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Das ist meine Geschichte, Mr. Vansittart Smith. Einem Mann Ihrer Intelligenz brauche ich nicht mehr zu erzählen. Durch einen seltsamen Zufall haben Sie heute nacht das Antlitz der Frau gesehen, die ich in jenen fernen Tagen einmal geliebt habe. In der Schatulle waren viele Ringe mit Steinen, deshalb mußte ich erst den Platintest machen, um den richtigen zu finden. Ein Blick auf den Kristall genügt dann, um zu sehen, daß er tatsächlich die Flüssigkeit enthält, die mir helfen kann, meine verfluchte Gesundheit zu zerstören, die für mich schlimmer war als die grausamste Krankheit. Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen. Sie können meine Geschichte weitererzählen, Sie können sie auch für sich behalten, wenn Sie wollen. Sie haben die Wahl. Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, denn Sie sind heute nacht nur haarscharf dem Tod entgangen. Ich war verzweifelt und hätte Sie bestimmt umbringen müssen, wenn Sie irgendwie versucht hätten, mich an meinem Vorhaben zu hindern. Dort ist die Tür. Sie führt auf die Rue de Rivoli. Gute Nacht.«

Der Engländer schaute noch einmal zurück auf die gebeugte Gestalt des alten Ägypters Sosra, der noch einen Augenblick in der Tür verharrte, bevor er sie krachend zufallen ließ und den Schlüssel umdrehte.

Zwei Tage, nachdem er nach London zurückgekommen war, blätterte Mr. John Vansittart Smith in der Times und stieß auf folgenden knappen Bericht des Pariser Korrespondenten:

»Seltsame Geschehnisse im Louvre. - Gestern morgen machte man eine seltsame Entdeckung in der Haupthalle der Mittelost-Sammlung. Angestellte, die vor Öffnungszeit die Räume des Museums zu reinigen hatten, fanden einen der Wärter in inniger Umarmung mit einer Mumie tot auf dem Boden vor. Die Umklammerung war so fest, daß sie nur unter äußersten Schwierigkeiten getrennt werden konnten. Eine Schatulle, die wertvolle Ringe enthält, war geöffnet worden. Einer der Ringe fehlt. Die Polizei ist der Meinung, daß der Wärter die Mumie entwenden und an einen privaten Sammler verkaufen wollte, im Zuge der Tat aber einem Herzschlag erlag. Es soll sich um einen Mann unbestimmten Alters gehandelt haben, der durch sein exzentrisches Benehmen auffiel. Nach Angaben der Behörden hinterläßt er keine lebenden Verwandten, die sein dramatisches und unzeitiges Ende beweinen könnten.«

Der Schrecken aus der Tiefe

(The Terror of Blue John Gap)

Die folgende Geschichte fand man unter den Papieren des verstorbenen Dr. James Hardcastle, der am vierten Februar 1908 in seiner Wohnung in South Kensington der Schwindsucht erlag. Alle, die ihn gut kannten, bezeugen einstimmig, er sei ein Mann von nüchterner, wissenschaftlicher Geisteshaltung gewesen, alles andere als ein Spinner, der eine abnorme Folge von Ereignissen erfinden könnte. Die Unterlagen befanden sich in einem Briefumschlag, der wie folgt beschriftet war: »Eine kurze Zusammenfassung der Begebenheiten, die sich im letzten Frühjahr in der Nähe der Allerton-Farm im Nordwesten Derbyshires zutrugen.« Der Umschlag war versiegelt. Auf der anderen Seite war mit Bleistift geschrieben:

»Lieber Seaton,

Es mag Dich interessieren und vielleicht peinlich berühren, zu erfahren, daß Deine Ungläubigkeit bezüglich meiner Geschichte bewirkt hat, daß ich in dieser Sache seither nie mehr den Mund aufgemacht habe. Nach meinem Tod wird man diesen Bericht finden, und vielleicht werden Fremde mir mehr Vertrauen schenken als mein Freund.«

Alle Nachforschungen konnten nicht erleuchten, wer dieser Seaton gewesen sein könnte. Ich darf hinzufügen, daß der Aufenthalt des Kranken auf Allertons Farm sowie die allgemeinen Umstände der Aufregung dort auch ohne diese besondere Darstellung eindeutig bestätigt sind. Nach diesem Vorwort werde ich nun die Zusammenfassung genau so wiedergeben, wie er sie hinterlassen hat. Sie hat die Form eines Tagebuches, in dem einige Eintragungen mit Zusätzen versehen sind, während andere gestrichen wurden.

17. April - Ich fühle schon, wie wohl mir diese wundervolle Höhenluft tut. Die Farm der Allertons liegt vierzehnhundertzwanzig Fuß über dem Meeresspiegel, es dürfte also ein gesundes Klima für mich herrschen. Über den normalen Morgenhusten hinaus hatte ich kaum Beschwerden, und bei frischer Milch und hausgeschlachtetem Hammel habe ich alle Chancen, kräftig Gewicht zuzulegen. Ich glaube, Saunderson wird zufrieden sein.

Die beiden Miss Allertons sind in reizender Weise zuvorkommend und höflich, zwei hart arbeitende, kleine alte Mädchen, die bereit sind, alle LiebeA die sie sonst für Ehemann und Kinder gehabt hätten, einem leidenden Fremdling zu schenken. Wahrlich, die alte Jungfer ist ein höchst nützliches Mitglied, eine der Reservekräfte der Gesellschaft. Man nennt sie oft überflüssige Weibsbilder, aber was sollte ein armes überflüssiges Mannsbild ohne sie anfangen? Nebenbei: In ihrer Einfalt sind sie schnell mit dem Grund herausgerückt, weswegen Saunderson mir ihre Farm empfohlen hat. Der Professor stammt selbst aus der Gegend, und ich bin sicher, daß er in seiner Jugend genau auf diesen Feldern spaziert ist und die Krähen erschreckt hat.

Es ist ein sehr einsamer Fleck Erde, jeder Spaziergang ist ein landschaftliches Erlebnis. Die Farm besteht aus Weideland, das eine bucklige Talsohle bedeckt. Auf beiden Seiten ist das Tal von phantastischen Kalksteinhügeln begrenzt. Das Gestein ist so weich, daß man es mit der bloßen Hand abbrechen kann.

Das ganze Land ist unterspült. Könnte man mit einem gigantischen Hammer daraufschlagen, so würde es dröhnen wie ein Paukenschlag, oder es würde alles zusammenstürzen und sich ein großer unterirdischer See auftun. Ein solcher befindet sich mit Sicherheit dort, denn von allen Seiten fließen Bäche in den Berg, ohne ihn je wieder zu verlassen. Überall sind Felsspalten, durch die man in große Höhlen gelangt, welche sich zum Bauch der Erde hinunterwinden. Ich habe eine kleine Fahrradlampe, und es ist mir jedesmal ein Vergnügen, mit ihr in diese unheimlichen Einöden hinabzusteigen. Sie erzeugt die herrlichsten Lichteffekte, schwarz und silbern, wenn ihr Lichtkegel die Stalaktiten streift, welche die hohen Gewölbe schmücken. Lösche deine Lampe und du bist in der schwärzesten Finsternis. Schalte sie an, dann siehst du eine Szenerie wie aus Tausendundeiner Nacht.

Aber eine Stelle am Farmland ist von besonderem Interesse. Denn dort hat nicht die Natur, sondern Menschenhand die Erde geöffnet. Bevor ich in diese Gegend kam, hatte ich nie von Blue John gehört. Das ist der Name eines besonderen Minerals von violetter Färbung, das nur an ein oder zwei Plätzen auf der ganzen Welt zu finden ist. Es ist so rar, daß eine simple Vase aus Blue John ein Vermögen wert wäre. Die Römer entdeckten mit dem ihnen eigenen Instinkt, daß man es in diesem Tal finden kann; sie trieben einen horizontalen Schacht tief in den Hang. Den Eingang ihrer Mine hat man Blue John Gap genannt, ein sauber aus dem Felsen gehauenes Portal, von Büschen überwuchert. Es ist ein hübscher Stollen, den die Römer dort gegraben haben. Er schneidet einige der großen schwimmenden Höhlen, so daß es ratsam ist, seinen Weg zu markieren und einen ausreichenden Vorrat an Kerzen bei sich zu haben, wenn man Blue John Gap betritt, oder man läuft Gefahr, nie mehr zum Tageslicht zurückzufinden. Bis jetzt bin ich noch nie tiefer hineingestiegen, aber gerade heute habe ich im Torbogen des Tunnels gestanden und in die schwarzen Abgründe dahinter gespäht. Ich schwor mir, daß ich eines Tages, wenn ich wieder gesund sein würde, einmal meine Ferien der Erforschung dieser geheimnisvollen Tiefen widmen würde. Ich würde selbst herausfinden, wie weit die Römer die Hügel von Derbyshire angebohrt hatten.

Seltsam, wie abergläubisch diese Dörfler sind! Ich hätte mehr vom jungen Armitage gehalten, denn er ist ein Mann von Erziehung und Charakter, ein sehr feiner Bursche für sein Alter. Ich stand am Blue John Gap, als er quer über die Weide auf mich zukam.