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Wie dem auch sei: Letzte Nacht hat Mr. Manson, unser zweiter Steuermann, einen Geist gesehen - sagt er wenigstens, und dann stimmt es natürlich auch. Ein neues Gesprächsthema finde ich ganz erfrischend nach all den endlosen Wal- und Bärengeschichten der vergangenen Monate: Manson schwört, daß es auf dem Schiff spukt und daß er noch heute von hier verschwinden würde, wenn er könnte. Bestimmt ist der Gute ehrlich erschrocken. Heute morgen mußte ich ihn mit einigen Pillen beruhigen. Meine Frage, ob er vielleicht am Abend zuvor ein Glas zuviel getrunken hatte, nahm er ziemlich pikiert auf, so daß ich bei seiner Erzählung so ernst wie möglich bleiben mußte, um ihn nicht aufzuregen. Wie er so redete, klang seine Geschichte wirklich wie ein Tatsachenbericht.

»Ich war auf der Brücke«, begann er. »Es hatte gerade vier Glasen geschlagen, die dunkelste Stunde der Nacht. Die Wolken pfiffen vor dem dünnen Mond vorbei, man konnte nicht weit sehen. John M'Leod, der Harpunier, kam aus der Bugkajüte und meldete ein seltsames Geräusch hinter der Steuerbordwand. Ich ging mit nach vorne und hörte es auch. Manchmal klang es wie das Brüllen einer Kuh, manchmal wie ein schreiendes Mädchen. Ich kenne die Gegend seit siebzehn Jahren und habe noch nie eine Robbe, alt oder jung, so brüllen gehört. Wir standen auf dem Vordeck, und als der Mond hinter den Wolken hervorschaute, sahen wir beide in derselben Richtung, aus der wir die Schreie gehört hatten, eine weiße Gestalt über das Eis huschen. Wir schickten einen Matrosen, Flinten zu besorgen. M'Leod und ich dachten, es könnte vielleicht ein Bär sein, und gingen aufs Eis. Dort verlor ich M'Leod aus den Augen und lief allein weiter in Richtung der Schreie, die gar nicht aufhören wollten. Plötzlich stand es vor mir, wie aus dem Eis gewachsen. Ich weiß nicht, was es war, jedenfalls kein Bär. Es war groß und weiß, weder Mann noch Frau, beim Beelzebub, es war kein Mensch, etwas viel Schlimmeres. Ich rannte so schnell ich konnte zum Schiff zurück und war heilfroh, als ich ankam. Ich habe einen Vertrag unterschrieben, meine Pflicht auf dem Schiff zu tun, doch nach Sonnenuntergang kriegt ihr mich nicht mehr aufs Eis, so wahr ich hier stehe.«

Das ist seine Geschichte, soweit ich sie in seinen eigenen Worten wiedergeben kann. Wie dem auch sei, ich glaube, es war nur ein junger Bär, der sich auf die Hinterbeine gestellt hatte, wie sie es oft tun, wenn sie Gefahr wittern. Die Dunkelheit läßt einen ängstlichen Mann, dessen Nerven ohnehin schon zerrüttet sind, leicht in einem solchen Geschöpf ein Monstrum sehen. Jedenfalls war das Ereignis, was immer es auch war, nicht gut für die Crew. Die Stimmung ist noch düsterer als vorher. Sie fürchten nicht nur, die Heringsaison zu verpassen, sie fühlen sich auch auf einem Spukschiff gefangen. Hoffentlich tun sie nichts Unüberlegtes. Sogar die ältesten und abgebrühtesten Harpuniere können sich nicht mehr der allgemeinen Unruhe entziehen.

Abgesehen von den Geistern gibt es aber für die Leute keinen Grund zur Panik. Das Packeis im Süden hat sich teilweise aufgelöst, und das Wasser ist so warm, wie es nur in einem der Seitenarme des Golfstroms sein kann, auf die man zwischen Grönland und Spitzbergen trifft. Um das Schiff tummeln sich kleine Medusen, Quallen und Krabben im Überfluß, so daß auch jeden Augenblick damit gerechnet werden kann, daß »Fisch« auftaucht. Um die Mittagszeit wurde tatsächlich schon einer gesichtet, doch er war so weit weg, daß es unmöglich war, ihn in den Booten zu verfolgen.

13. SEPTEMBER - Vom ersten Steuermann, Mr. Milne, habe ich ein paar interessante Dinge erfahren. Anscheinend gibt unser Kapitän den Seeleuten, ja sogar den Schiffseignern, ebenso Rätsel auf wie mir. Mr. Milne sagt, daß Craigie nach jeder Fahrt spurlos verschwindet und erst zu Beginn der nächsten Saison wieder auftaucht, um der Gesellschaft ruhig und bescheiden seine Dienste anzubieten. In Pundee hat er keine Freunde, es weiß dort auch kein Mensch, wo er herkommt und was er früher gemacht hat. Sein Ansehen beruht allein auf seinen Fähigkeiten als Seemann. Bevor er sein erstes eigenes Kommando bekam, hatte er sich als Steuermann auf verschiedenen Schiffen den Ruf eines mutigen und kaltblütigen Mannes erworben. Die Leute scheinen sich einig zu sein, daß er kein Schotte ist und daß, er einen falschen Namen benutzt. Mr. Milne glaubt, Craigie hätte sich nur der Walfängerei verschrieben, weil sie die gefährlichste Beschäftigung war, die er finden konnte, weil er dem Tod ins Auge sehen wollte, wann immer es möglich war. Er erzählte mir mehrere Geschichten, um seine Ansicht zu belegen. Zum Beispiel erschien er vor einigen Jahren einmal nicht bei den Reedern, so daß sie einen Ersatzmann anheuern mußten. Auf der Krim tobte gerade der letzte russisch-türkische Krieg. Als er im nächsten Frühjahr wieder auftauchte, hatte er eine frische Narbe am Hals, die er unter einem Schal zu verstecken versuchte. Ob der Schluß des Steuermanns, Craigie habe im Krieg gekämpft, richtig ist, weiß ich nicht zu sagen. Auszuschließen ist es jedenfalls nicht.

Der Wind dreht jetzt um östliche Richtungen, ist aber immer noch sehr schwach. Das Eis scheint mir wieder dichter zu sein als gestern. So weit das Auge reicht, sind wir von makellosem Weiß umgeben, auf das nur selten Schatten von einzelnen Eisblöcken fallen. Unser einziger Fluchtweg, die tiefblaue Wasserstraße nach Süden, wird von Tag zu Tag schmaler. Der Kapitän nimmt eine schwere Verantwortung auf sich. Ich habe gehört, daß die Kartoffelkiste schon leer ist, sogar die Kekse werden schon knapp, doch er läßt sich keine Beunruhigung anmerken und verbringt die meiste Zeit des Tages im Mastkorb, von wo er mit seinem Fernrohr ununterbrochen den Horizont entlangfährt. Seine Stimmung ist sehr schwankend. Seit jenem Abend scheint er mir aus dem Weg zu gehen, vielleicht würde er mich sonst wieder angreifen.

19.30 h - Jetzt glaube ich endgültig, daß wir von einem Verrückten kommandiert werden. Anders kann ich mir die unglaublichen Launen Kapitän Craigies nicht mehr erklären. Zum Glück habe ich dieses Tagebuch geführt, das vielleicht zu unserer Rechtfertigung dienen kann, falls wir ernsthafte Maßnahmen gegen ihn ergreifen müssen, wo Gott vor sei. Eigenartig jedenfalls, daß er selbst zuerst von Wahnsinn als Erklärung für sein exzentrisches Benehmen sprach. Vor etwa einer Stunde, ich lief auf dem Hauptdeck auf und ab, stand er auf der Brücke und schaute wie gewöhnlich durch sein Fernrohr. Die meisten Männer saßen unter Deck beim Tee, da noch keine regulären Spätwachen aufgestellt worden waren. Des Umherlaufens müde, lehnte ich mich gegen die Brüstung und bewunderte das herrliche, sanfte Licht, das die untergehende Sonne auf die gigantischen Eisfelder warf, die uns umgaben. Plötzlich riß mich eine rauhe Stimme aus meinen Träumereien: Der Kapitän war heruntergekommen und stand neben mir. In seinem Gesicht rangen Schrecken, Verwunderung und so etwas wie Freude miteinander, während er ins Nichts starrte. Trotz der Kälte standen dicke Schweißperlen auf seiner Stirn; offenbar war er in einem Zustand grauenhafter Erregung. Er zitterte am ganzen Körper wie auf dem Höhepunkt eines epileptischen Anfalls, sein Gesicht war von tiefen Falten zerschnitten.