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»Seltsam«, er lachte nervös auf, »aber solange ich mich hier herumtreibe, habe ich nie daran gedacht, mein Testament zu machen - nicht, daß ich irgend etwas Besonderes zu hinterlassen hatte, aber wenn ein Mann sich in Gefahr begibt, sollte er zu Hause alles geregelt haben, meinen Sie nicht auch?«

Ich fragte mich, worauf er hinauswollte. »Richtig«, antwortete ich.

»Man fühlt sich besser, wenn man weiß, daß alles geregelt ist«, fuhr er fort. »Ich hoffe, daß Sie sich für mich darum kümmern, wenn mir etwas passieren sollte. Die wenigen Dinge aus meiner Kabine sollen Sie verkaufen und den Erlös wie das Ölgeld unter der Mannschaft aufteilen. Den Chronometer sollen Sie als kleine Erinnerung an Ihre Reise behalten. Natürlich meine ich das alles nur als Vorsichtsmaßnahme, doch ich dachte, ich nehme die Gelegenheit wahr und spreche mit Ihnen darüber. Kann ich mich auf Sie verlassen?«

»Ich verspreche es Ihnen hoch und heilig«, antwortete ich; »und wenn Sie schon daran denken, sollte ich vielleicht auch.«

»Sie - Sie!« unterbrach er mich. »Mit Ihnen ist alles in Ordnung. Was zum Teufel soll Ihnen schon passieren?

Entschuldigen Sie, ich wollte nicht schreien, aber ich mag es nicht, wenn ein junger Mann, dessen Leben kaum begonnen hat, mit dem Tod spekuliert. Gehen Sie lieber auf Deck, und schnappen Sie ein wenig frische Luft, als hier unten Unsinn zu reden und mich auch noch dazu zu verleiten.«

Je länger ich über dieses Gespräch nachdenke, desto unwohler fühle ich mich dabei. Warum sollte ein Mann gerade dann seine Hinterlassenschaft regeln, wenn seine Rettung unmittelbar bevorsteht? Der Wahnsinn muß Methode haben. Kann es sein, daß er an Selbstmord denkt? Dabei erinnere ich mich, wie er einmal mit tiefstem Ekel von der Verwerflichkeit des Verbrechens Selbstvernichtung sprach. Ich werde ihn jedenfalls im Auge behalten. In die intime Sphäre seiner Kabine kann ich nicht eindringen, doch ich habe mir vorgenommen, wenigstens so lange in seiner Nähe zu bleiben, wie er sich außerhalb seiner Kammer aufhält.

Mr. Milne focht meine Ängste noch an; er sagt: »Das ist ganz allein Sache des Skippers.« Unsere eigene Zukunft sieht er rosig. Wenn es nach ihm geht, werden wir übermorgen aus dem Eis heraus sein, zwei Tage später Jan Meyen passieren und nach kaum einer Woche Shetland sichten. Hoffentlich ist er nicht zu optimistisch. Seine Meinung muß sorgfältig gegen die düsteren Vorahnungen des Kapitäns abgewägt werden, denn der ist auch ein alter, erfahrener Seemann, der seine Worte wohl überlegt, bevor er spricht.

Schließlich kam es doch zu der drohenden Katastrophe. Ich weiß gar nicht, was ich darüber schreiben soll. Der Kapitän ist fort. Vielleicht sehen wir ihn noch lebendig wieder, doch ich weiß nicht - ich habe ein schlechtes Gefühl. Jetzt ist es sieben Uhr morgens am 19. September. Die ganze Nacht bin ich mit einer Gruppe von Matrosen auf dem Eisfeld vor uns umhergestreift. Wir hofften, eine Spur von ihm zu finden, doch vergeblich. Ich will versuchen, die Umstände seines Verschwindens zu schildern. Sollte irgendjemand diese Worte lesen, so vertraue ich auf sein Bewußtsein, daß ich mir nichts aus den Fingern gesaugt oder vom Hörensagen schreibe, sondern daß ich, ein gesunder und gebildeter Mann, das niederschreibe, was ich wirklich mit eigenen Augen gesehen habe. Ich ziehe zwar meine eigenen Schlüsse, doch für die Fakten stehe ich ein.

Nach dem Gespräch, das ich beschrieben habe, blieb der Kapitän bei bester Laune. Er schien jedoch nervös und ungeduldig zu sein. Er ist ruhelos und läuft ziellos mit zitternden Gliedern auf dem Schiff umher. Innerhalb einer Viertelstunde kam er siebenmal auf Deck, nur um hastig wieder hinunterzusteigen. Jedesmal folgte ich ihm, denn in seinem Gesicht war etwas, das mich in meinem Entschluß bekräftigte, ihn nicht aus den Augen zu lassen. Anscheinend bemerkte er die Aufmerksamkeit, mit der ich ihn beobachtete; durch übertriebene Heiterkeit und lautes Lachen über die dümmsten Scherze versuchte er mich zu beruhigen.

Nach dem Abendessen ging er noch einmal auf die Achterhütte, und ich folgte ihm. Die Nacht war sehr dunkel und ruhig, nur das melancholische Seufzen des Windes zwischen den Spieren war zu hören. Eine große Wolke näherte sich von Nordwesten, Fetzen, die ihr voranflogen, trieben schon über die Mondscheibe. Der Kapitän raste auf und ab, und als er sah, daß ich wie ein treuer Hund hinter ihm herlief, kam er zu mir und bedeutete mir, ich sollte besser nach unten gehen - ich brauche kaum zu sagen, daß ich dadurch nur noch in meiner Entschlossenheit bestärkt wurde, auf Deck zu bleiben.

Ich glaube, danach vergaß er meine Anwesenheit, denn er stand ruhig an der Heckreling gelehnt und schaute auf die unendliche Schneewüste, die zum Teil im Schatten lag und an anderen Stellen silbrig im Mondlicht schimmerte. Ich konnte beobachten, wie er mehrmals auf die Uhr schaute, und einmal murmelte er einen kurzen Satz, von dem ich nur das eine Wort »fertig« verstand. Ich gestehe, es lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter, als ich die mächtigen Umrisse dieses Mannes in der Dunkelheit betrachtete, und mir fiel auf, daß er haargenau wie jemand aussah, der ein Rendezvous mit seiner Geliebten hat. Seine Geliebte? Stück für Stück formte sich eine Idee in mir, ich reihte eine Beobachtung an die andere, und die Lösung des Rätsels begann mir zu dämmern, doch auf das, was nun passieren sollte, war ich noch gänzlich unvorbereitet.

An einer plötzlichen Bewegung Craigies merkte ich, daß er etwas gesehen haben mußte. Ich kletterte auf die Hütte, und stellte mich hinter ihn. Sein starrer, fragender Blick war auf etwas gerichtet, das wie ein Nebelschwaden aussah, der am Schiff entlangtrieb. Ein unbestimmter, formloser Dunstkörper, manchmal mehr, dann wieder weniger gut zu erkennen, je nachdem, wie das Licht auf ihn fiel. Das Mondlicht war gedämpft durch eine Wolke, dünn wie ein Seidenschleier.

»Ich komme, Kleines, ich komme«, rief der Skipper, seine Stimme war so süß und voller Leidenschaft, als wolle er einem geliebten Menschen endlich und mit Freuden einen langgehegten Wunsch erfüllen.

Dann ging alles sehr schnell. Ich hatte keine Chance, einzugreifen. Mit einem Satz sprang er auf die Brüstung und schwang sich aufs Eis fast direkt zu Füßen der fahlen Nebelgestalt. Er streckte ihr die Arme entgegen, als wolle er sie fassen, um dann in dieser Haltung, mit ausgestreckten Armen und liebevollen Worten auf den Lippen, hinaus in die Finsternis zu laufen. Ich blieb wir gelähmt zurück und versuchte, den Unglücklichen in der Dunkelheit auszumachen, bis seine Stimme in der Ferne erstarb. Ich glaubte nicht, ihn noch einmal sehen zu können, doch im gleichen Augenblick schien der Mond hell durch eine Lücke in der Wolkendecke und tauchte das Eis in sattes Licht. Ich sah, daß er schon sehr weit weg war, in erstaunlichem Tempo rannte er über die starre Einöde. Dann verschwand er am Horizont - vielleicht für immer. Es wurde ein Suchtrupp aufgestellt, dem ich mich anschloß, doch im Herzen glaubten die Männer nicht an einen Erfolg. Wir fanden keine Spur. In ein paar Stunden wollen wir noch einmal losgehen. Wenn ich diese Zeilen niederschreibe, kann ich kaum glauben, was ich mit eigenen Augen gesehen habe; vielleicht habe ich doch nur geträumt oder bin einer Sinnestäuschung erlegen.

19.30 h - Soeben sind wir mutlos und erschlagen vom zweiten erfolglosen Versuch zurückgekehrt, den Kapitän zu finden. Das Eisfeld muß eine enorme Ausdehnung haben, denn obwohl wir uns bestimmt zwanzig Meilen vom Schiff entfernt haben, sind wir nicht an sein Ende gestoßen. Am späten Nachmittag wurde der Frost so streng, daß die Schneedecke hart wie Granit gefroren ist. Die Crew dringt darauf, sofort den Anker zu lichten und um das Eisfeld herum Richtung Süden zu dampfen, denn dort ist das kühle Leichentuch zerrissen. Am Horizont kann man das offene Meer erkennen. Sie sagen, der Kapitän sei sicher schon tot, es hätte keinen Zweck, sinnlos unser Leben zu riskieren, wenn wir jetzt die Chance hätten, zu entkommen. Mr. Milne und ich hatten größte Schwierigkeiten, sie zu überreden, bis morgen abend zu warten. Wir mußten uns verpflichten, den Termin auf keinen Fall noch einmal aufzuschieben. Deshalb haben wir beschlossen, jetzt ein wenig zu schlafen und dann zu einer letzten Suchexpedition aufzubrechen.