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Die Reaktion des Ägyptologen war jedoch nichts gegen das, was der seltsame Museumsdiener jetzt aufführte. Er warf seine Arme in die Höhe und ließ einen wirren Wortschwall los, er wälzte sich vor ihr im Staub, umarmte sie und küßte sie ununterbrochen auf Lippen und Stirn. »Ma petite!« stöhnte er auf französisch, »Ma pauvre petite!« Die Stimme zitterte vor Rührung, nur seine Augen sahen, trocken und tränenlos, immer noch aus wie zwei blanke Stahlkugeln, wie der Engländer im Licht der Lampe erkennen konnte. Minutenlang lag er mit zuckendem Gesicht heulend und stöhnend über dem Kopf der ägyptischen Schönheit. Plötzlich erhellte ein Lächeln sein Gesicht; er sagte einige Worte in einer unbekannten Sprache, dann sprang er auf wie jemand, der Kraft gesammelt hatte für ein weiteres, großes Vorhaben.

In der Mitte des Raumes war ein großes, rundes Kästchen ausgestellt, in dem sich eine großartige Sammlung altägyptischer Ringe und Schmucksteine befand, die der Forscher schon oft bewundert hatte. Der Wärter schlich hinüber und öffnete sie, nachdem er seine Lampe und ein kleines Tonfläschchen, das er aus seiner Tasche geholt hatte, auf dem Sims daneben abgestellt hätte. Nun nahm er eine Handvoll Ringe aus der Schatulle und beträufelte einen nach dem anderen mit einer Flüssigkeit aus dem Fläschchen, wobei er ein höchst ernsthaftes und angespanntes Gesicht machte. Er ließ die Flüssigkeit einen Moment auf jeden der Ringe einwirken und hielt ihn dann gegen das Licht. Offensichtlich war er bei dem ersten Dutzend mit dem Ergebnis nicht zufrieden, denn er warf die Ringe ärgerlich zurück in den Kasten und; nahm eine weitere Handvoll heraus. Nachdem er einen davon, einen schweren Ring mit einem großen Stein, auf diese Weise getestet hatte, sprang er jubelnd in die Höhe, und dabei stieß er das Tonfläschchen um, worauf die Flüssigkeit über den Boden direkt vor die Füße des Engländers floß. Der Wärter wollte wohl keine Spuren hinterlassen; er zog daher ein rotes Taschentuch aus seiner Jackentasche und begann, die Flüssigkeit aufzuwischen. So folgte er dem dünnen Bächlein auf Händen und Knien bis in jene dunkle Ecke hinter der Tür, wo er unvermeidlich an die Füße seines heimlichen Zuschauers stoßen mußte.

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte John Vansittart Smith mit der seinem Volk eigenen Höflichkeit; »ich war leider so ungeschickt, hinter dieser Tür einzuschlafen.«

»Haben Sie mich beobachtet?« fragte der andere, der offensichtlich auch das Englische beherrschte; sein maskenhaftes Gesicht sah dabei höchst feindselig aus.

Smith scheute sich nicht, die Wahrheit zu sagen. »Ich muß gestehen«, sagte er, »daß ich all ihre Bewegungen verfolgt habe und daß Sie in allerhöchstem Maße meine Neugier und mein Interesse geweckt haben.«

Der Mann zeigte ihm ein langes, altertümliches Messer, dessen Klinge wie ein Flammenschwert geschmiedet war. »Sie sind nur haarscharf dem Tod entronnen«, sagte er; »hätte ich Sie vor zehn Minuten entdeckt, dann hätte diese Klinge Ihr Herz durchbohrt. Und Sie können ganz sicher sein, wenn Sie mich anfassen, sind Sie ein toter Mann.«

»Ich will nicht mit Ihnen streiten«, antwortete der Ägyptologe. »Ich bin nur rein zufällig Zeuge Ihrer erstaunlichen Aktivitäten geworden. Alles, worum ich Sie bitten möchte, ist, daß Sie vielleicht die Freundlichkeit haben, mir den Weg nach draußen zu weisen.« Er sprach sehr ruhig, denn der Mann drückte die Spitze des Dolches immer noch gegen seinen linken Handballen, wie um sich von seiner Schärfe zu überzeugen, und sein Gesicht war auch noch nicht freundlicher geworden.

»Meinen Sie. - ach nein. Wie war doch Ihr Name?«

»Vansittart Smith«, antwortete der Brite.

»Sind Sie derselbe Vansittart Smith, der in London den Artikel über El Kab veröffentlicht hat? Ich habe ihn überflogen. Sie scheinen sich ja ganz gut auszukennen auf dem Gebiet.«

»Sir!« Der Ägyptologe wußte nicht, was er sagen sollte.

»Ja, Sie scheinen jedenfalls mehr zu wissen als manch anderer, der sich für einen großen Kenner hält. Der Schlüssel unseres Lebens im alten Ägypten war nämlich tatsächlich nicht unsere Kunst oder irgendwelche Schriften, die jeder lesen konnte, nein, das überschätzen auch Sie gewaltig. Viel wichtiger waren die hermetischen Wissenschaften, unsere Mystik, von der Sie kaum oder gar nicht sprechen.«

»Unser Leben im alten Ägypten!« wiederholte der Forscher mit großen Augen. Und dann plötzlich: »Mein Gott, schauen Sie sich die Mumie nur an!«

Der Mann drehte sich um und hielt seine Lampe an das Gesicht der toten Schönheit, doch die frische Luft hatte schon das Ihrige getan, um alle Kunst des Balsamierers zunichte zu machen. Die Haut war zerfallen, die Augen waren in den Schädel gesunken, und keine Lippen bedeckten mehr die gelben Zähne. Nur der braune Fleck auf der Stirn zeigte noch, daß dies dasselbe Gesicht war, das noch vor wenigen Minuten in so strahlender Jugend und Schönheit erschienen war.

Der seltsame Museumswärter schlug seine Hände über dem Kopf zusammen, sein langer schmerzvoller Schrei schallte durch die Hallen, Mit größter Anstrengung gelang es ihm, sich wieder zu fassen, dann wandte er seine kalten Augen wieder dem Engländer zu.

»Es ist nicht so schlimm«, sagte er mit zitternder Stimme, »es macht eigentlich nichts aus. Ich hatte diese Nacht etwas zu erledigen, und das habe ich getan. Ich habe gefunden, was ich suchte, der Bann ist gebrochen. Ich kann wieder bei ihr sein. Was kümmert mich ihre sterbliche Hülle, solange ich weiß, daß ihre Seele jenseits des Vorhangs auf mich wartet.«

»Das sind starke Worte«, sagte Vansittart Smith. Er wurde immer sicherer, daß er es mit einem Verrückten zu tun hatte.

»Die Zeit drängt«, fuhr der Mann fort. »Der Augenblick ist nah, auf den ich die ganze furchtbare Zeit warten mußte. Doch zuerst will ich Sie hinausbegleiten. Kommen Sie.«

Er nahm die Lampe und führte den Forscher eilig durch lange Gänge und Hallen mit ägyptischen, assyrischen und persischen Stücken. Am Ende stieß er eine schmale Tür auf und führte ihn eine gewundene Steintreppe hinab. Er fühlte schon die kühle, frische Nachtluft, und bald standen sie vor einer Tür, die auf die Straße zu führen schien. Daneben gab es noch eine andere Tür, die nur angelehnt war. Der Wärter zögerte kurz, dann sagte er: »Kommen Sie mit, hier entlang.«

Vansittart Smith schwankte zwischen Neugier und Überdruß. Er hatte gehofft, bald endlich in sein Hotel zu kommen. Doch andererseits wollte er zu gern wissen, wie die Sache weiterging. Schließlich folgte er seinem eigenartigen Begleiter in eine kleine, beleuchtete Kammer.

Das Zimmer erinnerte an eine Portiersloge. Auf einem Rost brannte ein Holzfeuer. An Möbeln gab es ein einfaches Bett, einen Holzstuhl und in der Mitte einen runden Tisch, auf dem die Reste einer Mahlzeit standen. Doch als der Besucher sich umsah, konnte er sich des absonderlichen Eindrucks nicht erwehren, daß er sich in der Werkstatt eines antiken Handwerkers befand. Alles stimmte, jedes Detail war vorhanden; die Kerzenhalter, die Vasen auf dem Kaminsims, die Ornamente an den Wänden, alles schien in eine ferne Vergangenheit zu gehören. Der vertrocknete Mann setzte sich auf die Bettkante und bat seinen Gast, auf dem Stuhl Platz zu nehmen.

»Vielleicht ist es Vorsehung«, sagte er, immer noch in exzellentem Englisch. »Vielleicht ist es so beschlossen, daß ich etwas hinterlassen soll, daß jemand von meinem Schicksal erfahren soll, das allen Sterblichen eine Warnung sein wird, sich nur nicht gegen die Kräfte der Natur aufzulehnen. Ich überlasse es Ihnen; Sie können mit Ihrem Wissen anfangen, was Sie wollen. Jetzt, wo ich zu Ihnen spreche, stehe ich auf der Schwelle zu der anderen Welt.