe heraufgerannt kam und schrie: »Aslan, Aslan, ich habe Herrn Tumnus gefunden, oh, komm schnell!«

Gleich darauf hielten sich Lucy und der kleine Faun bei den Händen und tanzten vor Freude Ringelreihen. Dem kleinen Kerl war die Versteinerung nicht weiter schlecht bekommen, und er war natürlich sehr gespannt auf alles, was sie ihm zu erzählen hatten.

Doch endlich war diese Herumrennerei beendet und das ganze Schloß der Hexe durchstöbert. Nun stand es leer, mit geöffneten Türen und Fenstern, und die Frühlingsluft durchflutete den dunklen ekelhaften Ort, der das so nötig hatte.

Die erlösten Steinfiguren kamen in den Hof zurück, und da geschah es, daß irgend jemand – ich glaube es war Tumnus – zum erstenmal frage: »Aber wie kommen wir denn hier heraus?« Denn Aslan war mit einem Satz über die Mauer gekommen, und das Tor war noch immer verschlossen.

»Das wird schon gehn«, beruhigte Aslan. Dann schrie er dem Riesen zu: »He, du dort oben! Wie heißt du?«

»Riese Rumbelbuffel, mit Verlaub, Euer Gnaden«, antwortete der Riese und zog abermals seine Kappe.

»Nun denn, Riese Rumbelbuffel«, sagte Aslan, »schaff uns einen Ausgang! Willst du?«

»Natürlich, Euer Gnaden, soll mir ein Vergnügen sein«, antwortete der Riese Rumbelbuffel. »Tretet nur vom Tor zurück, ihr kleinen Kribskrabse.« Dann schritt er breitbeinig zum Tor, und: bäng-bäng-bäng, schlug seine ungeheure Keule zu. Die Tore knirschten beim ersten Schlag, knackten beim zweiten, und beim dritten Schlag zersplitterten sie.

Dann machte er sich an die beiden Seitentürme, und nach wenigen Minuten Krachen und Splittern fielen auch diese und ein gut Teilchen der Burgmauer dazu donnernd in sich zusammen und bildeten einen trostlosen Trümmerhaufen. Der Staub verzog sich, und nun war es höchst seltsam, in diesem grimmigen, grauen Steinhof zu stehn und durch die Bresche ins Freie zu schaun. Da sahen sie Gras und wogende Bäume, sie sahen funkelnde Ströme und die Wälder, dahinter blaue Hügel und jenseits der Hügel den Himmelsrand.

»Alle Wetter, ich bin ja ganz in Schweiß gebadet.« Der Riese schnaufte wie eine große Lokomotive. »Ich bin ja ganz aus der Form gekommen. Hat vielleicht eine der jungen Damen so etwas wie ein Taschentuch bei sich?«

»Ja, ich habe eins!« rief Lucy, stellte sich auf die Zehenspitzen und hielt ihr Taschentuch, so hoch sie reichen konnte.

»Vielen Dank, Fräuleinchen«, sagte der Riese Rumbelbuffel und beugte sich nieder. Im nächsten Augenblick bekam Lucy einen Schrecken, denn sie fühlte sich zwischen Zeigefinger und Daumen des Riesen aufgehoben.

Doch als sie schon fast vor seinem Gesicht war, starrte er verwundert und setzte sie sanft auf den Boden zurück.

»Du lieber Himmel«, murmelte er. »Hab' ich doch jetzt das kleine Mädchen erwischt. Entschuldigung, Fräuleinchen, hab' gedacht, Sie seien das Taschen­tuch.«

»Nein, nein«, sagte Lucy. »Das hier ist es.« Diesmal gelang es ihm richtig, es zu fassen, aber es war zwischen seinen Fingern so klein wie eine Saccharin­tablette für uns.

Als Lucy sah, wie er feierlich damit über sein großes, rotes Gesicht fuhr, sagte sie: »Es tut mir leid, Herr Rumbelbuffel, Sie haben nicht viel davon.«

»Aber nein, aber nein«, sagte der Riese höflich. »Hab' noch nie so ein hübsches Tüchlein gehabt! Es ist so fein, so praktisch, so… ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.«

»Was für ein reizender Riese«, meinte Lucy zu Herrn Tumnus.

»O ja«, entgegnete der Faun. »Die Rumbels waren immer so. Die sind die angesehenste Riesenfamilie in Narnia. Nicht besonders gescheit (ich weiß nicht, ob es gescheite Riesen gibt), aber eine alte Familie, weißt du, eine mit Tradition. Andernfalls hätte ihn die Hexe niemals in Stein verwandelt.«

Da klatschte Aslan in die Pfoten und befahl Schweigen.

»Unser Tagwerk ist noch nicht zu Ende«, sagte er.

»Wenn die Hexe vor dem Zubettgehn noch endgültig besiegt werden soll, müssen wir sofort zum Kampf aufbrechen.«