Der Karren! Volker blickte zurück. Der Einspänner, hinter dem das Mädchen gekauert hatte. Vielleicht könnte er damit eine Bresche durch die Flammen schlagen.
Keuchend stürzte er zurück und rammte mit der Schulter gegen den hoch mit Holz beladenen Wagen. Doch statt loszurollen, kippte er zur Seite weg. Ein Teil der Ladung fiel auf den gestampften Lehmboden. Fluchend rannte Volker auf die andere Seite des Karrens um zu sehen, was geschehen war. Eines der Räder war auf einen hölzernen Block aufgebockt gewesen. Es war zerbrochen! Offenbar hatte der Wagen repariert werden sollen.
Fluchend blickte Volker zu der Flammenwand, die den Weg zum Scheunentor versperrte. Sollte er es wagen? Die Luft war so heiß, daß er bei jedem Atemzug das Gefühl hatte, flüssiges Feuer rinne seine Kehle hinab. Ihm war schwindlig. Es schien, als würde die Hitze die Kraft aus seinen Beinen schmelzen. Mit jedem Herzschlag fühlte er sich schwächer...
»Dorthin. Du mußt dorthin... laufen!« Hustend zeigte das Mädchen in eine Ecke, in der sich Kisten und Weidenkörbe türmten. »Dort ist eine Tür... Der dicke Mann hat die Körbe umgestoßen...«
Dicht wie die Regentropfen eines Sommergewitters fielen die Funken von der Decke. Wie ein Gewicht aus Blei lag das zarte Mädchen in Volkers Armen. Müde stieß sich der Barde vom Karren ab und stolperte auf den Haufen aus Körben zu. Sie waren offenbar einmal zu ordentlichen Stapeln geschichtet gewesen. Ein Teil der Körbe war noch immer ineinandergeschoben.
Volker trat die Weidenkörbe zur Seite. Hinter ihnen lag eine niedrige Tür. Erschöpft stieß er mit der Schulter gegen das altersdunkle Holz, doch die Tür stand fest wie ein Fels. Sie war versperrt. Der beißende Rauch trieb dem Spielmann Tränen in die Augen. Vorsichtig setzte er das Mädchen auf den Boden. Die Kleine blickte ihn mit ihren großen, grünen Augen erwartungsvoll an...
Wieder rammte der Barde seine Schulter gegen die Tür. Sie erbebte leicht, rührte sich aber nicht vom Fleck. Hinter ihm stürzten krachend weitere Balken ins Innere der Scheune. Die Luft schien in Flammen zu stehen. Seine Hände waren rot von der Hitze. Das Mädchen hatte wieder angefangen zu schluchzen.
Das also war das Ende, dachte der Barde. Er kniete neben der Kleinen nieder, schlang seinen Umhang um ihre Schultern und drückte sie fest in die Arme. Er spürte, wie ihr kleiner zerbrechlicher Leib bei jedem Seufzer erzitterte. Der Spielmann hätte seine Wut und Verzweiflung am liebsten laut herausgeschrien, doch er fürchtete, das Mädchen noch mehr zu verängstigen. So hielt er sie einfach nur fest umklammert.
Schwach hörte er zwischen dem Fauchen der Flammen und dem Krachen der nachgebenden Deckenbalken ein Geräusch wie von einem dumpfen Schlag. Ein Schauer glühender Funken prasselte auf sie nieder. Wie von Geisterhand bewegt schwang die verschlossene Tür auf. Aus den Augenwinkeln sah Volker, wie eine Flammenzunge aus der Mitte der Scheune auf die Tür zuschoß. Der Spielmann stieß das Mädchen zu Boden und warf sich schützend über sie. Wie glühende Krallen griff die Hitze nach seinem Fleisch. Er schrie auf vor Schmerz.
Nur einen Herzschlag lang waren die Flammen über ihnen, dann wichen sie wieder zurück. Eine Hand griff nach ihm. »Komm raus! Schnell! Die ganze Scheune kann jeden Augenblick zusammenbrechen.« Volker hob den Kopf und blickte in das schmerzverzerrte Gesicht Ricchars. Der Frankengraf stützte sich auf den abgebrochenen Schaft einer Mistforke. Aus der Wunde an seinem Bein sickerte ein dünner Faden Blut.
Stöhnend richtete der Barde sich auf. Das Mädchen hatte das Bewußtsein verloren. Vorsichtig nahm er die Kleine in die Arme. Über ihm knackte es drohend im Gebälk.
Humpelnd taumelten die beiden Krieger durch die niedrige Tür. Ricchar wies auf einen Balken, der dicht neben der Wand lag. »Der Eber hatte damit von außen die Tür verrammelt. Er wollte uns in den Flammen verrecken sehen. Wenn ich den Bastard bekomme, werde ich ihm mit meinen eigenen Händen das Herz herausreißen!«
Volker beachtete Ricchar kaum. Noch immer war ihm schwindelig und übel. Mit letzter Kraft schleppte er sich zu einer Eiche, die einen Steinwurf vom Bauernhaus entfernt stand. Hier war die Hitze der brennenden Scheune kaum noch zu spüren. Vorsichtig legte er das Mädchen ins hohe Gras und ließ sich dann erschöpft neben dem mächtigen Baumstamm nieder. Besorgt musterte er das Kind. Gesicht und Hände des Mädchens waren noch immer gerötet. Sie hielt die Arme vor die Brust verschränkt und hielt etwas ganz eng an sich gedrückt. Dunkles Blut besudelte ihr zerrissenes Wollkleid. Ob sie verletzt war? Der Spielmann beugte sich weiter vor, um sie näher zu untersuchen, und da erkannte er, was die Kleine mit ihren zierlichen Fingern so fest umklammert hielt. Es war ein blasser, blutverkrusteter Menschenfuß!
3. KAPITEL
»Und ich sage dir, Ricchars Leute haben ihn umgebracht!« Golo hatte Mühe, seine Stimme im Zaum zu halten. Volkers Blindheit gegenüber den üblen Machenschaften des Frankengrafen war kaum zu fassen! Fast schien es, als verschließe der Barde absichtlich die Augen vor dem Offensichtlichen! Sie standen im Gang vor dem Quartier des Spielmanns. Durch die Tür, die einen Spaltbreit geöffnet war, konnte Golo das zweite Bett sehen, das man in Volkers Kammer gebracht hatte. Unter der zerknüllten Decke lugte ein dunkler Haarschopf hervor.
»Was heißt es schon, daß du Blut an deinen Beinkleidern hattest? Vielleicht war es sogar von einem Tier.«
»Unsinn!« knurrte Golo wütend. »Ich wollte mich dort in den Thermen mit dem Diener treffen, und seit gestern abend hat ihn niemand mehr gesehen. Er ist heute morgen nicht zu seinem Dienst hier im Palast erschienen!«
»Vielleicht waren es auch die Räuber des Ebers. Sie haben gestern nacht die Gegend unsicher gemacht. Womöglich ist auch dein Diener eines ihrer Opfer geworden!«
»Wie sollten die Räuber denn unbemerkt die Stadtmauern überwunden haben?« entgegnete der junge Ritter sarkastisch. »Ich war heute morgen noch einmal in den Thermen, um bei Tageslicht nach Spuren zu suchen. Außer einer eingetrockneten Blutlache war nichts zu finden. Die Leiche ist weg! Irgendwelche Räuber hätten sich niemals die Mühe gemacht, einen Mann verschwinden zu lassen, den sie wegen der paar Kupferstücke in seiner Geldbörse umgebracht hätten. Ich sage dir, es waren die Männer des Grafen!«
»Und warum sollte Ricchar einen seiner Diener ermorden lassen? Ich kann keinen Sinn in deinen Verdächtigungen sehen? Ricchar ist ein vorbildlicher Gastgeber. Er ist ein Mann von Bildung, Anstand und ritterlichem Mut. Gestern nacht hätte er, ohne zu zögern, sein Leben gegeben, um eine Bauernfamilie gegen eine Bande von Halsabschneidern zu verteidigen. Ich werde nicht dulden, daß du den Namen dieses Mannes in den Schmutz ziehst!« Zwischen Volkers Augenbrauen zeigte sich eine steile Zornesfalte.
»Und wenn du ihn tausendmal einen Helden nennst, bleibe ich dabei, daß in dieser Stadt etwas nicht geheuer ist. Ich wollte heute mittag beten. Es gibt hier eine Kirche und eine Kapelle. Beide sind mit Brettern vernagelt. Weder am Fürstenhof noch in der Stadt findet sich auch nur ein christlicher Priester! Und wenn man die Leute auf der Straße nach einem Pater oder einem Mönch fragt, der einem die Beichte abnehmen kann, suchen sie ängstlich das Weite!«
»Ja, ich weiß...« Volker wirkte zerknirscht. »Ricchar ist ein Heide. Aber warum sollte er deshalb ein Mörder sein? Und was die Kirchen angeht... Es ist nicht ungewöhnlich, wenn das einfache Volk den Glauben seines Fürsten annimmt.«
Golo schnaubte wütend durch die Nase. »Auf alles kannst du eine kluge Antwort geben! Trotzdem stimmt hier etwas nicht! Ich spüre es. Weißt du, daß man selbst über dich schon redet?«
Der Spielmann zuckte lächelnd mit den Schultern. »Was schert mich das Geschwätz von Küchenmägden?«