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25. April - Zwei Tage war ich ans Bett gefesselt nach meinem unglaublichen Abenteuer in der Höhle. Ich benutzte das Adjektiv »unglaublich« sehr bewußt, denn inzwischen hatte ich ein Erlebnis, das mich fast so tief schockiert hat wie das vorangegangene. Wie gesagt war ich auf der Suche nach jemand, der mir einen Rat geben konnte. Es gibt einen Dr. Mark Johnson, der einige Meilen von hier praktiziert und an den ich eine Empfehlungsnote von Professor Saunderson besaß. Ich suchte ihn auf, als ich stark genug war, mich zu bewegen, und erzählte ihm meine ganze seltsame Geschichte. Er hörte mir konzentriert zu, dann untersuchte er mich genau, wobei er besonderes Augenmerk auf Reflexe und Pupillen richtete. Als er fertig war, weigerte er sich, über mein Abenteuer zu reden, er sagte, er hätte keine Ahnung von der Angelegenheit, gab mir jedoch die Karte eines Mr. Picton in Castleton und riet mir, ich sollte sofort zu ihm gehen und ihm die Geschichte genau so erzählen, wie er sie gehört hatte. Laut Dr. Johnson war er genau der richtige Mann, mir zu helfen. Ich ging also zum Bahnhof und machte mich auf den Weg in die kleine Stadt, die ungefähr zehn Meilen entfernt ist. Mr. Picton schien ein wichtiger Mann zu sein, sein Messingschild war an der Eingangstür eines stattlichen Gebäudes am Stadtrand angebracht. Als ich gerade seine Glocke läuten wollte, kam mir eine böse Ahnung in den Sinn. Ich ging in einen Laden gegenüber und fragte den Mann hinterm Ladentisch, ob er mir irgend etwas über Mr. Picton erzählen könnte. »Warum«, sagte er, »er ist der beste Irrenarzt in Derbyshire, seine Anstalt ist dort drüben.« Sie können sich vorstellen, daß ich nicht zögerte, den Staub von Castleton abzuschütteln und zur Farm zurückkehrte. Unterwegs verwünschte ich alle phantasielosen Pedanten, die nicht erkennen können, daß die Natur Geschöpfe hervorbringen kann, die zufällig noch nicht an ihrem Maulwurfshügel vorbeigelaufen sind. Am Ende kann ich mir jetzt, wo ich ruhiger bin, leisten, zuzugeben, daß ich zu Armitage nicht freundlicher gewesen war als Dr. Johnson zu mir.

27. April - Als Student galt ich als mutiger und entschlossener Mensch. Ich erinnere, daß ich es war, der bei einer Gespensterjagd in Coltbridge im Spukhaus ausgeharrt hat. Sind es die fortschreitenden Jahre (eigentlich bin ich aber erst fünfunddreißig), oder ist es die Krankheit, was ist die Ursache meines Verfalls? Jedenfalls bebt mein Herz, wenn ich an jene schreckliche Höhle und ihren unheimlichen Bewohner denke. Was soll ich tun? Es gibt keine Stunde am Tag, in der ich nicht diese Frage wälze. Tue ich nichts, so bleibt das Geheimnis ungelöst. Erzähle ich etwas, dann wird entweder im ganzen Sprengel eine idiotische Panik ausbrechen, oder es wird mir keiner glauben und ich werde am Ende möglicherweise in eine Anstalt eingeliefert. Alles in allem glaube ich, daß es für mich am besten sein wird, zu warten und eine Expedition vorzubereiten, die überlegter und besser durchdacht sein soll als die letzte. Als ersten Schritt unternahm ich einen Einkaufsbummel in Castleton und besorgte einige unverzichtbare Gegenstände - eine große Gaslampe zum einen, zum anderen eine gute doppelläufige Sportflinte. Letztere habe ich mir geborgt, doch ein Dutzend schwere Jagdpatronen, die ein Nashorn in die Knie zwingen würden, habe ich gekauft. Jetzt bin ich bereit für meinen Freund, den Höhlenbewohner. Gebt mir bessere Gesundheit und ein wenig Energie, dann werde ich schon mit ihm fertig werden. Aber wer und was ist er? Ah! Das ist die Frage, die zwischen mir und dem Schlaf steht. Wie viele Theorien stelle ich auf, nur um sie wieder zu verwerfen! Alles ist so undenkbar. Und dennoch: der Schrei, die Fußabdrücke, die Schritte in der Höhle - an diesen Tatsachen kommt man nicht vorbei. Ich denke an die alten Legenden von Drachen und anderen Ungeheuern. Waren das vielleicht nicht die reinen Märchen, für die wir sie ewig gehalten haben? Kann es sein, daß sie auf bestimmten Fakten beruhen, und bin ich der einzige unter allen Sterblichen, der Auserwählte, der sie zu enthüllen hat?

3. Mai - Mehrere Tage wurde ich von den Launen des englischen Frühlings aufgehalten, und in diesen Tagen gab es Entwicklungen, deren wahre, abgründige Bedeutung allein von mir gewürdigt werden kann. Ich darf sagen, daß wir in letzter Zeit bewölkte, mondlose Nächte hatten; in solchen Nächten verschwanden nach meinen Informationen gewöhnlich Schafe. So geschah es auch: Zwei von den Allertons, eines aus der Herde des alten Pearson und ein weiteres von Mrs. Moulton. Im ganzen vier, innerhalb von drei Nächten. Alle sind spurlos verschwunden, und die ganze Region schallt von Gerüchten über Zigeuner und Schafdiebe.

Aber es gibt noch etwas Ernsteres. Der junge Armitage ist ebenfalls verschwunden. Er verließ seine Moorhütte am frühen Mittwochabend und ist seitdem nicht mehr gesehen worden. Er war ein alleinstehender Mann, deshalb hat sein Verschwinden weniger Aufsehen erregt als sonst in solchen Fällen. Die gängige Erklärung ist, daß er Schulden hatte und in einem anderen Teil des Landes eine Stellung gefunden hat, von wo aus er bald seine Angelegenheiten schriftlich regeln wird. Aber ich habe eine schlimme Ahnung. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, daß die besagte Schafsaffäre ihn veranlaßt hat, Schritte zu unternehmen, die in seine eigene Vernichtung geführt haben könnten? Vielleicht hat er, zum Beispiel, dem Ungeheuer aufgelauert und ist von ihm in die Berggrüfte verschleppt worden. Welch unfaßbares Los für einen zivilisierten Engländer des zwanzigsten Jahrhunderts! Und doch fühle ich, daß es möglich und sogar wahrscheinlich ist. In diesem Fall aber muß ich mich fragen, wieweit ich verantwortlich bin für seinen Tod und für alle Katastrophen, die noch folgen mögen? Da ich schon soviel weiß, ist es sicherlich meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß etwas geschieht oder, wenn nötig, selbst zu handeln. Es muß schon spät sein, denn heute vormittag war ich unten im Polizeirevier und habe meine Geschichte erzählt. Der Inspektor trug zwar alles in ein großes Buch ein und begleitete mich unter tiefen Verbeugungen hinaus, doch als ich auf seinem Gartenweg war, hörte ich ihn in lautes Gelächter ausbrechen. Ohne Zweifel gab er meine Erzählung an seine Familie weiter.

10. Juni - Während ich dies schreibe, sechs Wochen nach meiner letzten Eintragung in dieses Journal, sitze ich aufrecht im Bett. Mein Körper und Geist haben furchtbare Erschütterungen durchgemacht, Erfahrungen, die nur wenige Menschen vor mir machen mußten. Aber ich habe mein Ziel erreicht. Die Gefahr des Grauens, das in Blue John Gap lauert, ist unwiderruflich vorbei. Soviel wenigstens habe ich, der gebrochene Kranke, für das Allgemeinwohl getan. Lassen Sie mich nun, so klar ich kann, rekapitulieren, was sich zugetragen hat.

Die Nacht von Freitag, dem dritten Mai, war dunkel und wolkig, wie geschaffen für einen Spaziergang des Monsters. Ungefähr um elf Uhr verließ ich das Farmhaus mit meiner Laterne und der Flinte. Auf meinem Schlafzimmertisch hatte ich einen Zettel hinterlassen, auf dem ich bat, in Richtung der Höhle nach mir suchen zu lassen, wenn ich nicht wieder auftauchen sollte. Ich begab mich zum Eingang des römischen Schachts, kroch zwischen die Felsen in der Nähe der Öffnung und wartete geduldig, die geladene Flinte in der Hand. Es war eine melancholische Wache. Überall in den Wendungen und Nischen des Tales konnte ich die verstreuten Lichter der Bauernhäuser sehen, der Stundenschlag von Chapel-le-Dale drang leise an mein Ohr. Die Signale meiner Mitmenschen ließen mich meine Einsamkeit nur noch stärker fühlen; sie forderten mich aber auch zu größerer Entschlossenheit auf, das Grauen zu überwinden, das mich immer wieder zur Farm zurücktrieb, und die gefährliche Suche für immer abzuschließen. Und doch ist tief in jedem Menschen die Selbstachtung verwurzelt, die es ihm schwer macht, etwas aufzugeben, das er sich einmal vorgenommen hat. Dieses Gefühl persönlichen Stolzes war jetzt meine Rettung. Allein dieser Stolz hielt mich hier, während alle meine Instinkte mich von hier fortzuziehen versuchten. Jetzt bin ich froh, daß ich so stark war. Was es mich auch gekostet haben mag, ich habe bewiesen, daß ich ein Mann bin.