Ricchar führte sie durch einen langen Flur auf einen Hof mit einem prächtigen Mosaikboden. Es gab hier auch einen kleinen Brunnen, durch den es trotz der spätsommerlichen Hitze angenehm kühl war. Es waren niedrige Tische aufgestellt worden, um die herum breite gepolsterte Liegen standen.
Ricchar verharrte und wies mit ausgebreiteten Armen auf die Klinen. »Nehmt Platz, meine Freunde! Es soll ein römisches Gastmahl werden, zu dem ihr geladen seid. Wir werden unser Essen im Liegen einnehmen, und ich muß euch warnen, nehmt nicht zuviel von den ersten Gerichten, die aufgetragen werden, denn sonst werdet ihr nicht bis zum Ende des Mahls durchhalten. Meine gallischen Köche haben etliche erlesene Köstlichkeiten vorbereitet, wie sie kaum ein Germane mehr kennt, seit die Römer das Land verlassen haben.« Der Fürst klatschte in die Hände, und zwei Diener mit silbernen Trinkpokalen und einem mächtigen Tonkrug erschienen aus einer der zahlreichen Türen, die auf den Hof führten.
»Zunächst möchte ich euch von einem Wein kosten lassen, der aus dem fernen Kreta stammt. Ein Roter, in dem die Glut der südlichen Sonne gefangen ist und mit dem sich auch die besten und ältesten Weine aus meinem Gau nicht messen können.«
Bewundernd drehte Volker den kostbaren Silberpokal zwischen den Fingern und trank in kleinen Schlucken von dem weitgereisten Wein. Kreta... Jene Insel, auf der einst der legendäre König Minos und sein stierköpfiger Sohn herrschten. Volker dachte an Hafenstädte mit weißen Häusern und den Duft des Meeres. Ob es ihm bestimmt war, auch einmal so weit zu reisen?
»Einige meiner Freunde werden uns bei dem Mahl Gesellschaft leisten.« Ricchar hatte sich auf einer Liege niedergelassen. Er lag seitlich, auf den linken Ellenbogen aufgestützt, und wies ihnen mit der Rechten die Liegen an seiner Seite zu.
»Was sagt der Bischof des Gaus zu diesem heidnischen Luxus, Fürst Ricchar?« fragte Golo, der eine Miene schnitt, als habe man ihm schimmeliges Brot serviert.
Der junge Graf lachte. »Wir wissen doch alle, daß es sich die Abte und Kirchenmänner in ihren Klöstern und Palästen selber recht gutgehen lassen. Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, nur weil ich meine Freunde mit einem köstlichen Mahl verwöhne. Ich kann daran nichts Schlimmes finden. Im Gegenteil, ich beweise doch nur, daß ich meinen Reichtum gerne mit anderen teile. Ist dies nicht sogar eine christliche Tugend?«
»Nur dann, wenn man teilt, um sich mit seiner Freizügigkeit nicht über die anderen zu erheben.«
»Hat man deinen Gefährten in einer Klosterschule großgezogen, Volker?« Ricchar schüttelte den Kopf und gab einer Dienerin ein Zeichen, ihm seinen Weinpokal nachzufüllen.
Volker warf Golo einen ärgerlichen Blick zu. Was war nur in ihn gefahren? Bislang hatte der junge Ritter noch nie ein Festmahl verschmäht? »In der Tat muß ich gestehen, daß er nicht an einem Fürstenhof aufgewachsen ist. Das mag erklären, warum er manchmal ein wenig befremdlich dem Weltlichen gegenübersteht.«
Der Frankenfürst seufzte. »Ich kenne das Problem nur zu gut. Es sind die Kirchenmänner, die uns in den engen Grenzen ihrer knapp bemessenen Horizonte gefangen halten und den freien Flug des Geistes verhindern wollen, indem sie diesem schillerndsten aller Vögel seine Schwingen beschneiden.« Ricchar schüttelte den Kopf. »Entschuldige, wenn ich mich ereifere, läßt meine Rhetorik an Schliff vermissen, und ich neige dazu, meine Rede mit allzu üppigen Bildern zu schmücken.«
»Nicht doch, mein Freund!« Volker setzte den Weinpokal vor sich auf den Tisch und nahm auf einer der Liegen Platz. »Es ist eine Freude, einmal einem Krieger zu lauschen, dessen Rede nicht so hart und spröde wie eine Felslandschaft ist.«
Eine Gruppe von Offizieren und Amtmännern trat auf den Hof. Sie grüßten den Fürsten und ließen sich so selbstverständlich auf den Klinen nieder, als seien sie es schon lange gewohnt, auf diese ungewöhnliche Art zu tafeln. Volker dachte an den Hof zu Worms und daran, was Königin Ute wohl dazu sagen würde, wenn er ihr vorschlagen würde, ein solches Festmahl nach römischem Vorbild abzuhalten. Der Spielmann grinste. Vermutlich würde sie noch wesentlich drastischere Worte für diese heidnischen Verrücktheiten finden, als Golo es getan hatte.
Volker griff nach seinem Pokal und nahm einen tiefen Schluck. Dabei fiel sein Blick auf das Mosaik unter dem Tisch. Es zeigte einen Krieger mit Schwert, der einen mächtigen Stier niederstach.
Kretischer Wein, Stiermosaiken... War er wirklich noch in einer kleinen, halb verfallenen Stadt am Rhein? Der Spielmann dachte an die Reiter mit den eisernen Masken und die Truppenparade auf dem Platz vor dem Palast. Alles hier war fremd, so als sei er in eine andere Welt hineingeraten. Doch war dies nicht ein gutes Omen für die Suche nach einem wunderbaren Vogel, von dem jeder vernünftige Mensch behauptete, daß er nur in den Geschichten der Märchenerzähler existierte.
»Wir sollten hier so schnell wie möglich verschwinden«, flüsterte Golo heiser.
»Warum? Das war doch ein wunderbares Fest!« Volker stützte sich an der Wand des langen Flurs ab. Er hatte Mühe, sich noch auf den Beinen zu halten. Soweit Golo gesehen hatte, mußte sein Freund mindestens zwei Krüge von dem schweren, kretischen Wein getrunken haben.
»Leise!« zischte der junge Ritter ärgerlich. Der Diener, der sie zu ihren Gemächern bringen sollte, hatte sich bereits nach ihnen umgedreht. Es war ein kleiner untersetzter Mann, der ihnen mit einer Öllampe, auf der drei Flammen brannten, in dem dunklen Gang voranging.
»Warum sollte ich leise sein?« grölte der Spielmann. »Die ganze Welt darf wissen, was ich von diesem Fest halte! Es war...« Volker hob seine Arme in großer Geste zur Decke hin. »Es war... großartig. Bacchos selbst hätte kein prächtigeres Fest ausrichten können, obwohl ich sagen muß..., daß ich Mänaden und Flötenspielerinnen... vermißt habe. Ein wenig Tanz wäre auch...« Der Spielmann versuchte, auf einem Bein den Gang hinaufzuhüpfen, verlor das Gleichgewicht und torkelte krachend gegen eine Tür.
Golo fing ihn auf, bevor Volker zu Boden stürzte. »Wir reden morgen weiter, du Stolz der christlichen Ritterschaft.«
»Stolz... Jawohl, das bin ich.« Volker rollte mit den Augen und fing dann an zu lachen. »Weißt du, was das Problem mit dir ist? Du kannst dich einfach nicht amüsieren, Golo. Den ganzen Abend hast du ein Gesicht gemacht, als würdest du am Totenbett deiner Mutter sitzen... Du beleidigst unseren Gastgeber...«
»Dafür hast du meine Verfehlungen dann ja mehr als ausgeglichen. Hast du die Frau an der Weide vergessen? Ricchar mag dich vielleicht mit gelehrten Reden umgarnen, aber in meinen Augen ist er immer noch ein blutdürstiger Barbar. Wir sollten diese Stadt so schnell wie möglich verlassen. Ist dir aufgefallen, daß nicht ein einziger Geistlicher bei dem Fest zugegen war? Das ist kein gutes Zeichen!«
Volker kicherte. »Das war ja auch nicht gerade ein Kirchenfest. Stell dir vor, der Bischof zu Worms hätte so einem Fest am Hof von Gunther beiwohnen müssen... Dem wären die Perlen aus seiner Mitra gefallen vor Entsetzen. Der gute Fredegar... Jeder weiß, daß er ein Säufer ist, aber von der Kanzel predigt er so ergreifend gegen dieses Laster, als habe er noch niemals einen Weinpokal in Händen gehalten. Dabei läßt er sich den Meßwein mit Schnaps versetzen, weil er ihm sonst zu fade ist. Ricchar hat solche doppelzüngigen Kleingeister von seinem Hof verbannt. Ich kann darin nichts Falsches sehen.«
»Hier ist das Gemach für den erlauchten Barden«, murmelte der Diener, öffnete eine Tür und wies mit dem Licht in eine große Kammer, in der ein Bett, ein mit prächtigen Intarsien verzierter Tisch und zwei hochbeinige Stühle standen. »Für den Herrn Ritter gibt es ein zweites Gemach, das an dieses hier angrenzt.«