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Ein Donnerschlag hatte Volker aus dem Schlaf gerissen. Einen Augenblick lang war die Kammer in gleißend helles Licht getaucht. Der hölzerne Fensterladen klapperte leise in seiner Verankerung. Die drückende Hitze war gewichen. Eine angenehm kühle Brise wehte durch das weit offene Fenster.

Schlaftrunken richtete sich der Spielmann auf seinem Lager auf und blickte zu Mechthild. Das Mädchen stöhnte leise im Schlaf. Sie hatte sich zusammengerollt und die Hände fest in die zusammengeknüllte Decke gekrallt. Wie ein Kranz aus Finsternis lag ihr Haar um ihr Haupt.

Wieder zuckte ein Blitz vom Himmel, und der Donner ließ das Zimmer erbeben. Volker hatte den Blitz nur aus dem Augenwinkel gesehen. Er war vielfach gegabelt gewesen und hatte ein wenig wie eine skelettierte Hand ausgesehen, die vom Himmel herabgriff. Den Spielmann fröstelte es, und er rieb sich über die nackten Arme.

»Nein! Tut ihm nichts!« Mechthild warf den Kopf zur Seite. »Bitte nicht! Das tut so weh...« Mit einem Schrei richtete sie sich auf. Sie hielt die Arme eng um ihre Brust geschlungen.

Volker sprang aus dem Bett. Sie schien ihn nicht zu erkennen. Mit schreckensweiten Augen starrte sie ihn an. »Bitte, tu mir nichts... Bitte...«

»Hab keine Angst! Erinnerst du dich nicht mehr?«

Das Mädchen rutschte vor ihm weg. Der Spielmann ließ sich am Fußende ihres Lagers nieder. Langsam streckte er ihr die Hand entgegen. »Niemand wird dir hier etwas tun. Ich paß auf dich auf, meine kleine Prinzessin.«

»Es tut so weh...«

Helles Licht durchflutete die Kammer. Etwas Gleißendes flog durch das Fenster. Eine leuchtende Gestalt mit weit ausgebreiteten Schwingen. Mechthild wollte aufspringen und davonlaufen, doch Volker packte sie und zog sie zu sich herüber.

»Was bist du?« flüsterte der Spielmann leise. Das Lichtgeschöpf war kaum größer als ein Menschenkopf. Es hatte Schwingen aus leuchtender Glut und erschien fast wie ein Vogel. Völlig lautlos glitt es dicht unter der Zimmerdecke entlang.

»Bist du gekommen, um mich auf meinen Weg zurückzuführen?«

Er erhielt keine Antwort.

»Hat Golo recht, habe ich mich verirrt?«

Ein seltsamer, fast metallischer Geruch lag in dem Zimmer. Für einen Augenblick verharrte die Lichtgestalt. Draußen auf dem Hof erklangen die Rufe von Wachposten. Mechthild klammerte sich so fest an Volker, daß ihre Fingernägel ihm tief ins Fleisch schnitten.

»Wenn du gekommen bist, um mich zu holen, dann verschone wenigstens das Mädchen.«

Die leuchtende Gestalt begann wieder, sich zu bewegen. Sie zog eine Schleife unter der Zimmerdecke und schwebte dann langsam in Richtung des Fensters.

»Willst du, daß ich dir folge?«

Stille.

Volker löste den Griff des Mädchens und erhob sich. Unsicher trat er ans Fenster. Der Feuervogel war auf den Hof hinausgeflogen. Steil stieg er in den Himmel hinauf, drehte einen Kreis über dem Palast und flog dann nach Westen in Richtung der Berge.

»Warum hast du nicht mit mir gesprochen? Zürnst du mir?« Die flammende Gestalt wurde immer kleiner. Ein gegabelter Blitz zuckte quer über den Himmel. Als das gleißende weiße Licht der Finsternis wich, war der Feuervogel nicht mehr zu sehen. Ein eisiger Luftzug wehte in das Zimmer. Noch immer roch es wie nach glühendem Metall.

»Ist die Kugel fort?« flüsterte Mechthild leise.

»Was für eine Kugel?«

»Das helle Licht... Ist es fort?«

Volker trat an das Bett des Mädchens. »Du meinst den Feuervogel?«

Die Kleine sah ihn verständnislos an. »Das helle Licht. Die Kugel...«

Der Spielmann schloß sie fest in die Arme. »Ja, das Licht ist fort. Es hat nichts Böses von dir gewollt. Es hat mich gerufen. Ich werde ihm folgen müssen.«

»Du wirst mich allein lassen, nicht wahr?«

»Nein, meine kleine Prinzessin. Du sollst mich begleiten. Egal, wohin ich auch reite. Das habe ich dir versprochen, und ein wahrer Ritter hält immer das Wort, das er einer Dame gibt.« Volker schob ihr zärtlich die Hand unter das Kinn und hob ihren Kopf, so daß sie ihm ins Gesicht blicken mußte. »Ich werde für dich sorgen, bis wir ein neues Zuhause für dich gefunden haben.«

Auf dem Gang vor dem Zimmer war der schwere Tritt genagelter Soldatenstiefel zu hören. Jemand klopfte energisch an die Tür. »Ist alles in Ordnung, Herr? Wir haben ein Licht gesehen, das vom Himmel gestiegen ist.«

»Es geht mir gut!« Mit Mechthild im Arm trat Volker an die Tür und öffnete. Wahrscheinlich war es am besten, sich den Soldaten kurz zu zeigen, damit sie beruhigt auf ihre Posten zurückkehrten. Als er aus der Tür schritt, wichen die Krieger ängstlich vor ihm zurück. Auch wenn sie schimmernde Kettenhemden trugen, waren es nur einfache Männer.

»Mithras hat ein Sternenlicht zu Euch geschickt, nicht wahr? Wir alle konnten es sehen, wie es in Euer Zimmer geflogen ist und wie Ihr es zum Fenster geleitet habt, als es wieder in den Himmel gestiegen ist.« Der Mann, der zum ihm gesprochen hatte, war der älteste unter den Kriegern. Sein dunkelbraunes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Er hatte ein offenes und ehrliches Gesicht, in dem sich nun abergläubische Furcht spiegelte.

»Es war ein Vogel aus Licht, der mich besucht hat. Seine Flügel waren lodernde Flammen.«

Der ältere Krieger sagte etwas, was Volker nicht verstand. Ein Wort wie ater oder etwas Ähnliches. Die Männer knieten nieder und senkten ehrfürchtig ihre Häupter.

Volker räusperte sich verlegen. »Steht auf! Laßt das! Es war kein Bote eures Gottes, der mich aufgesucht hat.«

»Doch, Herr! Der Lichtvogel ist ein Bote des Ormuz, der jeden Tag in seinem Flammenwagen über den Himmel fährt. Ihr seid ein Auserwählter des Lichtes. Das Augenmerk der Götter liegt auf Euch!«

4. KAPITEL

Es war ein Spätsommertag, an dem man den Atem des Winters schon in der Luft spüren konnte. Obwohl es nicht wirklich kalt war, war doch deutlich, daß die Hitze, die noch den vorherigen Tag bestimmt hatte, in diesem Jahr nicht mehr zurückkehren würde. Auf der gepflasterten Straße, die in die Berge führte, standen große Pfützen, und die Steine waren mit dem Laub bedeckt, das der Sturm der letzten Nacht von den Bäumen gerissen hatte.

Golo blickte zum Himmel, der halb von den Kronen der hohen Eichen verdeckt wurde, welche die breite Straße säumten. Der Wind trieb weißgraue Wolkengebirge über den Himmel. Fast alle Blätter an den Bäumen hatten schon braune Kränze an ihren Rändern. Bald würde der Herbst den Wald in Rot und Gold tauchen. Den jungen Ritter fröstelte es. Man hatte ihm in der Stadt erzählt, daß der Herbst in den Bergen nur kurz sei und daß schon lange vor dem Christfest Schnee fallen würde, der die Straßen unpassierbar machte und die Dörfer und kleinen Städte voneinander abschnitt. Doch trotz dieser Aussichten war er froh, Castra Bonna hinter sich zu lassen. Jetzt, wo Volker dem intriganten Frankenfürsten entkommen war, würde alles wieder so werden, wie es einmal gewesen war.

Ein wenig mißmutig blickte er zu dem Mädchen, das der Spielmann vor sich auf den Sattel genommen hatte. Sie hielt die Zügel, und Volker spielte für sie ein ausgelassenes Lied auf seiner Laute. Was sollte nur mit ihr werden, wenn der Winter kam? Sie würde die Kälte und die Entbehrungen nicht überleben! Volker hatte sich sehr verändert. Golo dachte an das Mädchen, das sie im letzten Jahr an einem einsamen Wegkreuz in Aquitanien zurückgelassen hatten. Sie war nur zwei oder drei Jahre älter gewesen als Mechthild... Der Barde hatte ihr das Herz gebrochen. Eine einzige Liebesnacht nur hatte er mit ihr verbracht und sie dann, als sie aus ihrem Dorf ausgeschlossen wurde, in Stich gelassen. Was war in ihm vorgegangen, daß er sich nun so sehr um Mechthild sorgte. War es am Ende vielleicht Reue über das Leben, das er einmal geführt hatte?

Aber was zählte das schon! Das wichtigste war, daß sie diese verfluchte Stadt hinter sich gelassen hatten! Ricchar hatte Volker in der Nacht und noch ein zweites Mal am Morgen besucht. Golo wußte nicht, worüber die beiden gesprochen hatten, doch Volker war offenbar durch nichts von seinem Entschluß abzubringen gewesen, an diesem Morgen aufzubrechen. Was in der vergangen Nacht wohl in der Kammer des Spielmanns geschehen war? Jeder erzählte eine andere Geschichte darüber. Die Wachen und Krieger im Palast waren davon überzeugt, daß ihr Gott Mithras dem Barden ein Zeichen geschickt hatte. In ihren Augen war der Spielmann auserkoren, und es war ihm bestimmt, irgend etwas Ungewöhnliches zu tun. Ganz anders hörte sich die Geschichte an, die Mechthild zu erzählen hatte. Und sie mußte schließlich wissen, was geschehen war. Immerhin war sie dabeigewesen! Sie hatte nur ein kaltes blauweißes Licht gesehen. Eine Kugel, so groß wie ein Menschenkopf, die in das Zimmer geschwebt war. Sie hatte Angst vor dieser ungewöhnlichen Erscheinung gehabt.

Und Volker... Golo schmunzelte. Der Spielmann glaubte, ihm sei der Feuervogel erschienen. Er hatte keine Kugel, sondern einen Vogel mit glühenden Schwingen gesehen. Doch ganz gleich, was auch immer es gewesen sein mochte, es hatte sie aus dem Bann des Ketzerfürsten Ricchar gelöst. Vielleicht war es ja ein Engel, den einer der Heiligen geschickt hatte, um Volker auf den rechten Weg der Tugend zurückzuführen und gegen die Versuchung Satans zu schützen.

Ob sie Ricchar wohl entkommen waren? Das weite Bergland vor ihnen gehörte bis kurz vor die Tore von Treveris dem Gaugrafen. Auch Ricchar wollte in den nächsten Tagen in die Berge reiten, um der Spur des Ebers zu folgen. Hoffentlich entkam ihm der Räuber. Wer immer sich gegen den Ketzer stellte, konnte im Grunde kein schlechter Mensch sein. Golo glaubte noch immer nicht daran, daß der verschwundene Palastdiener von Strauchdieben getötet worden war. Der Mord war auf Befehl Ricchars geschehen!

Wieder blickte Golo zum Himmel. Manchmal fiel es ihm schwer, die Geschichten der Priester zu glauben. Irgendwo dort oben lag das Reich Gottes. Das himmlische Paradies, ein Ort ewiger Glückseligkeit... Doch was tat man dort eine Ewigkeit lang? Die Priester erzählten nie viel darüber, was da oben geschah. Die Geschichten der Heiden waren im Vergleich dazu wesentlich anschaulicher. Den Helden war es bestimmt, mit den Göttern zusammen an einer Tafel zu sitzen und auch weiterhin das Leben von ehrenhaften Kriegern zu führen... Golo schüttelte energisch den Kopf. Was dachte er da nur! Mit solch stummen Zwiegesprächen gefährdete er sein Seelenheil! Bei nächster Gelegenheit sollte er einen Priester zur Beichte aufsuchen. Es war nicht gut, seine Seele mit solchem Schmutz zu besudeln... Doch wie lange mochte es wohl dauern, bis sie einen Christenpriester trafen? In Castra Bonna waren alle Kirchen vernagelt gewesen. Ob Ricchar die Christenpriester wohl auch schon aus den Bergen vertrieben hatte? Wie konnte ein Mann nur ungestraft solches Unrecht tun? Warum wurde dieser ruchlose Versucher nicht einfach von einem Blitz aus heiterem Himmel erschlagen? Oft schon war es Golo so erschienen, daß Gott gegenüber seinen treuesten Anhängern strenger war als gegenüber den Ketzern oder den Kleingeistigen, deren Christentum kaum mehr als ein Lippenbekenntnis war.

Mit jähem Schrecken wurde Golo bewußt, daß seine Gedanken blanke Ketzerei waren. Das mußte das schleichende Gift des Frankenfürsten sein. Seine süßen Worte und seine Lockungen... Sie waren dazu angetan, jedem, der ihm begegnete, die Seele zu vergiften. Warum sah Ricchar nicht aus wie einer der Teufel, von denen die Priester erzählten? Warum stand ihm seine Verruchtheit nicht ins Gesicht geschrieben? Sicher hatte der Versucher selbst den Leib des Grafen aus dem blutbesudelten Lehm der Hölle geschaffen und ihm mit seinem fauligen Atem Leben eingehaucht. Das mußte auch der Grund sein, warum der Eber Ricchar nicht getötete hatte. Die Diener der Finsternis brachten einander nicht um!

Leise begann Golo ein Vaterunser zu beten. Er mußte vorsichtig sein! Die letzten Tage hatten ihn über einen schmalen Grad geführt, und wenn er nicht fest im Glauben war, dann mochte ihm auf dieser Reise Schlimmeres widerfahren, als nur sein Leben zu verlieren.