»Was?« Golo ließ das Reisigbündel fallen. »Was willst du denn von diesem gottverfluchten Bastard?«
Das Mädchen zog ein schmales Messer aus dem Ärmel ihres Gewandes. »Ich werde ihn töten... hiermit. Er hat meine Eltern ermordet und meine Brüder... Ich...«
Der junge Ritter starrte die Waffe an. »Woher hast du das?«
»Volker hat es mir gegeben. Nachdem wir im Buchenhain die... die toten Sachsen...«
»Ich nehme an, Volker weiß nicht, was du vorhast.«
Sie nickte. »Wozu. Er wollte mich doch ohnehin nach Treveris bringen und dort bei irgendeiner Familie in Obhut geben. Stimmt das nicht?«
»Nun... Das weiß ich nicht.«
»Ihr hättet mich am liebsten gleich in Castra Bonna gelassen, Herr Golo. Ich weiß es... Ich habe Euch einmal belauscht, als Ihr nachts mit Volker gesprochen habt.«
Der junge Ritter stemmte die Hände in die Hüften. »Du hast uns also belauscht...« Er lächelte. »Das hätte ich mir denken können. Ja, es stimmt! Ich war dagegen, dich mitzunehmen, weil ich mir sicher war, daß es auf dieser Reise noch Ärger geben würde. Ich halte es immer noch für falsch, daß du uns begleitest. Du bist nur unnötig in Gefahr.«
»Ihr wolltet mich nicht mitnehmen, weil Ihr Euch Sorgen um mich macht?«
»Also... Im Herbst durch die Wälder zu reiten ist nicht sonderlich angenehm, wie du ja sicherlich auch schon bemerkt hast. Was macht es für einen Sinn, dich all diesen Strapazen auszusetzen, wenn es am Ende doch so sein wird, daß wir dich irgendwo zurücklassen müssen. Dann hätten wir dich auch gleich in Castra Bonna lassen können, wo du Freunde und Verwandte hast. Dieser Meinung bin ich übrigens noch immer!«
»Ich habe dort keine Freunde, und meine Familie... Der Eber hat sie alle getötet.« Sie schloß die Faust fester um das Messer. »Dafür wird er sterben!«
»Willst du ihn zum Duell fordern?« höhnte Golo. »Er hat dich umgebracht, bevor du überhaupt dein Messer gehoben hast.«
Mechthild warf den Kopf zurück, schüttelte sich die Haare aus dem Gesicht und blickte ihn trotzig an. »Ich bin eine Frau. Ich habe es nicht nötig, ihn zum Duell zu fordern. Es gibt noch andere Wege...«
Der junge Ritter mußte lächeln. Sie war recht hübsch. Bis jetzt hatte er sich noch keinerlei Gedanken darüber gemacht. Er hatte Mechthild immer nur als lästigen Ballast auf ihrer Reise gesehen. Doch auch wenn sie für ihr Alter schon recht ansehnlich war, so würden doch noch ein oder zwei Jahre verstreichen müssen, bevor sie sich wirklich eine Frau nennen könnte. »Du willst den Eber also verführen und dann, wenn er in deinen Armen liegt, niederstechen. Du weißt, daß dein erster Stich ihn töten muß, sonst wird er dich umbringen. Er ist stärker als du, und er weiß, wie man tötet. Dein einziger Vorteil ist die Überraschung. Wie würdest du dein Messer denn benutzen? Würdest du es ihm in den Bauch stechen?«
In den Augen der Kleinen spiegelte sich eine tödliche Entschlossenheit. Es wäre ihr egal, ob sie der Anschlag das Leben kostete. Sie wußte, daß sie, selbst wenn es ihr gelang, den Eber zu ermorden, seinen Männern nicht entkommen würde. »Ich werde ihm die Klinge von oben ins Herz stoßen, nachdem er mich genommen hat und erschöpft ist.«
»Vielleicht hast du damit Glück... Wenn du jemanden mit einem Messer töten willst, ist es allerdings immer besser, den Stoß von unten zu führen. Stichst du von oben zu, gleitet die Klinge an den Rippen ab, und du kannst deinen Gegner nicht tödlich verletzen. Es sei denn, er liegt... Dann mag es dir vielleicht gelingen. Aber ein Plan, in dem der eigene Tod von vornherein unvermeidlich ist, ist niemals ein guter Plan. Volker mag darüber vielleicht anders denken... Was mich angeht, bin ich meines Lebens jedenfalls noch nicht überdrüssig.«
»Für dich wäre es leicht, den Eber zu töten, nicht wahr?«
Golo runzelte die Stirn. Worauf wollte sie hinaus? »Ich weiß nicht, ob ich es könnte. Ich habe ihn noch nicht im Zweikampf gesehen. Auf jeden Fall scheint er ein sehr guter Bogenschütze zu sein. Aber mach dir keine falschen Hoffnungen! Ich würde ihn nicht herausfordern, um deine Eltern zu rächen. Es gibt für mich keinen Grund, mit ihm zu kämpfen.«
Mechthild starrte den jungen Ritter lange an. Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Golo hob das Reisigbündel auf und winkte ihr. »Komm, laß uns zurück zur Höhle gehen, und vergiß deine Rachegedanken. Es wird dir nicht gelingen, den Eber zu töten.«
Das Mädchen preßte trotzig die Lippen zusammen. »Du hättest mich nach Treveris gebracht, wenn Volker heute im Duell gestorben wäre, nicht wahr?«
Golo nickte knapp. Der Regen war stärker geworden, und er wollte zurück ins Trockene.
»Aber du warst auch von Anfang an dagegen, mich mitzunehmen... Trotzdem wärest du mit mir quer über die Berge bis nach Treveris geritten. Warum? Du hättest mich doch auch einfach in Icorigium zurücklassen können. Was machte den Unterschied für dich?«
Golo zuckte mit den Schultern. »Ich hätte es halt getan. Komm jetzt.«
»Bring mir das Kämpfen bei. Ich möchte eine Schwertkämpferin werden und dann eines Tages vor dem Eber stehen und ihn zum Duell fordern. Sei mein Lehrer!«
Der junge Ritter lachte. »Du bist ein kleines Mädchen... Wo hat man je von einer Frau gehört, die mit dem Schwert umzugehen weiß. Am Ende möchtest du gar eine Ritterin werden?«
»Was ist daran so komisch? Hast du nicht gesehen, daß auch Belliesa ein Schwert an ihrem Sattel hängen hat?«
Golo lachte noch immer. »Es ist eine Sache, ein Schwert zu besitzen, und etwas ganz anderes, damit auch wirklich umgehen zu können. Ich zum Beispiel bin kein sonderlich guter Schwertkämpfer, wenn du mich mit Volker vergleichst.«
»Das ist mir egal. Du hättest mich über die Berge gebracht, obwohl du von Anfang an dagegen warst. Ich vertraue dir... Bring mir das Schwertkämpfen bei, und ich werde bleiben.«
»Ich bin gespannt, ob du noch immer so begierig darauf bist, das Kämpfen zu lernen, wenn du die ersten blauen Flecken abbekommen hast und du vor Schmerzen deine Glieder nicht mehr rühren kannst. Glaub mir, zu kämpfen ist nichts für Frauen.«
»Das heißt, du wirst mir Unterricht geben?«
Golo schüttelte den Kopf. »Sollte mir vielleicht entgangen sein, daß ich dir zugestimmt habe?« Langsam wurde er des Gesprächs überdrüssig. Einen Herzschlag lang dachte er sogar daran, das Mädchen einfach ziehen zu lassen. Doch wie weit würde sie alleine im Wald wohl kommen...
»Bitte! Ich werde mich auch um deine Ausrüstung kümmern, dein Pferd für dich trockenreiben und füttern, deine Waffen putzen und...«
»Schon gut. Morgen früh, wenn du wach wirst, gehst du als erstes in den Wald und besorgst zwei Knüppel, die so lang wie mein Schwert sind. Mit ihnen werden wir üben, wenn Zeit dazu ist. Und jetzt gib endlich Ruhe!«
Volker rieb seine klammen Finger über dem kleinen Feuer, das sie dicht am Eingang der Höhle entzündet hatten, und versuchte, die Kälte aus seinen Knochen zu vertreiben. Während die anderen Feuerholz gesammelt hatten, war er auf die Jagd gegangen. Er hatte gehofft, ein kleines Reh oder wenigstens einen Hasen zu erwischen, doch vergebens. Er war nie ein sonderlich guter Jäger gewesen. Alles, was er zum Abendessen beigetragen hatte, waren ein paar Pilze und Beeren, die er auf dem Rückweg zur Höhle gesammelt hatte.
Ihre Vorräte würden nicht bis Treveris reichen. Belliesa hatte gesagt, daß es zwei Wochen dauern würde, um auf abgelegenen Bergpfaden bis zur Grenzstadt des Burgundenreiches zu gelangen. Wenn er auch weiterhin kein Glück bei der Jagd hatte, würden sie ihre Vorräte in einem der Bergdörfer ergänzen müssen. Damit würden sie den neuen Statthalter in Icorigium auf ihre Spur bringen. Volker war sich sicher, daß die Franken ein Kopfgeld auf ihn und Belliesa aussetzen würden. Für einen armen Bergbauern oder Köhler wäre das gewiß eine große Versuchung...