Der Wind unter mir brachte das weite Wolkenmeer zum Brodeln. Plötzlich bildete sich darin ein riesiger Wirbel, ein Dampfstrudel, und wie durch einen Schlauch konnte ich für einen Augenblick die ferne Erde sehen. Ein großer weißer Doppeldecker flog tief unter mir vorüber. Ich glaube, es war die Morgenpost Bristol-London. Dann schloß sich das Wirbelauge, die Einsamkeit war wieder ungestört.
Kurz nach zehn berührte ich die Unterkante der höheren Wolkendecke. Sie bestand aus feinem, durchsichtigem Dunst, der schnell von Westen einströmte. Während der ganzen Zeit war der Wind ständig stärker geworden, jetzt wehte eine scharfe Brise - achtundzwanzig Meilen in der Stunde nach meiner Schätzung. Es war schon sehr kalt, obwohl mein Höhenmesser erst neuntausend anzeigte. Die Aggregate arbeiteten wundervoll, und dröhnend ging es weiter nach oben.
Die Wolkenbank war dicker, als ich erwartet hatte, schließlich aber verdünnte sie sich vor mir zu einem goldenen Nebel, im nächsten Augenblick war ich aus ihr herausgeschossen, und über meinem Kopf stand eine strahlende Sonne am wolkenlosen Himmel - oben Blau und Gold, unten alles schimmerndes Silber, eine unendliche, glitzernde Fläche, so weit mein Auge reichte. Es war ein Viertel nach zehn, die Nadel des Barographen zeigte auf zwölftausendachthundert. Ich kam höher und höher, meine Ohren hörten nur auf das Brummen des Motors, meine Augen waren immer mit Uhr und Drehzahlmesser, Benzin- und Ölpumpe beschäftigt. Kein Wunder, daß man Flieger für furchtlos hält. Wenn an so viele Dinge gedacht werden muß, bleibt keine Zeit, mit sich zu hadern. Um diese Zeit stellte ich fest, wie unzuverlässig der Kompaß wird, wenn man eine bestimmte Höhe überschreitet. Bei fünfzehntausend Fuß zitterte meiner zwischen Süd und West. Sonne und Wind gaben mir die wahre Richtung.
Ich hatte gehofft, in diesen Höhen ewige Ruhe vorzufinden, aber der Sturm wurde immer stärker, je höher ich kam. Meine Maschine stöhnte und zitterte in allen Verstrebungen, als sie sich ihm entgegenstellte; wie ein Fetzen Papier wurde sie weggeweht, sobald ich sie in den Wind drehte. Ich segelte jetzt vielleicht schneller als jemals ein Sterblicher vor mir. Früher oder später mußte ich aber wieder dem Sturm ins Auge blicken, denn es war nicht nur ein Höhenrekord, hinter dem ich her war. Nach allen Berechnungen lag der luftige Urwald direkt über meinem Wiltshire, und alle Mühe könnte umsonst sein, wenn ich die äußeren Luftschichten an einer anderen Stelle erreiche.
Um die Mittagszeit, bei neunzehntausend Fuß, war der Wind so stark, daß ich mit einiger Sorge auf die Tragflächen schaute, deren Halterungen sich jeden Moment lösen konnten. Ich warf sogar einen schnellen Blick auf den Fallschirm hinter mir und hakte ihn an meinem Ledergürtel ein. Ich war auf das Schlimmste vorbereitet. Nun war die Zeit gekommen, wo der geringste Pfusch des Mechanikers mit dem Leben des Piloten bezahlt werden müßte. Aber die Maschine hielt sich tapfer. Alle Leinen und Streben summten und zitterten wie Harfensaiten, doch bei allen Schlägen und Püffen blieb sie der Eroberer der Natur und die Herrin der Lüfte. Sicher ist etwas Göttliches im Menschen selbst, der die Grenzen, die die Schöpfung zu setzen schien, so weit verschieben konnte -gerade durch solche selbstlosen, heldenhaften Taten wie diese Luftexpedition. Wer sagt, die Menschheit sei degeneriert! Wann ist in ihren Annalen jemals eine solche Geschichte verzeichnet gewesen?
Das waren meine Gedanken, als ich diese unheimliche schiefe Ebene erklomm; manchmal schlug der Wind mir ins Gesicht, manchmal pfiff er hinter meinen Ohren, während das Wolkenland in solcher Entfernung unter mir versank, daß alle silbernen Falten und Hügel zu einer schimmernden Fläche eingeebnet waren. Plötzlich erlebte ich etwas Schreckliches, Einmaliges. Ich hatte schon gehört, was es heißt, in einen sogenannten Tourbillon zu geraten, aber dieser Luftstrom war gigantisch und hatte zudem noch ebenso riesige Verwirbelungen aufzuweisen. Ohne jede Vorwarnung wurde ich in einen hineingezogen. Minutenlang drehte ich mich rasend im Kreise, so daß ich fast von Sinnen war, dann stürzte ich plötzlich, den linken Flügel voraus, durch einen Vakuum schlauch ins Zentrum des Wirbels. Ich fiel wie ein Stein und verlor fast tausend Fuß. Nur der Gurt hielt mich im Sitz. Atemlos und halb bewußtlos hing ich seitlich aus der Kabine. Aber ich bin stets zu äußersten Anstrengungen fähig -das ist mein großer Vorteil als Flieger. Ich bemerkte, daß der Sturz langsamer wurde. Der Wirbel bildete eher einen Trichter als einen Schlauch; ich war am Ende angekommen. Ein furchtbarer Ruck warf mein ganzes Gewicht auf eine Seite. Ich stellte die Maschine gerade und zog ihre Nase aus dem Wind. Augenblicklich schoß ich aus den Strudeln hinaus und glitt langsam abwärts. Gebeutelt wie ich war, aber siegreich, zog ich die Maschine dann wieder hoch und begann von neuem meine Schleifen zu ziehen. In weitem Bogen umflog ich die gefährliche Stelle und war bald in sicherer Höhe über dem Wirbel. Kurz nach ein Uhr war ich einundzwanzigtausend Fuß über Meeresniveau. Zu meiner großen Freude hatte ich den Sturm hinter mir, mit jeden hundert Fuß kam ich in ruhigere Gefilde. Andererseits war es sehr kalt, und ich wußte um die besondere Übelkeit, die Sauerstoffmangel verursacht. Zum ersten Mal öffnete ich meinen Sauerstofftank und nahm gelegentlich einen Hauch des wunderbaren Gases. Ich fühlte es durch meine Adern sprudeln, bis ich fast berauscht davon war, und rief und sang auf meinem Weg zur kalten, stillen Außenwelt.
Es ist mir vollkommen klar, daß die Bewußtseinsstörungen, die Glaisher und in geringerem Maße auch Coxwell befielen, als sie im Ballon auf dreißigtausend Fuß stiegen, auf die hohe Geschwindigkeit zurückzuführen waren, mit der sie senkrecht nach oben fuhren. Diese verhängnisvollen Symptome bleiben aus, wenn man langsam steigt und sich kontinuierlich dem sinkenden Luftdruck anpaßt. In derselben großen Höhe fand ich, daß ich sogar ohne Sauerstoffmaske angenehm atmen konnte. Es war jedoch bitter kalt, mein Thermometer zeigte null Fahrenheit. Um halb zwei war ich nahezu sieben Meilen über der Erdoberfläche, weiterhin ständig steigend. Ich merkte jedoch, daß die dünne Luft meine Flügel deutlich schlechter trug, so daß ich den Anstiegswinkel stark verringern mußte. Es war schon klar, daß trotz des geringen Gewichts und der hohen Motorleistung ein Punkt kommen würde, wo ich nicht mehr weiterkäme. Schlimmer noch, eine meiner Zündkerzen machte wieder Ärger, und es gab ständig Fehlzündungen. Mein Herz war schwer, ich hatte Angst vor dem Versagen.
Ungefähr um diese Zeit hatte ich ein ganz außergewöhnliches Erlebnis. Etwas flitzte an mir vorbei, ein Schweif von Rauch, dann eine laute, zischende Explosion, die eine Dampfwolke hinterließ. Zunächst konnte ich mir nicht erklären, was geschehen war. Dann erinnerte ich mich, daß die Erde schon immer von Meteoren bombardiert wird und daß sie wohl kaum bewohnbar wäre, wenn nicht die meisten dieser Klötze in der oberen Atmosphäre verdampft würden. Hier zeigt sich eine neue Gefahr für den Höhenrekordler, denn zwei weitere Blöcke begegneten mir in der Nähe der Vierzigtausend-FußMarke. Zweifellos kann ich am Rande der Erdhülle diese Gefahr nicht vernachlässigen.