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»Das heißt, du glaubst, mein Spielmann sei tot...«

Der Ritter vermochte dem König nicht in die Augen zu sehen. »Unter den Lebenden konnte ich ihn nicht finden. Sieben Tage bin ich geblieben und habe ihn gesucht, habe die Leichen in weitem Umkreis aus dem Schnee gezerrt und in ihre Gesichter gestarrt. Doch nirgends konnte ich ihn finden. Eine Meile rings um die Stadt war der Schnee schwarz vor Asche. Alle Bäume in weitem Rund hatte der Sturmwind geknickt. Das Land sah aus, als sei das jüngste Gericht gekommen... Kein Haus in Icorigium war von den Flammen verschont geblieben. Die meisten waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Flammen und Eis ließen die Festungswälle an vielen Stellen bersten... Nach sieben Tagen brachten die Raben, die unter den Toten ihr Festmahl hielten, die Pest. Da habe ich gewußt, daß es sinnlos ist, noch weiter zu suchen...«

Für lange Zeit herrschte Schweigen zwischen den dreien. Schließlich sagte Gunther. »Du hast mir treu gedient. Hast du einen Wunsch, Golo?«

»Ja, Herr. Laßt mich in das Dorf zurückkehren, in dem ich aufgewachsen bin. Ich hoffe, daß ich dort vergessen kann, was mir auch jetzt noch jede Nacht den Schlaf raubt.«

»Der Wunsch sei dir gewährt.«

Obwohl die beiden offenbar erwarteten, daß er nun gehen würde, rührte sich der Ritter nicht von der Stelle. Abgemagert, in rußgeschwärzte Felle gehüllt und mit nur halb verheilten Brandwunden im Gesicht, sah der junge Ritter aus wie der Tod.

»Gibt es noch etwas?«

»Ja, Herr!« Golo blickte seinem König herausfordernd ins Angesicht. »Ihr habt den Spielmann zurück in die Berge geschickt, weil er Euch den Kopf des Ketzerfürsten bringen sollte. Ihr hattet Angst, Ricchar würde schon bald seine Hand nach Eurem Thron ausstrecken. Zugleich habt Ihr auch gewußt, daß Volker nur mit einer Handvoll an Rittern und Waffenknechten kaum eine Aussicht auf Erfolg hatte. Ihr könnt nicht geglaubt haben, daß er siegt. War es nicht so? Doch ein Aufstand hätte den Intriganten am Hof des fränkischen Königs einen Vorwand gegeben, Ricchar um sein Amt als Kriegsherr und um seinen Gau zu bringen. Deshalb habt Ihr ihn zurückgeschickt...«

»Was fällt dir ein!« Hagen war hinter dem Thron hervorgetreten. »Wie wagst du es, so mit deinem König zu sprechen!«

Golo blieb unerschütterlich stehen. Er griff unter seinen Umhang, zog eine verbeulte, rußgeschwärzte Eisenmaske hervor und warf sie dem König vor die Füße. »Der Spielmann hat seinen Dienst getan. Das ist alles, was von Ricchar geblieben ist. Seine Leiche konnte ich finden. Sie lag nur ein paar Schritt von dem Gerüst entfernt, bei dem Volker gestorben sein muß.«

Der König hob die Maske auf und starrte auf das eherne Antlitz seines Feindes. Für einen Herzschlag lang spielte ein triumphierendes Lächeln um Gunthers Lippen. Dann richtete er sich wieder auf, und obwohl er nur leise sprach, war der drohende Unterton in seiner Stimme unüberhörbar. »Du darfst gehen, Ritter!«

EPILOG

Der Winter war fast vorüber, und Schnee und Schlamm vermengten sich zu einem knöchelhohen Brei in den Straßen von Worms, als eines Abends eine dunkle Gestalt die Königsburg verließ. Es war Hagen. Tief in Gedanken schritt er durch die engen Gassen des Gerberviertels seinem Ziel entgegen. Ohne Volker war es still geworden auf der Königsburg. Natürlich gab es auch andere Spielleute, doch jedesmal, wenn einer von ihnen bei Hofe spielte, schien die düstere Stimmung sich noch zu vertiefen, denn bisher hatte sich niemand gefunden, der Volker ersetzen könnte. Der finstere Recke lächelte melancholisch. Sogar den Ärger, den Volker gemacht hatte, vermißte er. Hagen mußte an die vielen Liebeshändel seines Freundes denken. Duelle im Morgengrauen, hinter der Burgkapelle... Nie hatte der Ritter einen der gehörnten Ehemänner getötet. Es war stets amüsant gewesen, seinen Fechtkünsten zuzusehen. Und die Geschichte mit der sächsischen Edlen, die der Spielmann verführte, während ihr Mann, der Gesandte des Sachsenkönigs, bei Gunther an der Festtafel saß... Jetzt war es viel ruhiger auf der Burg geworden und ernster. Es wurde weniger gescherzt und gelacht.

Hagen hatte sein Ziel erreicht. Mit seinem roten Fachwerkbalken und dem bunten Schild über der Tür hob sich das Badehaus deutlich von allen anderen Gebäuden in der Gasse ab. In Gedanken war er jetzt ganz bei dem Zuber voller heißem Wasser, der ihn in einer durch ein dickes Wolltuch vom großen Saal abgetrennten Nische erwartete. Es gab nicht Besseres, um die winterliche Kälte aus den Knochen zu vertreiben!

»Gott zum Gruße, Herr Ritter«, erklang eine heisere Stimme neben der Tür. »Habt ihr eine milde Gabe für einen, dem das Schicksal alles genommen hat.«

Verärgert blickte der Tronjer zu dem Bettler. Erst vor ein paar Wochen hatte er das Gesindel aus der Stadt vertreiben lassen. »Scher dich zum Teufel, Taugenichts! Ich habe nichts für dich!«

»Auch nicht für einen Freund desjenigen, der auszog, den Feuervogel zu suchen?«

Der Tronjer stutzte. Dann packte er den Bettler bei seinem schmutzigen Kittel und zog ihn mit einem Ruck auf die Beine. »Was weißt du über Volker? Heraus damit oder...« Mitten im Satz versagte Hagen die Stimme. Diese Augen! Der Kerl stank wie ein Ziegenstall. Seine Kleider waren Lumpen. Sein blondes Haar hing in schmutzigen Strähnen vom Kopf. Das Gesicht war hinter einem ungepflegten Bart verborgen. Doch diese Augen... Sie gehörten unzweifelhaft zu Volker!

»Du!« Hagen starrte ihn ungläubig an. »Jeder glaubt, du seiest tot!«

»Und dabei soll es auch bleiben. Volker, der Spielmann, so wie du ihn kanntest, ist am Christfest in Icorigium gestorben.«

»Unsinn! Du kommst jetzt mit mir und wirst dich waschen und etwas essen. Danach sehen wir weiter!« Ohne Widerspruch zu dulden, zerrte der Tronjer den Spielmann durch die Tür ins Badehaus.

Die Baderin kannte Hagen gut genug, um keine Fragen zu stellen, als er mit einem Bettler in ihr Haus kam. Und ein Blick von ihm genügte, sie wissen zu lassen, daß sie mit niemandem über diese Begebenheit reden sollte.

Er selbst kleidete den zitternden Bettler aus und befahl einer Magd, die Lumpen zu verbrennen, die der Mann am Leibe getragen hatte. Zwei frische rote Narben, an Bein und Arm, waren Zeugnis von Volkers letztem Kampf mit Ricchar. Auch die Hände des Spielmanns waren voller Schorf und Narben.

»Bei den Göttern«, murmelte Hagen ungläubig. »Du siehst wahrlich aus, als hättest du Ragnarök erlebt.«

Zögernd stieg der Spielmann in den großen Badezuber. Doch als er sich erst einmal an die Hitze des Wassers gewöhnt hatte, ließ er sich mit einem erleichterten Seufzer zurücksinken.

Zweimal mußte die Baderin heißes Wasser nachgießen, und ein Abendessen aus Fleisch und Brot hatte sie ihnen aufgetragen, bevor Volker an das Ende seiner Geschichte kam.

»...Als ich von dem Gerüst stürzte, wurde ich unter einem der Balken eingeklemmt. Dort war ich sicher vor den Hufen der Stiere, doch wäre ich wohl bei lebendigem Leibe verbrannt, hätte mich nicht ein junger Schmied, der bei meinen Freischärlern gekämpft hatte, erkannt und befreit. Im Keller seines Hauses hat er mich versteckt, als die Stadt brannte und die Sachsen mordend durch die Straßen zogen. Danach ist er mit seinem Weibe zu seinem Schwager, einem Köhler, der hoch in den Bergen wohnte, gezogen, denn niemand wollte in den Ruinen der Stadt bleiben, über die das Strafgericht Gottes hereingebrochen war. Den ganzen Weg in die Berge hat er mich auf seinem Rücken getragen. Er glaubte, in meiner Schuld zu stehen, weil er zu jenen gehört hatte, die kampflos die Waffen streckten, als die Armee Ricchars nach der Schlacht am Totenmaar vor den Toren Icorigiums erschienen war. In den Bergen pflegten sie mich, bis ich mich kräftig genug fühlte, meinen neuen Weg zu beschreiten.«