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»Sie sagen, du hättest das kleine Mädchen mit in dein Quartier genommen, um dich mit ihr zu vergnügen! Warum hast du sie nicht einfach im nächsten Dorf gelassen? Sie muß hier doch irgendwo Verwandte haben... Jemanden, der sich um sie kümmert, und...«

Der Spielmann schnellte vor, packte ihn am Wams und drückte ihn gegen die gegenüberliegende Wand. »Paß auf, was du sagst! Wir waren bisher Freunde, Golo... Das muß nicht für die Ewigkeit so sein. Ich werde mir deine Beleidigungen nicht länger anhören. Und was Mechthild angeht... Sie hat keine Verwandten! Es gibt niemanden, der sich um sie kümmern würde... Sie alle sind tot! Du hättest sehen sollen, was die Räuber ihrem Vater angetan haben... und ihr...« Dem Barden versagte die Stimme.

»Es tut mir leid.« Golo löste sich vorsichtig aus dem Griff des Recken. »Ich wollte nicht... Ich meine... Du kannst sie doch nicht für immer beschützen. Willst du sie mitnehmen, wenn wir aufbrechen? Erinnerst du dich noch, weshalb wir hierhergekommen sind? Wir haben am Hof dieses Heidenfürsten nichts zu suchen. Den Feuervogel wirst du in den Bergen finden...« Der junge Ritter machte eine Pause und starrte Volker in die Augen. »Wenn es diesen Vogel überhaupt gibt!«

»Laß mich in Ruhe. Geh! Ich will allein mit ihr sein!«

»Dann wird es noch mehr Gerede über euch beide geben. Begreif das doch! Du warst immer mein Vorbild! Du bist, wie Ritter sein sollen. Mutig und ohne Fehl, aber jetzt...«

»Es hat sich nichts daran geändert! Nicht was die Leute sagen, ist wichtig! Ich bin noch immer ohne Fehl!«

Golo schüttelte den Kopf. Der Barde wollte einfach nicht begreifen. »Was nutzt deine Tugend, wenn keiner an sie glaubt. In der Küche und in den Ställen macht man schon Späße über dich.«

»Ich werde mein Leben nicht von Lügen bestimmen lassen! Es sind letzten Endes allein die Taten, die zählen.«

Golo gab es auf. Er würde diesem verbohrten Dickkopf wohl niemals begreiflich machen können, daß sie beide hier in der Falle saßen. Dieser Palast würde ihnen noch zum Verhängnis werden! Einen Moment lang überlegte der junge Ritter, ob Ricchar vielleicht einen Zauber über Volker gesprochen hatte, doch dann verwarf er den Gedanken wieder. Ricchar war ein Krieger und kein Magier... Doch vielleicht hatte er unter seinen Freunden einen Zauberer! Golo beschloß, sich die Männer aus dem Gefolge des Fürsten noch einmal genau anzusehen.

»Ich glaube, wie haben uns für heute nichts mehr zu sagen!« Volker trat in die Tür zu seiner Kammer. »Laß mich jetzt in Ruhe! Ich werde mich um das Mädchen kümmern... Sie ist noch immer ganz verängstigt.«

Golo nickte. Zerknirscht schritt er den Gang zum Atrium hinab. Er würde schon noch herausfinden, was für ein Spiel der Frankenfürst mit ihnen trieb! Und er würde Volker beschützen. Es mußte einen Weg geben, den Spielmann aus dieser unseligen Stadt hinauszubekommen!

Gedankenverloren schlenderte Golo den Gang hinunter, durchquerte das Atrium und bog in den Säulengang ab, der zum kleinen Garten führte. Es war schwül. Die Luft schien zu einer festen Masse erstarren zu wollen. Schweiß perlte von seiner Stirn, und sein leichtes Leinengewand klebte ihm am Körper. Den ganzen Tag über hatte sich ein Gewitter angekündigt. Dunkle Wolken waren über den Himmel getrieben, doch der erlösende Regenguß war ausgeblieben. Jetzt ertönte von den Bergen im Westen leiser Donner.

Das rote Licht der untergehenden Sonne ließ die Wolken aufglühen wie die Kohlenstücke eines fast verloschenen Lagerfeuers. Wenn nur endlich der befreiende Regen kommen würde! Golo betrat den Weg, der von den Säulen in den Garten führte. Einige merkwürdige Bäume mit noch merkwürdigeren roten Früchten wuchsen dort. Sie waren fast rund, kaum größer als kleine Kupfermünzen und rot wie Blut. Aus seinem Dorf kannte er Äpfel, Birnen und Pflaumen. So etwas jedoch hatte er noch nicht gesehen. Es paßte zu den verschrobenen Ideen des Frankenfürsten, daß er in seinem Garten Obstbäume stehen hatte, wie man sie sonst nirgends fand. Wie dieses Obst wohl schmeckte? Verstohlen blickte Golo sich um. Eine hohe Hecke teilte den Garten in zwei Hälften. Es war niemand zu sehen, der ihn beobachtete. Die Äste der Bäume bogen sich unter der Last der Früchte. Es würde niemanden auffallen, wenn er etwas naschte. Langsam streckte er die Hand aus und verharrte inmitten der Bewegung. Hinter der Hecke war leises Stimmengemurmel zu hören. Zwei Männer... Eine der Stimmen kam Golo bekannt vor. Es war der Graf!

Wieder blickte sich der junge Ritter um. Es war niemand da, der ihn beobachten konnte. Vorsichtig schlich er auf die Hecke zu. Es konnte nicht schaden, wenn er wußte, was der Graf mit seinen ketzerischen Freunden besprach.

»... unmöglich. Keiner der Jäger wagte es, ihm zu folgen. Hinter vorgehaltener Hand nennt man ihn den Herrn der Berge.«

»Ich weiß!« erklang die Stimme des Frankenfürsten gereizt. »Ich hätte ihn schon längst richten sollen. Aber diesmal ist er zu weit gegangen. Mein Heiler sagt, ich sollte mir wenigstens eine Woche Ruhe gönnen, doch ich denke, in drei Tagen bin ich wieder so weit bei Kräften, daß ich reiten kann. Bis dahin werden wir ihn doch wohl nicht aus den Augen verlieren!«

»Nein, Bruder. Ich habe ein Rudel Wölfe auf seine Spur gesetzt. Sie haben keine Angst vor dem Eber. Im Gegenteil, sie sahen in dem kleinen Jagdausflug eine willkommene Abwechslung.«

»Ich hoffe, daß den Wölfen meine Befehle klar sind! Ich will den Eber selbst zur Strecke bringen! Nicht, daß sie ihn vor mir reißen. Dieser räudige Hund hat es gewagt, auf mich zu schießen und mich zu verhöhnen. Dafür soll er mir büßen!«

»Sie wissen, daß du ihn lebend haben willst«, entgegnete der Fremde. »Die Wölfe werden nur auf seiner Fährte bleiben. Sonst nichts.«

Golo hätte zu gern gewußt, mit wem der Fürst dort sprach. Und was sollte dieses Gerede über Wölfe? Wen meinte der Fremde damit? Vielleicht Söldner? Der junge Ritter war inzwischen bis dicht an die Hecke geschlichen und bog vorsichtig einige der Äste auseinander. Auf der anderen Seite gab es ein kleines Wasserbecken, neben dem Marmorstatuen standen. Fürst Ricchar lag lang auf eine Kline gestreckt. Er trug eine kurze Tunika, unter der man deutlich sein bandagiertes Bein sehen konnte.

Hinter dem Grafen standen zwei Wachen mit eisernen Masken. Der Fremde, mit dem Ricchar sprach, hatte Golo den Rücken zugewandt. Es war ein hochgewachsener dunkelhaariger Mann. Er trug leichte Reitstiefel und einen staubbedeckten roten Umhang.

»Was ist mit dem Wesen mit dem Löwenkopf?« fragte der Fremde.

»Richte dem Bruder Heliodromus aus, daß er mit ihr verfahren kann, wie es ihm beliebt. Ich will es nicht mehr wiedersehen. Am besten ist, es verschwindet...«

Der Mann mit dem roten Umhang nickte. »Und was ist mit den beiden Burgunden? Einige der Brüder machen sich Sorgen. Vielleicht hat König Gunther sie als Spitzel geschickt.«

»Was diesen Golo angeht, könnte das wohl durchaus möglich sein. Er schnüffelt meinen Dienern nach und versucht Unzufriedene zu finden. Wenn er anfängt wirklich Ärger zu machen, sollten wir uns für ihn vielleicht etwas überlegen... Volker aber ist für mich über jeden Zweifel erhaben. Er ist ein Ritter, wie man ihn sonst nur in romantischen Heldenliedern findet. Für niedere Spitzeldienste würde er sich niemals hergeben. Ich muß gestehen, er ist mir sympathisch, auch wenn er vom Irrglauben der Christen verblendet ist. Ich möchte versuchen, ihn für unsere Sache zu gewinnen. Wenn es gelingt, ihn zu überzeugen, könnte er noch sehr nützlich für uns werden.«

In der Pause, die auf diese Worte folgte, glaubte Golo sein Herz so laut wie eine Trommel schlagen zu hören. Er hatte recht gehabt! Der Frankenfürst benutzte Volker. Doch wie konnte er den Spielmann davon überzeugen? Vorsichtig schlich sich der junge Ritter von der Hecke fort. Er hatte genug gehört!