>Ich kann es brechen<, sagte er; >ich habe ein mächtigeres Prinzip gefunden, ich kann es brechen. Jetzt, in diesem Augenblick, arbeitet es in meinen Venen, und in einer Stunde werde ich tot sein, tot! Ich werde bei ihr sein, und du mußt hierbleiben.<
Das Feuer in seinen Augen sagte mir, daß er die Wahrheit sprach. Mein Elixier hatte seine Kraft in ihm verloren.
>Gib es mir, sag mir die Formel!< schrie ich.
>Niemals!< antwortete er.
>Ich flehe dich an, bei der Weisheit des Thoth, bei Anubis!< Ich war verzweifelt.
>Es ist zwecklos<, sagte er kalt.
>Dann werde ich es selbst herausfindend schrie ich.
>Das kannst du nicht<, antwortete er, >ich habe es nur durch Zufall entdecken können. Niemand wird jemals diesen Stoff herstellen können, alles, was es davon gibt, ist im Ring des Thoth.<
>Im Ring des Thoth! Sag mir, wo finde ich diesen Ring?<
>Auch das wirst du niemals erfahren<, erwiderte er hämisch. >Du hast ihre Liebe gewonnen, doch was hast du jetzt davon? Ich lasse dich jetzt mit deinem jämmerlichen Erdenleben allein. Ich bin frei. Ich muß jetzt gehen.< Er drehte sich um und rannte weg. Am nächsten Morgen hörte ich, daß der Priester des Thoth gestorben war.
Die Tage danach verbrachte ich in meinem Labor. Ich mußte dieses Gift finden, das stärker sein sollte als mein Lebenselixier. Von früh bis Mitternacht saß ich über meinen Reagenzgläsern. Ich raffte alle Papiere zusammen, alles, was der Priester des Thoth besessen hatte, doch ich fand nichts. Hier und da weckte ein Hinweis oder eine vage Andeutung Hoffnung in mir, doch es führte zu nichts. Ich arbeitete weiter, Monat für Monat verstrich, und wenn ich ganz mutlos war, ging ich zu der Gruft bei den Palmbäumen. Dort fühlte ich mich ihr nah, und ich versprach ihr, daß ich alles tun würde, was Menschenkraft vermag, um das Rätsel zu lösen.
Parmes hatte gesagt, daß seine Entdeckung mit dem Ring des Thoth zusammenhing. Ich kannte das Schmuckstück. Es war ein großer, schwerer Reif, nicht aus Gold, sondern aus einem selteneren und schwereren Metall, das aus den Minen am Berg Harbal stammte. Sie nennen es Platin. Ich erinnerte, daß in den Ring ein Hohlkristall gefaßt war, in dem einige Tropfen Flüssigkeit Platz haben könnten. Ohnehin konnte das Geheimnis nicht allein in dem Metall ruhen, denn im Tempel befanden sich mehrere Ringe aus Platin. War es nicht viel wahrscheinlicher, daß er sein wertvolles Gift in der Höhlung des Steines untergebracht hatte? Kaum war ich auf diese Idee gekommen, da fand ich in seinen Papieren auch schon die Bestätigung, daß es wirklich so war und daß noch etwas von der Flüssigkeit übrig sein mußte.
Nur, wie konnte ich den Ring finden? Er trug ihn jedenfalls nicht am Finger, als er einbalsamiert wurde, dessen vergewisserte ich mich. Er war auch nicht unter seinen privaten Habseligkeiten zu finden. Vergeblich durchsuchte ich jeden Raum, den er je betreten hatte, jede Schachtel und Vase, die er besessen hatte. Ich siebte den Wüstensand längs der Wege, die er zu nehmen pflegte; doch ich konnte machen, was ich wollte, vom Ring des Thoth fand ich keine Spur. Und trotzdem wäre ich vielleicht zum Ziel gekommen, hätten sich mir nicht unerwartete, ungünstige Umstände in den Weg gestellt.
Der Krieg, von dem ich gesprochen habe, weitete sich aus, unsere Truppen mit allen Reitern und Bogenschützen waren in der Wüste abgeschnitten. Die Nomaden waren hinter uns her wie die Heuschrecken in einem trockenen Jahr. Von der Wildnis von Shur bis zu dem großen Salzmeer gab es nichts als Feinde. Abaris war das Bollwerk Ägyptens, doch wir konnten die Wilden nicht länger aufhalten. Die Stadt fiel. Der Statthalter und die Soldaten wurden getötet, und ich wurde wie viele andere in die Sklaverei verschleppt.
Jahrelang hütete ich das Vieh auf den riesigen Weiden im Euphratgebiet. Mein Herr starb, und sein Sohn wurde alt, doch ich war dem Tod so fern wie je. Schließlich floh ich auf einem Kamel zurück nach Ägypten. Die Barbaren hatten sich am Nil niedergelassen, nachdem sie das ganze Land unterworfen hatten, Abaris war niedergebrannt worden, und vom großen Tempel war nichts mehr übrig als ein Schutthaufen. Die Grabstätten waren geplündert, kein Stein lag mehr auf dem anderen. Auch Atmas Grab war spurlos verschwunden. Die Schriften des Parmes und die Überreste des Thoth-Tempels waren entweder zerstört oder weit über die Wüsten Syriens verstreut. Alle Suche war umsonst.
Damals gab ich alle Hoffnung auf, jemals den Ring zu finden oder das Geheimnis des Gegengifts zu lüften. Ich fand mich damit ab, weiterzuleben und geduldig auf den Tag zu warten, wo die Wirkung des Elixiers endlich nachließe. Wie können Sie ermessen, welch schreckliches Phänomen die Zeit sein kann, Sie, der Sie doch nur die kurze Spanne zwischen Wiege und Grab kennen! Ich jedenfalls weiß, wovon ich rede, ich, der den Lauf der Weltgeschichte von den Anfängen bis heute miterlebt hat. Ich war alt, als Ilium zugrunde ging. Ich war sehr alt, als Herodot nach Memphis kam. Ich war ein Greis, als der neue Messias auf die Erde kam. Und noch heute sehe ich wie ein Mensch aus, noch immer fließt das süße Elixier mit meinem Blut, das mich vor dem beschützt, nach dem ich mich so sehr sehne. Heute nun, endlich, ist das Ende meines qualvollen Weges in Sicht!
Ich war in allen Ländern, habe mit allen Völkern zusammengelebt. Alle Sprachen sind mir einerlei, ich habe sie alle gelernt, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich brauche nicht zu sagen, wie träge der Fluß der Zeiten war, die nicht enden wollende Dämmerung der modernen Zivilisation, das finstere Mittelalter, die freudlosen Zeiten der Barbarei. Ich habe alles hinter mir, und nie habe ich eine andere Frau angeschaut. Atma weiß, daß ich ihr immer treu geblieben bin.
Ich hatte mir zur Angewohnheit gemacht, alles zu lesen, was die Wissenschaftler über das alte Ägypten verbreiten. Ob ich arm war oder reich, immer hatte ich genug, um mir die einschlägigen Zeitschriften kaufen zu können. Vor ungefähr neun Monaten, ich war in San Franzisko, las ich einen Bericht über neue Entdeckungen, die man bei Abaris gemacht hatte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich es las. Einige Archäologen hatten sich mit dem Inhalt von Grabstätten beschäftigt, die kürzlich freigelegt worden waren. In einer hatte man eine unversehrte Mumie gefunden, die nach der Inschrift auf dem Schrein die Tochter eines Statthalters von Abaris zu Zeiten von Tuthmosis gewesen sein sollte. Als man den äußeren Schrein entfernte, fand man auf der Brust der einbalsamierten Frau einen großen Platinring mit einem Kristall. Dort also hatte Parmes den Ring des Thoth versteckt, und er hatte sich nicht getäuscht, dort war der Ring sicher, denn kein Ägypter hätte es jemals gewagt, auch nur den äußeren Sarg eines einbalsamierten Freundes zu öffnen.
Am selben Abend verließ ich San Franzisko, und wenige Wochen später war ich wieder in Abaris, wenn man den Namen noch benutzen will für die Sandhaufen und Viehzäune, die man heute dort vorfindet. Ich lief zu den Franzosen, die dort gruben, und fragte nach dem Ring. Sie antworteten mir, daß man sowohl die Mumie als auch den Ring ins Boulak Museum nach Kairo gebracht hätte. Ich machte mich sofort auf den Weg, nur um dort zu erfahren, daß das Museum die Funde an Mariette Bey abgeben mußte, die damit auf dem Weg zum Louvre war. Ich folgte ihnen, und schließlich fand ich hier nach fast viertausendjähriger Suche in der ägyptischen Sammlung des Louvre die Überreste meiner geliebten Atma und den Ring, den ich so dringend brauche.
Doch wie konnte ich die Dinge in meinen Besitz bringen? Diesmal hatte ich Glück. Zufällig war der Posten eines Wärters frei geworden. Ich ging also zum Direktor und überzeugte ihn davon, daß ich viel über Ägypten weiß. In meiner Aufregung redete ich viel zuviel, so daß der Direktor bemerkte, ein Lehrstuhl würde mir besser anstehen als der Posten eines Museumsdieners. Er sagte, ich wüßte mehr als er. Ich mußte dann noch viel Unsinn erzählen, um ihn glauben zu machen, er hätte mein Wissen überschätzt. Doch am Ende konnte ich mit meinen Habseligkeiten in diese Kammer einziehen. Es wird meine erste und letzte Nacht hier sein.