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»Hier 'rüber!« flüsterte er und zog mich in eine Ecke des Zimmers. »Pst! Hören Sie!«

In der Stille der Nacht konnte ich genau hören, daß jemand den Gang herunterkam. Verstohlene Schritte, leise, mit Pausen, wie von einem Mann, der nach jedem Schritt anhielt. Manchmal hörte man eine halbe Minute lang keinen Ton, doch dann kam von ganz nahe ein Schlürfen und Knarren. Mein Partner zitterte vor Aufregung. Seine Hand, die immer noch meinen Ärmel festhielt, wehte wie ein Blatt im Wind.

»Was ist das?« flüsterte ich.

»Das ist er!«

»Sir Thomas?«

»Ja.«

»Was will er?«

»Leise! Tun Sie nichts, bevor ich es Ihnen sage.«

Ich hörte jetzt, daß jemand versuchte, die Tür zu öffnen. Die Klinke machte nur ein ganz leises Geräusch, dann sah ich einen dünnen Streifen gedämpften Lichts. Irgendwo, weit weg im Gang, brannte ein Licht, das gerade ausreichte, es von der Dunkelheit des Zimmers zu unterscheiden. Der lichtgraue Streifen wurde breiter und breiter, sehr langsam, sehr vorsichtig, und dann sah ich die Umrisse eines Mannes gegen ihn abgezeichnet. Er kauerte am Boden wie ein mißgebildeter, buckliger Zwerg. Bald konnte man den ominösen Schatten in der Mitte der weit offenen Tür erkennen. Plötzlich schoß die kauernde Gestalt auf und sprang wie ein Tiger quer durch den Raum. Dann hörte ich vom Bett her drei mächtige Schläge mit einem schweren Gegenstand.

Ich war so gelähmt vor Erstaunen, daß ich bewegungslos dastand und vor mich hinstarrte, bis ein Hilferuf meines Begleiters mich alarmierte. Durch die Türöffnung drang genug Licht, so daß ich Umrisse erkennen konnte. Dort sah ich den kleinen Lord Linchmere, seine Arme um den Hals seines Schwagers geschlungen, wie ein tapferer Jagdhund, der seine Zähne in den Nacken seiner übergroßen Beute geschlagen hat. Der große, magere Mann warf sich herum und wand sich, um seinen Gegner in den Griff zu kriegen; der andere aber hatte ihn immer noch von hinten gefaßt, obwohl seine schrillen, erschrockenen Schreie zeigten, wie unterlegen er sich fühlte. Ich eilte zu Hilfe, und gemeinsam schafften wir es, Sir Thomas zu Boden zu werfen, obwohl er mir in die Schulter biß. Bei all meiner Jugend, meinem ganzen Gewicht und meiner Kraft, es war ein verzweifelter Kampf, bevor wir seine rasende Gegenwehr gemeistert hatten; doch schließlich banden wir seine Arme mit dem Gürtel des Morgenmantels zusammen, den er trug. Ich hielt seine Beine fest, während Lord Linchmere damit beschäftigt war, Licht zu machen. Das Getrappel vieler Füße kam jetzt den Gang herunter, der Butler und zwei Diener, die die Schreie alarmiert hatten, stürzten in den Raum. Mit deren Hilfe hatten wir keine weiteren Schwierigkeiten, unseren Gefangenen, der mit Schaum vor dem Mund und glänzenden Augen auf dem Boden lag, unter Kontrolle zu halten. Ein Blick in sein Gesicht genügte, um zu sehen, daß er ein gefährlicher Amokläufer war, und der kurze, schwere Hammer neben dem Bett zeigte, wie mörderisch seine Absichten gewesen waren.

»Gebrauchen Sie keinerlei Gewalt!« sagte Lord Linchmere, als wir den tobenden Mann auf seine Füße hoben. »Nach seinem Anfall wird er eine Zeitlang betäubt sein. Ich glaube, es fängt schon an.« Als er das sagte, ließen die Konvulsionen nach, und der Kopf des Wahnsinnigen fiel auf seine Brust, als ob er vom Schlaf besiegt wäre. Wir trugen ihn den Gang hinunter und legten ihn ausgestreckt auf sein Bett, wo er schwer atmend in Bewußtlosigkeit fiel.

»Zwei von euch werden ihn bewachen«, sagte Lord Linchmere. »Und nun, Dr. Hamilton, wenn Sie mich auf mein Zimmer begleiten wollen, werde ich Ihnen alles erklären, woran meine Angst vor einem Skandal mich vielleicht zu lange gehindert hat. Komme was wolle, Sie werden niemals Ihren Anteil an der Arbeit dieser Nacht zu bereuen haben.

Man kann den Fall vielleicht in wenigen Worten erklären«, fuhr er fort, als wir allein waren. »Mein armer Schwager ist einer der besten Menschen auf Erden, ein liebender Gatte und treusorgender Vater, aber er kommt aus einem Stall, in dem der Wahnsinn Tradition hat. Mehr als einmal hatte er schon

Anfälle von Mordlust, die um so schmerzlicher sind, da seine Aggression sich immer gegen die Person richtet, welche ihm am nächsten steht. Seinen Sohn schickten wir aus dem Haus, um ihn vor dieser Gefahr zu schützen, doch dann kam ein Angriff auf meine Schwester, seine Gattin, den sie mit den Verletzungen überlebte, die Sie vielleicht bemerkt haben, als wir in London zusammentrafen. Sie verstehen, daß er sich an nichts erinnern kann, wenn er bei Sinnen ist, er würde über die Annahme lachen, daß er unter irgendwelchen Umständen die, welche er so sehr liebt, verletzen könnte. Wie Sie wissen, ist es typisch für solche Krankheit, daß man einen Menschen, der von ihr befallen ist, absolut nicht davon überzeugen kann, daß sie existiert.

Unser Hauptziel war es natürlich, ihn davon abzuhalten, seine Hände mit Blut zu beflecken, doch wir stießen auf lauter Schwierigkeiten. Er lebt sehr zurückgezogen und wollte keinen Arzt empfangen. Außerdem war es für unseren Zweck nötig, daß der Arzt ihn von seiner Krankheit überzeugt; und er ist so gesund wie Sie und ich, abgesehen von solchen sehr seltenen Gelegenheiten. Glücklicherweise zeigen sich aber vor seinen Anfällen immer bestimmte warnende Symptome, Gefahrensignale, die uns anhalten, auf der Hut zu sein. Das Hauptsymptom sind jene nervösen Verzerrungen der Stirn, die Sie beobachtet haben müssen.

Dieses Phänomen erscheint immer drei bis vier Tage vor seinen Anfällen von Raserei. In dem Moment, wo es sich zeigte, kam seine Gattin unter einem Vorwand in die Stadt und nahm Zuflucht in meinem Haus in der Brook Street.

Es mußte mir gelingen, einen Mediziner von Sir Thomas' Krankheit zu überzeugen, sonst war es unmöglich, ihn an einen Ort zu bringen, wo er keinen Schaden anrichten konnte. Das erste Problem war, einen Arzt in dieses Haus zu bringen. Ich besann mich seines Interesses für Käfer und seiner Liebe für jeden, der sein Interesse teilte. Ich inserierte deshalb und hatte das große Glück, in Ihnen genau den Mann zu finden, den ich brauchte.

Ein standhafter Begleiter war notwendig, denn ich wußte, daß der Wahnsinn sich nur durch einen Mordanschlag beweisen konnte, und ich hatte allen Anlaß, zu glauben, daß der Anschlag mir gelten würde, da er in den Augenblicken der Klarheit die wärmste Zuneigung für mich empfand. Ich glaube, den Rest können Sie sich selbst zusammenreimen. Ich wußte nicht, daß der Angriff nachts kommen würde, hielt es aber für sehr wahrscheinlich, da die Krisen in solchen Fällen für gewöhnlich in den frühen Morgenstunden auftreten. Ich selbst bin ein sehr ängstlicher Mann, sah aber keinen anderen Weg, meine Schwester von dieser schrecklichen Gefahr für ihr Leben zu befreien. Ich brauche wohl nicht zu fragen, ob Sie die Einweisungspapiere unterzeichnen wollen.«

»Ohne Zweifel. Doch es sind zwei Unterschriften nötig.«

»Sie vergessen, daß ich selbst einen medizinischen Grad innehabe. Ich habe die Papiere hier liegen, wenn Sie also jetzt so gut sein wollen, zu unterschreiben, können wir den Patienten morgen abtransportieren lassen.«

Das war also mein Besuch bei Sir Thomas Rossiter, dem berühmten Käfersammler. Das war auch gleichzeitig mein erster Schritt auf der Erfolgsleiter, denn Lady Rossiter und Lord Linchmere haben sich als zuverlässige Freunde erwiesen und mir meinen Beistand zu Zeiten ihrer Not nie vergessen. Sir Thomas ist wieder draußen, man sagt, er sei geheilt. Dennoch würde ich wohl meine Tür von innen verriegeln, sollte ich noch eine Nacht in Delamere Court verbringen.

Das Manuskript aus den Wolken

(The Horror of the Height)

Der Gedanke, die außergewöhnliche Geschichte, genannt das Joyce-Armstrong-Fragment, sei ein ausgemachter Scherz eines unbekannten Witzboldes, getrieben von einem perversen und bösen Sinn für Humor, ist jetzt von allen, die die Sache geprüft haben, verworfen worden. Selbst der makaberste und phantasievollste Lügner würde zögern, seine krankhaften Eingebungen mit den unerhörten, tragischen Fakten in Verbindung zu bringen, welche die Angaben bekräftigen. Sind die dort aufgestellten Behauptungen zwar erstaunlich, ja ungeheuerlich, so muß doch jeder erkennen, daß sie wahr sind und daß wir unser Denken der neuen Situation anpassen müssen. Diese unsere Welt scheint durch eine schwache, durchlässige Sicherheitsgrenze von einer höchst einzigartigen und unerwarteten Gefahr getrennt zu sein. In dieser Darstellung, welche das Originaldokument in seiner notwendigerweise etwas bruchstückhaften Form wiedergibt, will ich mich bemühen, alle bis heute bekannten Fakten vor dem Leser auszubreiten. Allen, die den Bericht von JoyceArmstrong anzweifeln mögen, sei vorweg gesagt, daß die Aussagen bezüglich Lieutenant Myrtle, R. N. und Mr. Hay Connor, die mit Sicherheit ihr hier beschriebenes Ende fanden, über jeden Zweifel erhaben sind.