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Vielleicht wäre es klug vom Kurier gewesen, erst einen Vertreter zu mir zu schicken, bevor sie diese Sätze veröffentlichten. Ich habe die Angelegenheit durchdacht, wie kein anderer dazu Gelegenheit hatte, und möglicherweise konnte ich einige der eher offensichtlichen Schwierigkeiten der Geschichte beseitigen, so daß sie jetzt der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Anerkennung ein wenig nähergekommen ist. Lassen Sie mich deshalb die einzige Erklärung angeben, die für das, was ich am eigenen Leibe als Reihe von Geschehnissen erfahren habe, einleuchtend ist. Meine Theorie mag abstrus und unwahrscheinlich anmuten, doch wenigstens kann niemand wagen zu sagen, sie sei unmöglich.

Nach meiner Ansicht - die sich vor meinem Abenteuer gebildet hat, wie durch mein Tagebuch belegt wird - ist dieser Teil Englands von einem ausgedehnten unterirdischen See oder Meer unterspült, welches von einer großen Anzahl von Bächen, die durch den Kalkstein fließen, gespeist wird. Wo große Wassermassen sind, muß es auch in irgendeiner Form Niederschlag, Nebel oder Regen geben sowie möglicherweise auch eine Vegetation. Dies legt den Gedanken nahe, daß es dort auch tierisches Leben geben kann, das sich wie die Pflanzen aus den Samen und Urformen entwickelt hat, die in einer frühen Periode der Erdgeschichte dorthin gelangt sind, als die Verbindung zur Außenwelt noch einfacher war. Dort haben sich dann eine eigene Flora und Fauna entwickelt, auch solche Monster wie das, welches ich gesehen habe, vielleicht ein alter Höhlenbär, enorm vergrößert und verändert durch seine besondere Umgebung. Zahllose Jahrtausende lang waren die unter- und die überirdischen Evolutionen getrennt, haben sich immer mehr auseinanderentwickelt. Dann hat sich in den Tiefen des Berges ein Spalt gebildet, der es einem Wesen ermöglichte, hinaufzuwandern und durch den römischen Tunnel ans Freie zu gelangen. Wie alles unterirdische Leben hatte es die Sehfähigkeit verloren, was aber zweifellos durch andere Entwicklungen der Natur ausgeglichen worden war. Sicher kannte es Methoden, seinen Weg zu finden und auf der Weide Schafe zu schlagen. Da es dafür immer stockdunkle Nächte wählte, nehme ich an, daß Licht den großen weißen Augenkugeln weh tat und es nur absolute Dunkelheit vertragen konnte. Tatsächlich war es vielleicht nur der Lichtschein meiner Laterne gewesen, der mein Leben gerettet hat, als ich ihm Auge in Auge gegenüberstand. Das scheint mir des Rätsels Lösung zu sein. Ich hinterlasse die Darstellung der Tatsachen jedem, der möchte, zur Deutung; von mir aus können Sie sie auch anzweifeln. Weder Ihr Glaube noch Ihr Unglaube kann daran rütteln. Einer, der fast am Ende seines Weges angelangt ist, wird darüber nicht betrübt sein.

So endet die seltsame Geschichte des Dr. James Hardcastle.

Der Käfersammler

(The Beetle Hunter)

Wie sagte doch der Doktor, »ein seltsames Erlebnis«? Ja, meine Freunde, in der Tat hatte ich ein sehr seltsames Erlebnis. Ich erwarte nicht, noch jemals ein zweites zu haben, denn es widerspricht allen Lehrsätzen der Wahrscheinlichkeitstheorie, daß einem Menschen während seines Lebens zwei solche Ereignisse widerfahren werden. Sie können mir glauben oder nicht, aber es geschah genau so, wie ich es erzähle.

Ich war gerade frischer Mediziner, hatte aber noch nicht begonnen zu arbeiten und lebte in einem Zimmer in der Gower Street. Die Hausnummern dort haben sich seitdem geändert, aber es war das einzige Haus mit verglastem Portal, auf der linken Seite, wenn man von der Metropolitan Station kommt. Damals bewohnte eine Witwe Murchison das Haus, zusammen mit drei Medizinstudenten und einem Ingenieur als Untermietern. Mein Zimmer im obersten Stockwerk war das billigste, für mich jedoch immer noch nicht billig genug. Meine spärlichen Quellen waren dabei, zu versiegen, und mit jeder Woche wurde es dringlicher für mich, eine Tätigkeit zu finden. Ich war überhaupt noch nicht willens, in eine allgemeine Praxis einzutreten, denn alle meine Interessen gingen in Richtung Wissenschaft, besonders Zoologie, zu der ich immer eine starke Neigung verspürt hatte. Ich hatte schon fast den Kampf aufgegeben und mich damit abgefunden, lebenslang ein kleiner Arzt zu bleiben, als ich auf höchst ungewöhnliche Weise an den Wendepunkt meines Schicksals kam.

Eines Morgens hatte ich mir den »Standard« geschnappt und warf einen Blick auf die Schlagzeilen. Es gab absolut keine Neuigkeiten, und ich wollte die Zeitung gerade wieder weglegen, als mein Blick auf eine Anzeige an der Spitze der Stellenangebote fiel. Sie war wie folgt verfaßt:

»Mediziner für einen oder mehr Tage gesucht. Voraussetzungen: Er sollte starke Nerven haben, kräftig und entschlossen sein. Er muß Fachmann für Insektenkunde sein, Spezialgebiet Käfer bevorzugt. Persönliche Vorstellung im Haus Nr. 77 B, Brook Street, heute bis Zwölf Uhr.«

Nun, ich habe schon gesagt, daß ich der Zoologie verfallen war. Von allen Bereichen der Zoologie war das Studium der Insekten der attraktivste für mich. Und von allen Insekten waren die Käfer diejenige Spezies, mit der ich am vertrautesten war. Viele Leute sammeln Schmetterlinge, Käfer gibt es jedoch in viel mehr Arten, außerdem findet man sie auf diesen Inseln leichter als Schmetterlinge. Diese Tatsache hatte meine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt. Meine Käfersammlung umfaßte einige hundert verschiedene Arten. Was die anderen in der Anzeige genannten Voraussetzungen betrifft, so wußte ich, daß ich mich auf meine Nerven verlassen konnte und daß ich den Kugelstoß-Wettkampf bei den Krankenhausmeisterschaften gewonnen hatte. Ganz klar, ich war der richtige Mann für die Stellung. Fünf Minuten, nachdem ich das Inserat gelesen hatte, saß ich in der Droschke und war auf dem Weg zur Brook Street.

Während der Fahrt überlegte ich hin und her und fragte mich, was das für ein seltsamer Job sein könnte, für den so seltsame Qualifikationen vonnöten sind. Eine starke Physis, entschlossenes Wesen, eine medizinische Ausbildung und Kenntnisse über Käfer - welche Verbindung könnte zwischen diesen verschiedenen Erfordernissen bestehen? Dann war da noch der beunruhigende Umstand, daß es sich nicht um eine Dauerstellung handelte, sondern, wie ich aus der Anzeige las, um Tagesjobs. Je länger ich grübelte, um so unverständlicher wurde es mir; am Ende meiner Meditation kam ich jedoch immer zu den Tatsachen zurück, daß ich, mag da kommen, was will, nichts zu verlieren hatte, vollkommen pleite und bereit zu jedem Abenteuer war, ganz gleich wie gewagt, wenn es mir nur ein paar ehrlich verdiente Sovereigns einbrächte. Wer für seine Fehler bezahlen muß, wird sich hüten, welche zu begehen, ich aber hatte eine Strafe vom Schicksal zu fürchten. Ich war der Spieler mit leeren Taschen, der immer noch sein Glück versuchen kann.

Nr. 77 B, Brook Street, war eines jener schmuddeligen, trotzdem imposanten Häuser. Seine schwarzbraune, schnörkellose Fassade machte jenen respektablen, soliden Eindruck, der für die georgianischen Baumeister charakteristisch war. Als ich aus der Kutsche kletterte, kam ein junger Mann aus der Tür und ging schnell die Straße hinunter. Als er an mir vorbeiging, bemerkte ich, daß er einen forschenden und irgendwie mißbilligenden Blick auf mich warf. Ich nahm den Vorfall als gutes Omen, denn er sah aus wie ein abgewiesener Kandidat, und wenn er mir die Bewerbung übelnahm, bedeutete das, daß die Stelle noch frei war. Voller Hoffnung sprang ich einige breite Stufen hinauf und betätigte den schweren Türklopfer.

Ein Diener in Puder und Livree öffnete die Tür. Offensichtlich war ich bei Leuten mit Geld und Geschmack.

»Ja bitte?« sagte der Diener.