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Ein Schrei riß Volker aus seinen Gedanken. Mechthild! Mit einem Satz war er auf den Beinen und griff nach seinem Schwert, das gegen die Wand der Hütte lehnte. Mit einem Schlag waren alle Vogelstimmen ringsherum verstummt. Der Wald wirkte jetzt dunkel und unheimlich. Immer wieder den Namen des Mädchens rufend, hastete Volker durch das dichte Unterholz. Wie die Hände von Kobolden griffen Dornenranken und verschlungene Wurzeln nach seinen Beinen und Füßen. Rechts von ihm war plötzlich das Geräusch brechender Äste zu hören. Er riß das Schwert aus der Scheide und warf sich herum. Er hatte ein Rudel Rehe aufgescheucht, das mit weiten Sprüngen in Richtung der Rodung davoneilte. Dann wechselten sie abrupt die Richtung, als Golo mit dem Schwert in der Hand aus dem Morgendunst trat.

»Was ist passiert?«

»Mechthild. Sie hat geschrien. Sie muß hier irgendwo ganz in der Nähe sein.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte Volker sich ab. Warum antwortete das Mädchen nicht? Was mochte ihr nur geschehen sein? Wenn sie ein wildes Tier angefallen hätte, würde man Schreie oder das Knurren der Bestie hören. Diese Stille... Volker schluckte und beschleunigte seine Schritte. Das Unterholz wurde lichter. Der Wald bestand hier fast ausschließlich aus Buchen. Ihre schlanken Stämme wirkten fast wie die Säulen eines Tempels. Die Dunstschwaden waren hier dichter. Einen Moment lang glaubte Volker, ein leises Wimmern zu hören. Dann war es wieder still.

Der Barde gab Golo ein Handzeichen, sich etwas links von ihm zu halten. Das Schwert bereit zur Verteidigung gehoben, trat Volker weiter in den Buchenforst. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Ein Schauer lief ihm über Rücken und Arme. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Sein Mund war wie ausgetrocknet. Vorsichtig drehte er sich einmal um die eigene Achse. Das graue Licht und der Nebel erlaubten kaum weiter als zwanzig Schritt zu sehen.

Jetzt konnte er ein Stück voraus eine Gruppe seltsam verwachsener junger Bäume erkennen. Wieder ertönte das leise Wimmern.

»Mechthild?«

Das Jammern wurde lauter. Volker hastete vorwärts. Ein gestürzter Baumriese versperrte den Weg. Die dichten erdverkrusteten Wurzeln der Buche hatten ein klaffendes Loch im Waldboden zurückgelassen. Dort kauerte Mechthild. Sie hatte sich zusammengerollt und verbarg den Kopf zwischen den Knien.

»Was ist gesch...« Dem Spielmann blieb das Wort im Halse stecken. Jetzt erkannte er, was das Mädchen erschreckt hatte. Die seltsam verwachsenen Bäume... Ein Stück voraus hatte jemand die Kronen von einigen jungen Buchen gekappt und auf den dünnen Stämmen die Leichen von sieben Kriegern gepfählt.

Volker stieg in die Grube hinab und nahm das Mädchen in die Arme. »Ist gut, meine Kleine. Ich bin jetzt bei dir und werde dich beschützen...«

Mechthild war verstummt. Sie krallte ihre Hände in seine Arme, so, als hinge ihr Leben davon ab, ihn nie wieder loszulassen. Eine ganze Weile verging, bis ein leises Räuspern Volker aufblicken ließ. Golo stand neben dem entwurzelten Baum und blickte zum ihm herab. »Da ist etwas, das du dir ansehen solltest.«

»Was denn...«

»Mir scheint, es sind Sachsen und... Es ist besser, wenn du das Mädchen nicht mitnimmst, weil...« Golo schluckte. »Ich glaube, einer von den Kerlen lebt noch.«

Der Spielmann löste sich sanft aus dem Griff des Mädchen. Noch immer gab Mechthild keinen Laut von sich. Ihre Zöpfe hatten sich gelöst, und ihr langes, braunes Haar hing ihr in breiten Strähnen ins Gesicht. Mit angstweiten grünen Augen blickte sie Volker an. Der Spielmann schluckte. Er fühlte sich elend. Wie hatte er darüber nachdenken können, sie und Golo im Stich zu lassen.

»Mein Freund wird bei dir bleiben... Ich komme gleich wieder.«

Mechthilds Blick war ein stummes Flehen, zu bleiben.

»Es dauert nicht lange.« Volkers Stimme klang heiser. Er kletterte aus der flachen Grube und trat zu den Toten. Mitten zwischen ihnen lag auf einem Baumstumpf ein abgetrennter Wildschweinkopf. Der Eber! Diese Morde waren sein Werk.

Die meisten der Männer mußten schon tot gewesen sein, als man sie auf die jungen Baumstämme gespießt hatte. Sie trugen Wunden von Pfeilen. Man hatte die Geschosse wieder aus ihren Körpern gezogen, um die kostbaren eisernen Pfeilspitzen zurückzugewinnen. Nur einem der Krieger steckte noch ein abgebrochener Schaft in der Brust. Die Kleider der Toten waren zerrissen. Man hatte ihnen alles geraubt, was von Wert gewesen sein mochte. Waffen, Gürtel, Gewandfibeln und Ringe. Mit Ausnahme eines Rothaarigen waren sie alle blond. Sie trugen nach sächsischer Manier die langen Haare zu Zöpfen geflochten. Die Wickelgamaschen aus ungegerbtem Leder, die kurzen Umhänge aus grauem Wolfspelz, all dies verriet, daß sie keine Franken sein konnten.

Volker dachte an das Gespräch, das Golo belauscht hatte. Der Bote hatte Ricchar gesagt, er habe ein Rudel Wölfe auf die Spur des Ebers gesetzt. Er mußte diese sächsischen Söldner damit gemeint haben.

Der Spielmann spürte, wie ein Blick auf ihm lastete. Der Krieger links neben dem Eberkopf... Der Sachse war noch jung. Er mochte kaum mehr als zwanzig Sommer gesehen haben. Seine Augen glänzten wie im Fieber. Die Lippen des Mannes bewegten sich stumm. Volker faßte ihn sanft am Arm. Für einen Augenblick kniff der Sachse die Augen zusammen. Er stöhnte. Selbst diese leichte Berührung schien ihm Schmerzen bereitet zu haben.

»Wir holen dich da runter...« Der Barde blickte an dem Baumstamm hinab. Bis zu den Wurzeln war der graue Stamm mit Blut und Fäkalien besudelt. Schillernde Fliegen tanzten um die Füße des Sachsen, krochen über seine schmutzigen Hosen und die Schürfwunden an seinen Armen. Fast einen halben Schritt hingen die Füße des Sachsen über dem Boden. Volker fragte sich, wie tief sich der angespitzte Baumstamm schon in den Leib des Mannes gebohrt haben mochte. Ob er noch zu retten war? Oder würde jeder Versuch, ihn herabzunehmen, ihm nur zusätzliche Qualen bereiten.

»Sing Odin... daß... ich...« Der junge Krieger stöhnte. »... ich ein tapferer... Mann war.«

»So schnell wirst du deinen Gott noch nicht sehen. Wir werden dich dort herunter hole und dann...«

»Aelfre...«

Volker blickte den Mann verwundert an. Aelfre? Was hatte das zu bedeuten?

Der Krieger versuchte seinen Arm zu bewegen. Er schien auf seine Brust weisen zu wollen. Im selben Augenblick ging ein Ruck durch seinen Körper. Der Sachse stöhnte auf. Blut tropfte von seinen Lippen. Noch immer starrte er Volker mit weit offenen braunen Augen an. Der Pfahl hatte sich ein wenig tiefer in den Leib des Mannes gebohrt.

Bis auf das Summen der Fliegen war es totenstill im Buchenhain. Schmale Streifen roten Lichts fielen durch das Blätterdach. Der Morgendunst hatte sich fast aufgelöst. Nur dünne graue Schleier trieben noch dicht über dem Boden. Jetzt erst bemerkte Volker den Gestank. Es roch nach Kot, Blut und dem herben Duft verfaulender Blätter. Warum hatte der Eber die Sachsen nicht einfach alle umgebracht? Warum diese Folter? Es mußte mindestens eine Stunde gedauert haben, die Krieger zu pfählen. Wahrscheinlich sogar länger. Der Räuber mußte doch wissen, daß Ricchar ihm bald folgen würde. Jede Stunde, die er Vorsprung hatte, mochte bald schon kostbar für den Eber sein...

Der Spielmann griff nach dem Hals des Sachsen. Er konnte spüren, wie das Blut noch immer schwach durch die Adern des Mannes pulsierte. Der Sachse war nur ohnmächtig. Volker wünschte, niemals in den Buchenhain gekommen zu sein. Was sollte er tun? Jeder Versuch, den Mann vom Pfahl zu nehmen, würde nur unendliche Qual für ihn bedeuten. Und wenn er jetzt ging und den anderen sagte, der Sachse sei tot... Volker schluckte. Er hatte einmal von einem Mörder gehört, der gepfählt worden war. Drei Tage hatte es gedauert, bis der Kerl endlich tot war. Wie lange der junge Sachse wohl noch zu leiden hätte?

Er schlang seine Arme um die Hüfte des Kriegers. Mit aller Kraft spannte er die Muskeln an. Dann schob er den Gepeinigten nach oben. Die Schmerzen brachten den Sachsen wieder zu Bewußtsein. Er stieß einen leisen Schrei aus. Es gab ein gräßliches, schmatzendes Geräusch, als sich das geschundene Fleisch vom Pfahl löste. Volker biß sich auf die Lippen. Endlich war der junge Krieger befreit und sank ihm in die Arme.