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Man hatte den Spielmann freundlich am Hof von Worms aufgenommen, als sie zum Weihnachtsfest zurückgekehrt waren. Volker hatte ein neues Lied von seiner Reise mitgebracht, so wie es alle erwartet hatten. Die traurige Geschichte vom Nachtvolk hatte ihn noch berühmter gemacht, als er ohnehin schon war, und ganz besonders die Frauen bei Hof schienen wie verzaubert von ihm zu sein. Natürlich hielten alle das Epos um die Morrigan für erfunden. Und doch spürten gerade die Frauen, daß sich hinter dem Lied eine wahre Liebesgeschichte verbergen mußte. Es hatte mehr als eine gegeben, die versuchte, die Melancholie des Spielmanns zu vertreiben, und Volker war nicht der Mann, der sich den Wünschen von Frauen widersetzte... Doch keine hatte es geschafft, ihn die Heidenpriesterin vergessen zu lassen.

Der Gefährte des Ritters rutschte unruhig auf dem Sattel hin und her und suchte nach einer Position, die auch nur halbwegs bequem war. Obwohl er jetzt ein Ritter war, hatte er sich mit dem Reiten nie wirklich anfreunden können. Er war ein gutes Stück kleiner als Volker und sehr viel stämmiger. Nicht, daß er von sich sagen würde, er wäre dick... Das waren Muskeln! Und Rücklagen für schlechte Zeiten.

Mit seinen kurzgeschorenen, braunen Haaren und dem breiten, offenen Gesicht unterschied er sich sehr von dem Spielmann, an dessen Seite er ritt. Vor ein paar Tagen erst hatte einer der Ritter bei Hof seine Nase mit einer Gurke verglichen. Eine Frechheit! Sie war vielleicht groß, aber grün war sie nicht! Und überhaupt... Hieß es nicht, an der Nase eines Mannes erkennt man den Johannes? Der junge Ritter blickte verstohlen zum Spielmann und grinste. Wenn das auf alle Männer zutraf, dann konnte er nicht begreifen, was die Frauen an Volker fanden. Die Nase seines Gefährten war gerade und von edler Form, doch alles andere als groß. Wieder einmal merkte der Spielmann nicht, daß Golo zu ihm herüberblickte. Volker hatte sich in letzter Zeit sehr verändert. Golo hatte schon vor zwei Wochen gespürt, daß er den Entschluß gefaßt haben mußte, die Königsburg zu verlassen. Nicht daß er davon gesprochen hätte, doch der junge Ritter kannte seinen früheren Herren zu gut, um nicht zu bemerken, wie sich der Blick des Barden wandelte. Selbst wenn man direkt vor ihm stand und mit ihm sprach, schien er durch einen hindurchzusehen. Oft hatte Volker abends auf dem Söller gestanden und nach Westen geblickt, dorthin, wo Hunderte Meilen entfernt die Sümpfe Aquitaniens lagen. Dort hatte sich die Spur der Priesterin verloren. Golo wußte nur aus Volkers Erzählungen, was mit der Morrigan geschehen war, als der Bischof von Saintes die verborgene Stadt in den Sümpfen eroberte. Die Priesterin war tödlich verletzt gewesen, als ihre Getreuen sie in einem kleinen Boot tiefer in die Sümpfe gebracht hatten. Wahrscheinlich wollten ihre Anhänger verhindern, daß der Leichnam der Hohen Priesterin dem Bischof und seinen Söldnern in die Hände fiel.

Viele Wochen lang hatte er damals gemeinsam mit Volker nach der Insel in den Sümpfen gesucht, zu der die letzten aus dem Nachtvolk fliehen wollten. Doch all ihre Mühen waren vergebens gewesen. Vermutlich hatten die Getreuen der Morrigan die Leiche ihrer Hohepriesterin in den dunklen Fluten versenkt und sich danach in alle Winde zerstreut.

Für Volker aber lebte die Priesterin noch. Er war wie besessen von der Vorstellung, daß er sie wiederfinden würde. Hätte der fremde Barde nicht die Geschichte vom Feuervogel erzählt, dann wären sie jetzt wahrscheinlich auf dem Weg nach Aquitanien... Golo lächelte versonnen. So gesehen sollte er dem Mann sogar dankbar sein. Alles war besser, als den Spätsommer in den mückenverseuchten Sümpfen zu verbringen.

Im Grunde war Golo froh, Worms verlassen zu haben. Auf der Königsburg hatte er sich nicht mehr recht wohl gefühlt, seit sie im Winter aus Aquitanien zurückgekehrt waren. Er war vom Knecht zum Ritter geworden, doch die anderen Ritter bei Hof betrachteten ihn nicht als ihresgleichen und ließen es ihn überdeutlich spüren...

Golo seufzte. Die Zeiten, daß er sich des Nachts mit leerem Bauch zu Ruhe legen mußte, waren vorbei. Er durfte wie die Adligen und Lehnsmänner an der Tafel des Königs sitzen und ein Schwert an seiner Seite tragen. Der Preis dafür war Einsamkeit. Nur Volker behandelte ihn anständig. Die anderen machten hinter vorgehaltener Hand Späße über ihn und nannten ihn heimlich noch immer einen Knecht. Und die Freunde, die er einst unter dem Gesinde gehabt hatte, behandelten ihn je nach ihrem Charakter höflich oder unterwürfig. Doch spürte er bei allen den Neid. Ein Weg, wie er ihn gegangen war, stand den Unfreien nicht zu. Kein Bauerssohn und Knecht war jemals zu einem Gefolgsmann des Burgundenkönigs aufgestiegen. Heimlich tuschelte man darüber, auf welch hinterhältige Art er sich wohl die goldenen Sporen der Ritterschaft verdient haben mochte.

Golo stieß seiner Stute die Hacken in die Flanken und schloß dichter zu Volker auf, der jetzt ein kleines Stück vor ihm ritt. Selbst mit einem Verrücktem einem Vogel nachzujagen, der nur im Kopf eines Märchenerzählers existierte, war besser, als länger auf der Königsburg zu verweilen. Das Wetter war ihnen gnädig, und die Reise am Rhein entlang war ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen.

Wieder blickte der junge Ritter zum Spielmann hinüber. Volkers Gesicht war wie versteinert. Schweigend folgten sie dem Treidelpfad am Ufer. Seit zwei Tagen ritten sie nun schon durch das Frankenland. Letzten Sommer erst hatte König Gunther eine blutige Fehde mit Merowech, dem König der Franken, ausgefochten und ihm die reiche Stadt Treveris entrissen... Seitdem war das Verhältnis zwischen Burgund und dem großen Königreich im Norden alles andere als gut. Wahrscheinlich lag es nur daran, daß Volker ein Barde war, daß man sie bislang stets freundlich aufgenommen hatte. Spielleute galten als unberührbar, und sein Ruf war weit über die Grenzen des Burgundenreiches bekannt. Dennoch hielt es Golo für alles andere als eine gute Idee, ausgerechnet im Königreich der Franken nach einem Abenteuer zu suchen.

Sie waren nicht mehr weit von Castra Bonna entfernt. Vermutlich würden sie die Stadt schon vom nächsten Hügelrücken aus entdecken können. Golos Blick schweifte über die weite Flußlandschaft. Es war kein Mensch zu sehen. Zwischen zwei Weiden am sumpfigen Ufer lag ein altes Fischerboot. Das Holz war grau und verschossen. Ein zerrissenes Netz hing in einem Busch. Zwei Reiher staksten auf ihren langen Beinen durch den Schlamm und spähten nach Fröschen.

Obwohl die Sonne schon tief am Himmel stand, war es noch immer sehr heiß. Dabei war der August nun fast schon zu Ende. Golo mußte an sein Heimatdorf denken und an seinen Onkel. Der alte Mann besaß einen steinigen Hügel, auf dem die Familie schon seit undenklichen Zeiten Wein zog. Bei dem Wetter würden prächtige Trauben heranreifen. Der Sommer war heiß gewesen, und doch hatte es auch genügend Regen gegeben. An den Wein dieses Jahres würde man sich noch lange erinnern... Golo seufzte. Manchmal malte er sich aus, was mit ihm geschehen wäre, wenn Volker ihn nicht zu seinem Knappen erwählt hätte.

Der junge Ritter schüttelte ärgerlich den Kopf. Es war müßig, über solchen Unsinn nachzudenken. Von dem Weg, den er beschritten hatte, gab es kein Zurück! Schwer spürte er das Schwert an seiner Seite. Nie wieder würde er einem Pflug über das Feld seines Vaters folgen. Zum Pfingstfest hatte er König Gunther den Treueeid geleistet. Er war nun ein Krieger, und wenn der König seine Lehnsmänner zu den Waffen rief, dann würde er mit ihnen reiten, ganz gleich, ob die anderen Ritter ihn heimlich verspotteten oder nicht. Man hatte ihn gelehrt zu töten. Auch wenn er kein sonderlich geschickter Schwertkämpfer war, so hatte er sich doch insgesamt als begabter Schüler erwiesen. Im Kampf mit der Lanze und der Streitaxt brauchte er nur wenige von Gunthers Rittern zu fürchten. Bei Hof sprach man viel darüber, daß es wohl bald wieder Krieg mit den Sachsen geben würde...