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»Nimm einen Schluck aus der Flasche, das wird dir guttun.«

»Ein Glück, er lebt«, sagte sein Hausgenosse Harrington. »Mein Gott, was für ein Schreck! Ich saß hier und habe gelesen, er wollte sich am Fluß etwas die Füße vertreten. Plötzlich ein Schrei und Platsch! Ich rannte sofort hinunter, doch als ich ihn schließlich fand, schien er schon alles Leben ausgehaucht zu haben. Zu allem Unglück konnte ich Simpson nicht nach einem Doktor schicken, da er sich den Knöchel verstaucht hat, so mußte ich selbst los. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn ihr nicht zu Hilfe gekommen wärt. So ist es richtig, mein Freund, komm hoch.«

Monkhouse Lee hatte sich aufgerappelt. Auf allen vieren gestützt hockte er auf dem Sofa und schaute wild um sich.

»Was ist passiert?« fragte er. »Ach ja, ich war im Wasser, ich erinnere mich.«

Furchtbares Grauen schien auf ihn zurückzufallen, wie man in seinen Augen lesen konnte, und er verbarg sein Gesicht mit den Händen.

»Wie konntest du ins Wasser fallen?«

»Ich bin nicht gefallen.«

»Wie ist es denn sonst passiert?«

»Ich bin hineingeworfen worden. Ich stand am Ufer, da packte mich etwas von hinten, hob mich auf wie eine Feder und warf mich im hohen Bogen in den Fluß. Ich konnte weder etwas sehen, noch hören. Aber trotzdem, ich weiß, was es war.«

»Ich weiß es auch«, flüsterte Smith. Lee sah ihn überrascht an.

»Sie wissen jetzt, worum es geht? Erinnern Sie sich an den Rat, den ich Ihnen gegeben habe?«

»Ja, und ich glaube, ich werde ihn in Zukunft befolgen.«

»Zum Teufel, wovon redet ihr eigentlich?« fragte Hastie. »Lee gehört jetzt ins Bett. Ihr habt noch Zeit genug, über das Warum und Wieso zu reden, wenn er wieder etwas bei Kräften ist. Smith und ich lassen euch jetzt besser allein. Ich gehe zurück zum College; wenn du in dieselbe Richtung mußt, können wir ja noch etwas schwatzen.«

Doch daraus wurde nichts. Smith war einfach zu beschäftigt mit den Ereignissen dieses Abends. Alles paßte zu gut zusammen - zuerst der leere Sarg, dann die schemenhafte Begegnung auf der Treppe, das Wiederauftauchen der Mumie, all diese unglaublichen Vorgänge - und schließlich der Mordanschlag auf Lee, dem ein Überfall auf einen anderen Mann vorausgegangen war, mit dem Bellingham im Streit lag. All das, zusammen mit den Beobachtungen, die er schon vorher im Turm gemacht hatte, die Schritte, die Geräusche, die Umstände, unter denen er Bellingham kennengelernt hatte, wurde in seinen Gedanken zum schlüssigen Bild einer unglaublichen Wirklichkeit. Was vorher ein vager Verdacht, nichts als eine düstere, unheimliche Vermutung war, stand jetzt vor ihm als grausige Tatsache, an der er nicht mehr vorbei konnte. Doch wie unerhört diese Wirklichkeit war, wie weit jenseits aller menschlichen Vorstellung. Jeder unvoreingenommene Richter, ja sogar der Freund, der neben ihm ging, würde ihm schlicht erklären, daß er sich getäuscht haben muß, daß die Mumie ihren Sarg nie verlassen hat, daß Lee ganz einfach in den Fluß gefallen ist, wie es jedem passieren kann, und daß er, Smith, besser nicht soviel arbeiten sollte. Er wußte, daß dies genau seine Worte wären, wenn Hastie an seiner Stelle wäre und ihm diese Geschichte auftischte. Und trotzdem war er jetzt ganz sicher, daß Bellingham im Grunde seines Herzens ein Mörder war, ein Mörder, der sich einer Waffe zu bedienen wußte, die die lange und grausige Geschichte des Verbrechens bisher noch nicht kannte.

Hastie machte ein paar neckische Bemerkungen über die Unleidlichkeit seines Freundes und bog zu seiner Wohnung ab, während Abercrombie Smith mit einem starken Gefühl des Widerwillens gegen seine Behausung und alles, womit er dort zu tun hatte, den Platz vor seinem Turm überquerte. So bald wie möglich wollte er Lees Rat befolgen und sich eine andere Bleibe suchen, denn wie sollte ein Mensch studieren, wenn er unwillkürlich jedem Geräusch im Zimmer unter ihm lauschen mußte. Von der Wiese aus sah er, daß in Bellinghams Zimmer noch Licht brannte, und als er die Treppe hinaufschlich, öffnete sich die Tür im zweiten Stock. Der dicke Mann grinste ihn an. Mit seinem fetten, bösen Gesicht sah er aus wie eine Giftspinne, die gerade ein Opfer verspeist hatte.

»Guten Abend«, sprach er, »wollen Sie nicht hereinkommen?«

»Nein!« schrie ihn Smith an.

»Warum nicht? Sind Sie immer noch so fleißig wie stets? Ich wollte Sie fragen, wie es Lee geht. Ich habe so ein Gerücht gehört, daß etwas mit ihm nicht in Ordnung ist. Das tut mir sehr leid.«

Der Ernst in seiner Stimme wirkte aufgesetzt, denn seine Augen lachten verstohlen. Smith bemerkte das sofort, und er hätte ihn dafür niederschlagen können.

»Es wird Ihnen noch mehr leid tun, daß es Monkhouse Lee ganz gutgeht, er ist außer Gefahr«, antwortete er. »Ihre teuflischen Tricks haben diesmal nicht funktioniert. Sie brauchen gar nicht versuchen, sich herauszureden. Ich weiß alles.«

Bellingham wich vor dem wütenden Mann einen Schritt zurück und versteckte sich halb hinter seiner Tür. Er schien wohl zu spüren, daß ihm Prügel drohten.

»Sie sind ja verrückt«, sagte er. »Was wollen Sie überhaupt? Glauben Sie etwa, ich hätte irgend etwas zu tun mit Lees Unfall?«

»Ja!« donnerte Smith, »Sie und dieser Knochenhaufen hinter Ihnen, den Sie für Ihre schmutzigen Mordanschläge benutzen. Ich will Ihnen etwas sagen, Sie Stinktier: Man hat zwar hierzulande aufgehört, solche wie Sie auf dem Scheiterhaufen zu schmoren, aber einen Henker haben wir immer noch. Und bei Gott, wenn irgend jemand in diesem College umkommt, solange Sie hier sind, werden Sie dafür hängen, so wahr ich hier stehe. Sie werden schon noch merken, daß Ihre schmutzigen ägyptischen Tricks in England nicht ziehen.«

»Sie sind ja wahnsinnig«, sagte Bellingham. »Wie Sie wollen. Sie werden schon an meine Worte denken, wenn Sie auf der Falltür stehen.«

Die Tür knallte ihm ins Gesicht, und er ging wutschnaubend hinauf in seine Kammer. Er verriegelte die Tür und verbrachte die halbe Nacht damit, an seiner Pfeife zu paffen und über die seltsamen Ereignisse des Abends nachzudenken.

Am nächsten Morgen sah und hörte er nichts von seinem Nachbarn, statt dessen kam Harrington vorbei, um ihm zu sagen, daß Lee schon fast wieder der Alte war. Den ganzen Tag über blieb er in seine Studien vertieft, doch am Abend beschloß er, den Besuch bei seinem Freund Peterson nachzuholen, zu dem er am Tag zuvor schon unterwegs gewesen war. Ein strammer Fußmarsch und eine nette Unterhaltung würden seinen strapazierten Nerven wohltun.

Bellinghams Tür war geschlossen, als er vorbeiging, doch als er aus einiger Entfernung zurückblickte, sah er den Rundschädel seines Nachbarn am Fenster, der sich anscheinend die Nase an der Scheibe plattdrückte. Es war eine Wohltat, aus seinem Dunstkreis zu entkommen, wenn auch nur für wenige Stunden. Smith ging schnell weiter und genoß die frische Frühlingsluft. Im Westen, zwischen zwei gotischen Türmen, stand die Mondsichel und tauchte die Landstraße in silbernes Licht, durchbrochen von zackigen Kernschatten der Bäume und Häuser. Es wehte eine frische Brise, und hoch unter dem Himmel trieben langsam wattige Eiswolken. Das Collage steht am Stadtrand, so daß er schon nach fünf Minuten inmitten der Maidüfte einer mittelenglischen Landstraße wandelte.

Die Straße, die zum Haus seines Freundes führte, war einsam und kaum benutzt. Obwohl es noch nicht spät war, traf Smith keine Menschenseele. Er ging zügig weiter, bis er zum Tor des Parkweges kam, der in Farlingford endete. Von ferne schimmerte das trauliche, rote Licht der Wohnstuben durchs Geäst. Einen Moment lehnte er an dem Eisentor und schaute zurück auf die Straße, über die er gekommen war. Nun sah er es: Er wurde verfolgt.

Eine dunkle, gebückte Gestalt bewegte sich lautlos im Schatten der Hecke, kaum wahrnehmbar vor dem dunklen Hintergrund. Innerhalb eines Augenblicks kam es zwanzig Schritt näher, schon war es ganz dicht hinter ihm. In der Finsternis erspähte er einen dünnen Hals und zwei Augen, Augen, die ihn ewig im Schlaf verfolgen sollten. Langsam drehte er sich um, von blankem Entsetzen gepackt, begann er zu laufen, er lief um sein Leben, denn dort, kaum mehr als einen Steinwurf entfernt, war die Rettung: Häuser, Menschen. Er war als ausgezeichneter Läufer bekannt, doch so schnell wie an diesem Abend war er noch nie gelaufen.