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Volker nahm eine der alten Fackeln und zündete sie am Feuer an. In eine der Wände fand er das Bildnis eines Reiters geschnitzt. Ein Ritter aus alter Zeit. Sein Pferd war prächtig geschmückt. Der Krieger schien ein Kettenhemd zu tragen. Auf seinem Kopf thronte ein eigenartiger Helm. Er war wie eine Halbkugel geformt und von einem Adler gekrönt. Ein Adler... Er wünschte, er hätte einen riesigen Adler, der ihn so wie der Feuervogel in dem Märchen zu seiner Geliebten nach Aquitanien tragen könnte. Volker seufzte und lächelte dann. Das mußte der Hunger sein... Was für unsinnige Träumereien. Es gab keine riesigen Adler und... Nein! Er hatte die flammend roten Federn gesehen. Den Feuervogel gab es wirklich! Er existierte!

Er trat ein Stück zur Seite, hielt die Fackel höher und suchte nach weiteren Felszeichnungen. Sein Fuß stieß dabei an eine Unebenheit. Scherben? Er leuchtete zum Boden. Eine Kante ragte ein Stück über den Boden. Sie war seltsam regelmäßig geformt, ganz so, als sei sie von Menschenhand geschaffen. Neugierig kniete er sich nieder. Mit der Linken wischte er Staub und Schmutz beiseite. Dort hatte man einen Stein in den Höhlenboden eingesetzt. Er war eine Elle breit und nicht ganz so lang. Die Fugen waren mit Erdreich gefüllt. Ein Versteck?

Volker stand auf und holte eines der rostigen Werkzeuge. Eine Hacke, die an einem Ende eine breite, flache Spitze hatte. Er klemmte sie in die Fuge und hebelte den Stein aus seiner Verankerung. Darunter war ein tiefes Loch. Man hatte etwas Längliches, in Stoff Eingeschlagenes darin versteckt. Vorsichtig zog der Spielmann seinen Fund hervor. Der Stoff war mit Öl durchtränkt. Seine ursprünglichen Farben waren fast völlig verblichen. Er schien einmal ein rotgrünes Karomuster gehabt zu haben. Mit spitzen Fingern zog er das vor Schmutz starrende Tuch auseinander. Es war ein prächtiges Schwert darin eingeschlagen. Die Klinge war von dicken Ölschlieren überzogen und hatte kaum Rost angesetzt. Den Griff hatte man aus Knochen gearbeitet und mit dunkel angelaufenen Silberringen geschmückt. Er besaß auch einen breiten silbernen Knauf, in den rote Glasperlen eingelassen waren. Merkwürdigerweise hatte das Schwert keine Parierstange. Die Klinge mündete in einer silbernen Fassung, die kaum breiter als das Schwert selbst war. Die Waffe mußte sehr alt sein.

Ehrfürchtig hob Volker sie auf und wog sie prüfend in der Hand. Es war eine gute Arbeit! Er blickte zu dem Wandbild, das den Reiter zeigte. Ob ihm einst dieses Schwert gehört hatte? Für wen war es an diesem Ort verborgen worden?

Golo hatte seine Waffe verloren, als sie in den Brunnenschacht gestürzt waren. Er würde ihm die Klinge schenken. War der Fund am Ende ein Omen? Sollten sie noch einmal in den Kampf gegen Ricchar ziehen?

Der Spielmann legte zwei Scheite in das Feuer und wendete ihre nassen Kleider, die er ringsherum auf dem Höhlenboden ausgebreitet hatte. Etwas hatte sich verändert, seit er das Schwert gefunden hatte. Die Spannung war gewichen. Plötzlich fühlte er sich unendlich müde.

Noch einmal sah er zu der Felswand mit der Zeichnung des Reiters. »Danke«, murmelte er leise. Dann schlief er ein.

22. KAPITEL

Es war ein düsterer Nachmittag, und der Schnee fiel in dichten Flocken, als sie Icorigium erreichten. Es war der Tag vor dem Christfest.

In der letzten Nacht hatten sie bei einem Köhler Unterschlupf gefunden. Er war ein einfacher Mann gewesen, der sie für ein paar versprengte Rebellen hielt. Von ihm hatten sie auch erfahren, daß Ricchar die meisten Gefangenen aus dem Bergdorf begnadigt hatte. Er hatte dort nur eine kleine Garnison zurückgelassen und war nach Icorigium gezogen, wo er ein großes Siegesfest feiern wollte. Die Bardin hatte er in Ketten legen lassen und mitgenommen. Angeblich hatte auf einem der Packesel auch der Leichnam des Ebers gelegen.

Obwohl Belliesa gefangengenommen war, nahmen die wunderbaren Geschichten, die man sich über den Auserwählten erzählte, kein Ende. So hatte der Köhler behauptet, Volker sei gemeinsam mit seinem Gefährten auf einem geflügelten Roß in den Himmel geritten, nachdem alle Verteidiger des Dorfes vor der Übermacht der Franken die Waffen gestreckt hätten. Von dort würde der Auserwählte über das Volk der Berge wachen und wiederkehren, wenn der Tag gekommen sei, die Tyrannen endgültig zu vertreiben.

Golo konnte nicht begreifen, warum die Menschen angesichts der schrecklichen Niederlage noch solche Geschichten erzählten. Auch konnte er nicht verstehen, was Volker nach Icorigium zog. Den Spielmann hatte eine merkwürdige Unruhe ergriffen. Seit sie die Höhle im Bergwerk verlassen hatten und bei Nacht den vereisten Hang hinabgestiegen waren, trieb seinen Gefährten eine Unrast an, über die zu sprechen er sich weigerte. Manchmal murmelte Volker leise vor sich hin, so, als sei sein Geist verwirrt. Immer wieder sprach er dabei vom Feuervogel.

Dem Köhler, bei dem sie übernachtet hatten, hatte sein Gefährte ein langes Seil abgeschwatzt. Jetzt standen sie am Rand des Waldes, aus dem die Sachsen angegriffen hatten, als ihre Freischärler vor Icorigium Ricchar in die Falle gegangen waren. Durch das Schneetreiben und in dem schwindenden Licht war die Stadt auf dem gegenüberliegenden Hügel nur als Schattenriß zu erkennen.

»Was willst du dort noch?« fragte Golo müde. »Es ist vorbei, und wir sollten Gott und allen Engeln danken, daß wir noch leben. Zu zweit können wir nichts mehr ausrichten. Es ist das klügste, nach Worms zurückzukehren.«

Volker schwieg, so, als habe er ihn nicht gehört. Erst nach einer ganzen Weile murmelte er. »Sie muß im weißen Turm sein. Wie im Märchen!«

Der junge Ritter starrte seinen Kameraden fassungslos an. »Der Schuldturm? Was ist damit? Du willst doch nicht etwa versuchen, Belliesa zu befreien? In der Stadt wimmelt es nur so von Ricchars Soldaten. Das wäre Wahnsinn!«

»Nicht Belliesa will ich befreien. Den Feuervogel. Er ist dort!«

Golo schluckte. Offenbar hatten Hunger und Erschöpfung seinem Freund den Verstand verwirrt. »Den Feuervogel?«

»Ja! Begreifst du denn nicht? In der Höhle hatte ich zum ersten Mal den Verdacht... Seitdem habe ich viel darüber nachgedacht. Belliesa! Sie ist der Feuervogel.« Volker lachte leise. »So oft habe ich mir gewünscht, ihn zu finden, dabei war er die meiste Zeit an meiner Seite. Erinnerst du dich an Geron, den Märchenerzähler in Worms? Er hat fast alles vorausgesagt!«

»Hat er?« Golo wußte nicht recht, was er mit seinem Gefährten anfangen sollte.

»Der Hund. Er ist dem Ritter gefolgt. Er war in Wahrheit der Feuervogel. Er hat sich nicht offenbart, bis ihm die richtige Frage gestellt wurde. Wo bist du, Feuervogel, ich weiß nicht mehr, wo ich dich suchen soll. Das waren die Worte des Ritters. Belliesa habe ich niemals gefragt, wer sie ist... So konnte sie sich nicht in ihrer wahren Gestalt zeigen. Dabei hat sie mir noch in unserer letzten Nacht im Bergdorf einen Hinweis gegeben, daß ich ihr nur die richtige Frage stellen müßte. Wie oft haben wir uns gewundert, woher sie all die Dinge wußte... Über unser Leben, über das Land und seine Geheimnisse... Die Antwort war so einfach. Der Feuervogel weiß um alle Geheimnisse!«

»Das wußte sie, weil sie eine Zauberin ist! Eine falsche Schlange, die uns die ganze Zeit für ihre Ziele mißbraucht hat«, grollte Golo. »Wenn du mich fragst, dann wollte sie nur Rache an Ricchar. Wenn sie wirklich der Feuervogel wäre, dann müßtest du doch auf ihrem Rücken zum weißen Turm fliegen, um dort deine Geliebte, die Morrigan, zu finden!«

»Nein! Du verstehst es nicht.« Volker schüttelte den Kopf. »Der Flug auf dem Feuervogel, das ist nur eine Metapher... ein Gleichnis. Schließlich bin ich auch nicht drei Jahre und drei Tage durch die Berge geritten. Ich muß den weißen Turm bezwingen. Wenn ich meinen Weg nicht ohne die Hilfe des Feuervogels gehen kann, dann werde ich, wie der Ritter im Märchen, sterben. Um die Morrigan finden zu können, muß ich zunächst in den Turm, um Belliesa die Frage zu stellen, wo ich den Feuervogel finden werde. Dann wird sie sich offenbaren und mir sagen, wo meine Geliebte ist.« Volker schluckte. »Ob sie überhaupt noch lebt...«