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Nachdenklich blickte der Barde in die Flammen der Feuergrube in der Mitte des Festsaals. Er wußte nicht zu sagen, woher es kam, daß dieses Märchen ihn so aufwühlte. War es vielleicht der Feuervogel? Wenn er ihm begegnete, wüßte er jedenfalls, was er ihn fragen würde.

»Ich danke dir für das schöne Märchen, mit dem du mich und meinen Hof unterhalten hast, auch wenn ich dir gestehen muß, daß ich Geschichten, die ein glückliches Ende nehmen, bevorzuge. Doch ihr Barden scheint da einen anderen Geschmack zu haben...« König Gunther warf einen Seitenblick zu Volker und lächelte. »Auf jeden Fall heiße ich dich willkommen in meiner Burg. Nimm Platz an meiner Tafel und verweile, solange du dem Ruf der Ferne zu widerstehen vermagst.«

Einen Augenblick lang hatte Volker den Eindruck, als wolle der Fremde dem König etwas erwidern, doch dann schien der Märchenerzähler es sich anders überlegt zu haben und verneigte sich. »Ich danke für Eure Gastfreundschaft und erkenne in Euren Worten den Poeten.«

Mit gesenktem Haupt ging der Mann rückwärts auf das hohe Tor zum Festsaal zu und ließ sich an einem der Tische am Ende der Festhalle nieder, die dem niederen Gefolge vorbehalten waren.

Gunther hatte sich zu Hagen gewandt. Der düstere Krieger zeigte nicht die geringste Emotion. Viele der Ritter bei Hof waren der Meinung, daß das Gemüt des Recken mindestens genauso düster wie seine Gewandung war. Mit seinem schwarzen mit Rabenfedern verzierten Umhang, dem schwarzen Bart und Haupthaar und der schwarzen Binde, die sein zerstörtes Auge verdeckte, sah der Tronjer fast aus wie einer der Helden aus den Geschichten über die heidnischen Götter, zu denen ihre Ahnen einst gebetet hatten.

»Nun, mein Freund«, fragte der junge König in aufgeräumten Tonfall, »wie hat dir die Geschichte gefallen?«

Der düstere Recke lächelte dünn. »Wenn man den Feuervogel und diesen diamantenen Sarg vergißt, könnte es ein wahre Geschichte sein. Ein Mann liebt eine Frau und verliert sie. Er ist verzweifelt und reitet in die Berge... Zur Jagd vielleicht... Dort wird er vom Winter überrascht. Er ist auf die Kälte nicht vorbereitet und erfriert. Der Rest...« Hagen machte eine wegwerfende Bewegung. »Das ist halt, was Dichter aus solchen Geschichten machen...«

Gunther lachte und wandte sich zu Volker. »Und du mein Dichter... Denkst du genauso wie mein Waffenmeister?«

»Es ist müßig, über die Wahrheit einer Geschichte zu debattieren, die ein Mann erzählt hat, den niemand kennt. Was ich zu beurteilen vermag, ist die Form, die er gewählt hat. Er versteht es, seine Worte wohl zu setzen, obwohl ihm der letzte Schliff zu fehlen scheint. Er wird den Gesetzen des Märchens gerecht. Es gibt ein Tier mit wunderbaren Fähigkeiten, eine magische Reise, einen Helden auf der Suche... Und für Märchen, die von Dichtern ersonnen werden, ist es auch üblich, daß sie tragisch enden.«

»Jetzt ist es aber genug!« Königin Ute erhob ihre Stimme. Sie saß an Gunthers Seite und hatte bislang schweigend mit dem Messer in dem Fisch herumgestochert, den man ihr aufgetragen hatte. »Ich mag nichts mehr von düsteren Geschichten hören. Ich hasse Erzählungen, die ein trauriges Ende haben. Sie trüben nur das Gemüt des Zuhörers... Da sind mir ja die frechen und unmoralischen Minnelieder der fahrenden Sänger noch lieber. Ich für meinen Teil möchte niemals in eine solch tragische Geschichte verwickelt sein. Ich kann solchen Märchen nichts abgewinnen.«

Geron, der Märchenerzähler, hatte sich auf einer Bank im kleinen Kräutergarten der Königin niedergelassen. Er streckte seine Glieder und lehnte sich gegen die Burgmauer, die von der Mittagssonne erwärmt wurde.

Volker beobachtete den Fremden eine Weile. Geron hatte nicht das Format, um ihm bei Hof seinen Ruf als Dichter und Epiker abspenstig machen zu können. Er schien ein schlichter Bursche zu sein. Doch gerade diese Schlichtheit gab seinem Märchen Kraft.

Der Spielmann war sich nicht sicher, wie alt Geron wohl sein mochte. Das Haar des Märchenerzählers war bereits von grauen Strähnen durchsetzt, und graue Stoppeln standen gleich Dornen auf seinen hohlen Wangen. Der Mann war hager, fast ausgezehrt, so als habe er lange Zeit nur schlechten Lohn für seine Kunst erhalten. Seine Bundschuhe waren löchrig, die schlichte Hose von Staub bedeckt... Er war sicher lange gewandert. Was hatte ihn wohl hierher an den Burgundenhof geführt? War es ein Zufall, daß er hierher kam? Es gab nur einen Weg, dies herauszufinden... Volker schlenderte in Richtung der Bank.

Geron hatte seine Augen geschlossen. Wie eine Eidechse, die sich auf einem Stein sonnte, schien er die spätsommerliche Hitze zu genießen. Selbst als der Spielmann schon dicht neben ihm stand und sich leise räusperte, öffnete der Märchenerzähler seine Augen nicht.

»Ihr müßt Volker der Spielmann sein...« Der Fremde lächelte einen Augenblick, so als sei ihm ein besonderer Streich geglückt. »Ich habe bemerkt, wie Ihr mich vorhin im Rittersaal angesehen habt. Hat Euch an meinem Vortrag etwas nicht gefallen?«

Volker ließ sich auf der Bank nieder. Er wartete einige Augenblicke mit seiner Antwort. Der Spielmann konnte sich nicht vorstellen, daß Geron wirklich so ruhig war, wie er tat. Offenbar wollte er irgendein Spiel mit ihm treiben. Nur zu! Der Burgunde grinste. Was das anging, war er einem Fahrenden wie Geron gewiß überlegen. »Ich würde nicht direkt sagen, daß mir etwas nicht gefallen hätte. Obwohl... du hast das Wunderbare vielleicht ein wenig überbetont. Dieser weiße Turm, der natürlich auf dem höchsten Berg der Welt stand, der Sarg aus Diamant...«

»Na und! Es war ein Märchen! So etwas gehört dazu!« wetterte Geron aufgebracht. Der Märchenerzähler hatte sich vorgebeugt und musterte nun seinerseits Volker.

Der Burgunde blinzelte vorsichtig und lächelte. Es war, wie er gedacht hatte. Geron war leicht aus der Fassung zu bringen!

»Gibt es sonst noch etwas, was Euch an meiner Geschichte gestört hat, großer Spielmann

Volker hatte den Eindruck, als warte Geron auf einen ganz bestimmten Einwand. Der Barde zuckte mit den Schultern. »Das war eigentlich alles. Im Grunde fand ich die Geschichte sogar recht hübsch. Wo hast du sie her? Ich habe noch niemals von einem Feuervogel erzählen hören. Ich weiß nur vom Phönix der Araber, doch dies ist eine gänzlich andere Gestalt.«

»Der Feuervogel ist nicht nur eine Gestalt! Es gibt ihn wirklich!«

Volker schlug nun vollends die Augen auf und starrte Geron unverhohlen an. Offenbar war der gute Mann verwirrt. »So... Es gibt diesen Vogel mit den Flammenschwingen also wirklich. Womöglich bist du ihm sogar höchstselbst begegnet.« Kaum daß ihm die Worte über die Lippen gekommen waren, bedauerte Volker den ironischen Tonfall, in dem er gesprochen hatte, doch Geron schien dies gar nicht bemerkt zu haben. Er nickte aufgeregt.

»Ja, ich habe ihn wirklich gesehen! Von Ferne freilich nur, und ich glaube nicht, daß er mich bemerkt hat, doch weiß ich seit jenem Tag, daß ich dazu auserkoren bin, die Geschichte vom Feuervogel in die Welt zu tragen. So habe ich meine heimatlichen Berge verlassen und bin zum fahrenden Märchenerzähler geworden.«

»Und was warst du, bevor das Schicksal dich erwählte?« fragte der Spielmann ein wenig herablassend.

»Seit ich laufen kann, war ich ein Hirte in den Bergen. Mir wuchs kaum der erste Flaum auf den Wangen, als ich meine erste Begegnung mit dem Feuervogel hatte. Obwohl ich damals noch nicht zu erkennen vermochte, daß ich auf ihn oder, besser gesagt, auf sein Wirken gestoßen war. Es war drei Jahre nach dem schrecklichen Winter, und ich war mit den Ziegen aus meinem Dorf so hoch wie noch nie zuvor in die Berge gestiegen. Damals habe ich die Grotte mit dem erfrorenen Ritter gefunden und...«