Ricchar seufzte leise. Er drehte sich um und griff nach dem Schwert, das noch immer halb unter den Falten des schwarzen Umhangs verborgen an seinem Stuhl lehnte. »Natürlich wirst du dich nicht einfach ergeben...«
»Gäbe es dafür einen Grund?«
Der Frankenfürst zog sein goldverziertes Reiterschwert. »Leider habe ich dich noch nicht selber fechten gesehen, Spielmann. Man sagte mir allerdings, wenn du ohne Schild kämpfst, habe deine Verteidigung einige Lücken. Darf ich sie dir zeigen?«
Volker reckte trotzig sein Kinn vor. »Ich bitte darum!«
Ricchar präsentierte sein Schwert. Mit leisem Klirren berührten sich die beiden Klingen. Dann traten die Krieger zurück und begannen einander zu umkreisen. Schließlich wagte der Graf den ersten Angriff. Er machte einen Satz nach vorne und zielte auf den Hals des Barden. Volker ließ die Klinge an seiner Waffe abgleiten und konterte sofort mit einem Rückhandschlag. Ricchar war gezwungen, sich mit einem Sprung nach hinten außer Reichweite zu bringen. Die beiden trennten sich und begannen erneut, einander zu umkreisen.
In der Tür zur Kerkerzelle erschienen Soldaten. Der Kriegsherr bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, stehenzubleiben und sich nicht in den Zweikampf einzumischen.
Immer wieder prallten ihre Klingen aufeinander, ohne daß einer der beiden Recken eine Wunde davontrug. Doch Volker spürte, wie er schwächer wurde. Die Kämpfe der letzten Wochen, der lange Marsch vom Bergdorf bis hierher, all das hatte seine Kräfte aufgezehrt. Er mußte jetzt schnell eine Entscheidung herbeiführen, oder seine Niederlage war besiegelt. Volker täuschte einen Schlag nach rechts an. Dann, im letzten Moment, riß er mit einer Drehung im Handgelenk die Waffe herum und zielte nach links. Der Franke blockte die Klinge ab und erwiderte den Angriff mit einem Stoß nach dem Bauch des Spielmanns. Volker wich aus und zielte mit einem Rückhandhieb nach dem Kopf des Kriegsherrn, doch Ricchar duckte sich darunter hinweg.
Der Burgunde biß wütend die Zähne zusammen. Er war zu langsam. Wäre er ausgeruht gewesen, hätte Ricchar diesem Schlag nicht entkommen können. Wieder kreuzten sich klirrend die Schwerter. Der Frankenfürst zielte nun mit einem Hieb auf Volkers Bein. Der Barde machte einen schnellen Schritt zurück. Ricchar setzte nach, und seine Klinge stieß in den linken Oberarm des Spielmanns.
Der Kriegsherr trat zurück. »Siehst du... Die Lücke liegt in deiner oberen Verteidigung. Du hast dich zu sehr daran gewöhnt, mit einem Schild zu kämpfen.«
Volker preßte die Rechte auf die Wunde. Sie war nicht sehr tief. Ricchar verstand sein Handwerk. Der Franke hatte ihn nicht töten wollen. Glaubte der Graf etwa immer noch, er würde zum Mithraskult übertreten? »Danke, daß du mich auf die Mängel in meiner Verteidigung aufmerksam gemacht hast. Ich werde versuchen, mich zu bessern.«
Ricchar schüttelte den Kopf und lächelte. »Du gefällst mir, Spielmann. In meiner ganzen Armee gibt es keinen Mann wie dich. Willst du nicht doch...«
Volker hob sein Schwert und salutierte.
Ricchar starrte ihn fassungslos an. »Du willst noch eine Runde?«
»Für einen Ritter ist es besser, im Kampf als auf einem Scheiterhaufen sein Ende zu finden.«
»Ich fürchte, was das angeht, hast du nicht mehr die Wahl.« Der Graf hob seine Waffe, berührte zum Zeichen, daß er bereit war, Volkers Klinge und trat zurück.
Diesmal schien Ricchar ungeduldiger zu sein. Er griff schneller und ungestümer an als zuvor. Einmal traf Volkers Klinge den Leinenpanzer und schlitzte die oberste Lage des Stoffs. Doch der Graf achtete gar nicht darauf. Dicht wie Hagelschlag prasselten seine Hiebe herab, und der Spielmann hatte immer größere Mühe, sie zu parieren.
Volker zielte mit einem Stich nach Ricchars Brust. Der Fürst ließ ihn ins Leere laufen, konterte mit einem Hieb auf Volkers Kopf und wechselte im letzten Moment die Schlagrichtung. Sein Schwert grub sich tief in den linken Oberschenkel des Burgunden. Der Spielmann strauchelte. Ricchar versetzte ihm einen derben Stoß mit dem Ellbogen und Volker ging endgültig zu Boden. Mit einem Tritt entwaffnete Ricchar den Wehrlosen. Sein Schwert zielte auf die Kehle des Barden.
»Mir scheint... ich habe auch... in der unteren Deckung... Lücken.« Volker rang keuchend nach Luft. »Bring es zu Ende!«
Der Frankenfürst schüttelte den Kopf. »Es war wieder deine Schildseite. Die meisten Ritter haben diese Schwäche.« Er winkte den Soldaten, die noch immer am Eingang zur Zelle standen. »Ruft nach dem Heiler und laßt ihn verbinden.«
»Laß mich... sterben...«
»Nein!« Ricchars Augen funkelten jetzt zornig. »Du hattest Gelegenheit, deinen Weg zu wählen. Immer wieder hast du abgelehnt! Jetzt ist es zu spät. Meine Untertanen hast du in Aufruhr versetzt. Wenn ich je wieder in Frieden über sie herrschen will, dann müssen sie dich morgen gemeinsam mit Belliesa sterben sehen. Das wird allen Legenden um euch beide ein Ende bereiten. Nur eine allerletzte Gnade werde ich dir gewähren. Du sollst nicht auf dem Scheiterhaufen stehen. Ich selbst werde dich mit meinem Schwert richten. So wirst du durch eine Klinge in der Hand eines Edlen sterben, ganz wie es sich für einen Ritter geziemt.«
Der wehrlose Spielmann sah zu dem Fürsten auf. Er hatte sich in Ricchar getäuscht. Golo hatte Recht gehabt. Der Graf war ein Machtmensch, der keine Gnade mehr kannte, wenn er seine Interessen gefährdet sah. Volker erinnerte sich an die Tage in Castra Bonna. »Auf ein... Wort...«
»Ja.« Im Blick des Franken lag kein Triumph.
»Der Diener..., der verschwand..., als wir gegen... den Eber kämpften. Hast... du ihn töten... lassen?«
»Natürlich.« Ricchars Stimme war völlig ohne Emotion, so, als spräche er über etwas Belangloses. »In meiner Umgebung kann ich niemanden gebrauchen, der mich verrät. Ich erwarte von meinen Weggefährten, daß sie es offen aussprechen, wenn sie glauben, daß ich einen Fehler mache. Doch hinter meinem Rücken mit meinen Gästen paktieren... Nein! Ich habe den Kerl in den Thermen, wo er auf deinen Gefährten, Golo, gewartet hat, töten lassen. Seine Leiche wurde in den Rhein geworfen. So nutzte er wenigstens noch als Aalfutter.« Von einem Augenblick zum nächsten setzte der Graf wieder sein strahlendstes Lächeln auf. »Genug davon! Wir sehen uns morgen. Sei übrigens gewiß, daß ich deine Arbeiten, auch wenn wir nun auf so tragische Weise voneinander getrennt werden, stets weiter schätzen werde.« Ricchar verbeugte sich. »Ich habe alles Nötige veranlaßt, um dir eine angenehme letzte Nacht zu bereiten. Vor deiner Zelle wird ein Lakai stehen, der dir fast jeden Wunsch erfüllen wird.« Der Fürst wandte sich ab, und die Wachen, die Zeugen des Gesprächs geworden waren, traten hastig zur Seite.
Der Kräutersud, den der Heilkundige Volker eingeflößt hatte, machte den Ritter benommen. Vielleicht war es auch der Blutverlust. Noch bevor der Arzt den letzten Verband angelegt hatte, überkam Volker das Gefühl, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit gefangen zu sein. Soldaten hoben ihn auf eine Trage. Sie brachten ihn auf die Wendeltreppe, die tiefer in den Turm führte. Er flog...
Panische Angst überkam ihn. Er sah sich auf einen Berg zufliegen, auf dem ein mächtiger Turm stand. Ritter in schimmernden Rüstungen standen hinter den Zinnen. Er konnte das grimmige Gesicht von Hagen erkennen und auch das Gunthers. Was taten sie hier in der Einsamkeit der Bergwelt? Sie schienen ihn nicht zu bemerken... Er saß auf einem Vogel. Das Märchen! Der weiße Turm! Waren seine Verletzungen so schwer? Lag er im Sterben?
Ein blasses Gesicht beugte sich über ihn. Belliesa! Sie tupfte ihm mit einem Tuch den Schweiß vom Gesicht. War das alles ein Fiebertraum?
»Wo bist du, Feuervogel? Ich weiß nicht mehr, wo ich dich suchen soll. Du allein weißt, wo meine Liebste verborgen ist, doch nicht einmal dich konnte ich finden.«