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»Das heißt, wir nehmen die Schenke?«

»Ich will heute abend mit meiner Laute auf dem Schoß zwischen einfachen Leuten sitzen und meine Lieder spielen. So werde ich gewiß mehr über den Feuervogel erfahren als in einer Tafelrunde zwischen Offizieren. Wir nehmen die Schenke!«

Golo war erleichtert. Den Magister Equitum zu meiden konnte ja nicht so schwer sein. Neugierig betrachtete Golo die Häuser entlang der Straße. Sie waren zum größten Teil aus Stein oder aus gebrannten Ziegeln errichtet, und fast alle hatten zwei oder drei Geschosse. Nur hier und dort gab es einfachere Fachwerkbauten, die Wände mit Lehm verputzt und die Dächer aus schlichten Holzschindeln oder Ried.

Am Ende der Straße konnten sie einen Pulk von Menschen sehen. Sie schienen jemandem zu lauschen. Der Wind trug einzelne Wortfetzen zu ihnen. »Empörer... in die ewige Finsternis stoßen... der Fürst des Lichtes...«

Golo blickte zu Volker. Der Spielmann blickte starr zum Ende der Straße, so, als würde er von einer unsichtbaren Macht dorthin gezogen. Mechthild hatte sich dicht an seine Schulter gedrängt. Golo schluckte. Das Mädchen tat ihm leid. Sie hätte nicht hier sein sollen. Er räusperte sich. Er wollte etwas sagen, doch sein Mund war trocken wie Staub. Der Abstand zu Volker hatte sich etwas vergrößert. Dumpf hallte der Hufschlag ihrer Pferde von den Häuserwänden. Einige der Schaulustigen am Ende der Straße wandten sich zu ihnen um. Die Stimme des Redners war verstummt. Einen Atemzug lang herrschte Stille. Dann lief ein Raunen wie Meeresbrandung durch die Menge.

Die beiden Ritter hatten jetzt fast das Ende der Straße erreicht. Einige der Männer und Frauen wichen vor ihnen zurück. Sie hatten verhärmte Gesichter. Deutlich konnte Golo hören, wie ein Weib mit schwarzem Kopftuch dem Mann an ihrer Seite zuflüsterte: »Das hatte Pater Anselmus nicht verdient. Er hat nie etwas Unrechtes getan. Sie hätten ihn verjagen sollen, aber das...«

Golo konnte jetzt den ganzen Platz überblicken. Man hatte dort einen Galgen errichtet. Ein Mann in langer brauner Kutte schwang am Ende des Seils. Golo bekreuzigte sich und flüsterte ein Vaterunser. Wie konnten diese Ketzer es wagen, einen Mann der Kirche zu richten? Einige berittene Krieger mit eisernen Masken hielten die Schaulustigen von der Mitte des Platzes zurück. Neben dem Galgen war ein Scheiterhaufen errichtet worden, auf dem eine Frau in weißem Büßerinnenhemd stand. Sie hatte langes rotgelocktes Haar, das ihr bis weit über die Schultern hinabfiel. Ein Krieger in prächtiger Rüstung, der einen Rappen ritt, näherte sich dem Scheiterhaufen. Er hielt eine brennende Fackel in der Rechten. Sein Pferd tänzelte unruhig. Waffenknechte, die kleine Fässer schleppten, eilten herbei und tränkten das trockene Holz des Scheiterhaufens in Lampenöl. Der Krieger auf dem schwarzen Hengst wandte sich zur Menge. Auch er trug einen Maskenhelm. Sein silbern funkelndes Gesicht war von unirdischer Schönheit. Aus Bronze gehämmerte Locken rahmten seine Stirn. Er wies mit der Fackel zu der Frau auf dem Scheiterhaufen. »Ihr alle kennt Belliesa, die Zauberin. Sie hat sich an Sol Invictus vergangen, aufrührerische Reden geführt und den Gott des Lichtes gelästert.« Der Reiter winkte einem Soldaten zu, der eine gesattelte Stute herbeiführte. Er nahm eine kostbare Laute vom Sattelhorn und hielt sie hoch in die Luft. Das Instrument war aus dunklem Holz gefertigt und mit kostbaren Elfenbeinintarsien geschmückt.

»Seht diese Laute, die von Ahrimans dunklen Dienern geschaffen wurde. Finsterer Zauber ist in diesem Holz gefangen und hat ihm alle Farbe genommen. Wer immer dem Instrument lauschte, ward von seiner dämonischen Macht umsponnen, und die liebliche Stimme der Zauberin tat das ihre, der aufrührerischen Saat ihrer Lieder fruchtbaren Boden zu bereiten.«

Golo warf einen besorgten Blick zu Volker. Der Barde hob Mechthild vom Pferd.

»Kümmere dich um das Mädchen, Golo!«

Der junge Ritter schüttelte den Kopf. »Du hast versprochen, daß wir uns unauffällig verhalten. Ist das deine Art, dein Wort zu halten?«

»Ich bin zu spät gekommen, um das erste Unrecht zu verhindern, das hier auf diesem Platze geschehen ist. Meine Ehre als Ritter verbietet mir, dem Mord an der Bardin zuzusehen, ohne meine Stimme zu erheben.«

»Glaubst du, sie werden sie vom Scheiterhaufen holen, nur weil du sie darum bittest?« fragte Golo zynisch. »Es sind viel zu viele. Du kannst nicht gegen sie gewinnen.«

»Die Aussicht zu gewinnen spielt keine Rolle, wenn es darum geht, eine ritterliche Entscheidung zu treffen. Man darf einem Unrecht niemals unwidersprochen beiwohnen. Sieg oder Niederlage sind unwesentlich... Auch wenn du dir die goldenen Sporen verdient hast, mein Freund, fürchte ich, bist du noch weit davon entfernt, ein wahrer Ritter zu sein.«

»Aber...«

Volker hob einen Finger an die Lippen und schüttelte dann den Kopf. »Sag nichts mehr. Bedenke meine Worte, und wünsche mir Glück. Ich werde es brauchen können.«

Der Spielmann gab seinem Pferd die Sporen. Vor ihm bildete sich eine Gasse in der Menge, und der Krieger mit dem Maskenhelm wurde auf ihn aufmerksam.

»Was willst du, Fremder?« Der Mann mit der eisernen Maske hatte sein Pferd gewendet und starrte zu Volker herüber. Auf dem weiten Marktplatz war es fast totenstill. Nur das leise Knarren des pendelnden Galgenseils, von dem der tote Priester hing, störte die Ruhe.

Volker zog sein Schwert. Einige der Krieger, die den Platz abgeriegelt hatten, hoben drohend ihre Speere.

»Ich stelle meine Klinge zwischen dich und die Bardin. Ich verlange ein Gottesurteil. Nach altem Recht darf jeder zum Tode Verurteilte einen Streiter für seine Sache stellen. Ich werde für Belliesa kämpfen.«

»Hier gilt das Recht des Gaugrafen Ricchar. Wer bist du, daß du es wagst, seine Autorität in Frage zu stellen?«

Der Spielmann reckte stolz das Haupt. »Man nennt mich Volker von Alzey. Ich bin der Barde des Königs Gunther von Burgund. Mag es sein, daß du die Kraft meines Gottes fürchtest, oder warum weichst du dem Kampf aus? Du bist der Kläger. Nenne einen Streiter, der für dich kämpfen soll!«

Der Krieger lachte. »Ich bin Heliodromus, der Statthalter von Icorigium und Magister Equitum im Heer des Grafen Ricchar. Ich habe in meinem Leben noch niemals jemanden gebraucht, der für mich gekämpft hat. Kein Krieger vermochte es, mich je zu besiegen. Hat dich die Zauberin mit einem Bann belegt, daß du es wagst, mich zu fordern, du Narr. Ich biete dir an, dich nun in Ehren zurückzuziehen, statt in einem sinnlosen Kampf dein Leben zu verlieren.«

Volker lächelte selbstsicher. »Mein Leben liegt in der Hand Gottes. Es besteht für mich also kein Anlaß zur Sorge. Bist du bereit, meine Forderung anzunehmen?«

Heliodromus blickte zu dem Gehängten. »Auch er vertraute auf den Christengott. Mich dünkt, er hat eine schlechte Wahl getroffen.« Einige der Soldaten lachten. Der Magister Equitum winkte einem Krieger in der Nähe, gab ihm die Zügel seines Hengstes und ließ sich aus dem Sattel gleiten. »Du hast mich gefordert, Volker. Also obliegt mir die Wahl der Waffen. Ich entscheide mich für Reiterschwerter!« Heliodromus nahm die Waffe, die von einem der Hörner seines römischen Sattels hing, und zog blank.

Auch Volker stieg ab. Der Franke war verdammt selbstsicher. Der Spielmann spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Er durfte jetzt keinen Fehler machen! Er würde Heliodromus zunächst einmal angreifen lassen, um zu sehen, was für ein Kämpfer er war. »Nach welchen Regeln streiten wir?«

»Du berufst dich auf das alte Recht, Burgunde, also kämpfen wir bis zum Tode. Schließlich ist dies ein Gottesurteil, und wer immer unterliegt, hat offenbar die Gnade seines Gottes verloren. Ich weiß nicht, wie es bei dir steht, Christ, doch ich würde in dem Bewußtsein, die Gunst Mithras’ verloren zu haben, nicht weiterleben wollen. Selbst wenn du mich nicht töten würdest, müßte ich nach dem alten Recht auf den Scheiterhaufen gestellt werden, da ich als Verleumder dastünde und mir die Strafe zuteil werden müßte, die ich einer offenbar Unschuldigen zugedacht hatte. Doch sei unbesorgt! Dazu wird es nicht kommen. Ich weiß, daß dieses Weib sich der Zauberei schuldig gemacht hat.«