Golo musterte den kleinen Kerl. Er hatte den Eindruck, daß etwas Heimtückisches in der Stimme des Dieners lag. Oder amüsierte der Kerl sich nur über den Zustand Volkers?
Der junge Ritter hatte sich Volkers rechten Arm um die Schulter geschlungen und brachte den Spielmann bis zum Bett. »Laß mich in Morpheus Schoß ruhen«, lallte der Barde. »Morgen werden wir weiterreden.«
»Schon gut.« Golo setzte Volker auf den Rand des Bettes und zog ihm die Stiefel aus.
»Brauchen die erlauchten Herren noch meine Dienste?«
»Bring einen Eimer und einen Krug mit frischem Wasser her! Ich glaube, mein Freund wird das diese Nacht noch brauchen. Und dann stell ein Licht auf den Tisch dort drüben, das bis zum Morgengrauen brennt. Er soll sehen können, wo er sich befindet, wenn er wach wird.«
»Wie Ihr befehlt, Herr!« Der Diener verbeugte sich knapp und verschwand auf den dunklen Gang. Seine Öllampe hatte er auf dem Tisch stehen lassen.
Volker war nach hinten auf das Bett gesunken und schnarchte leise. Golo betrachtete ihn eine Weile. Im weichen Licht der Öllampe waren die Falten in den Mundwinkeln des Spielmanns verschwunden. Er konnte Volker nicht lange böse sein. Seit den Ereignissen in den Sümpfen Aquitaniens hatte sich der Spielmann von Grund auf verändert. Golo wünschte ihm, daß er den Feuervogel finden würde, damit er endlich Gewißheit über das Schicksal der Morrigan erlangte. In der letzten Nacht, als sie am Ufer des Rheins schliefen, hatte er Volker den Namen der heidnischen Priesterin im Schlaf flüstern hören. Sie ließ ihn nicht mehr los... Vielleicht hatte sie ihn ja verflucht?
Vor der Tür erklangen Schritte. Der Diener kehrte zurück. Ohne ein Wort stellte er einen hölzernen Eimer und einen Wasserkrug neben das Bett. Dann trat er einen Schritt zurück und blickte Golo erwartungsvoll an.
»Du kannst gehen. Ich werde alleine den Weg in meine Kammer finden. Danke.«
Der kleine Mann verneigte sich knapp. »Wie Ihr meint, Herr.« In der Tür blieb er noch einmal stehen und blickte zurück.
»Ja?« fragte Golo ärgerlich. Er wollte allein sein.
Der Diener räusperte sich verlegen. »Es geht mich ja nichts an, aber ich habe Euch eben über einen Bischof reden hören. Nicht, daß ich lauschen wollte, Herr... Ihr spracht so laut, daß es mir unmöglich war, das Gesagte zu überhören.«
»Und?«
»Es wäre klüger, wenn Ihr in Gegenwart des Grafen und seiner Gefolgsleute nicht von Kirchenmännern sprecht.«
Golo richtete sich auf und musterte den kleinen Kerl mißtrauisch. Der Mann hatte flachsblondes Haar und ein breites, ehrliches Gesicht. »Was willst du damit sagen?«
»Nichts. Nur, daß man hier Kirchenmänner nicht sonderlich zu schätzen weiß und... Hütet Euch, daß Ihr in diesen Mauern Euer Seelenheil nicht verliert.« Der Diener blickte ängstlich auf den Gang hinaus.
Einen Moment lang glaubte Golo, ein Geräusch wie von leisen Schritten zu hören. Dann war es wieder still. »Wie meinst du das? Ein Gelage wie an diesem Abend ist zwar gewiß nicht gottgefällig, doch warum sollte unser Seelenheil in Gefahr sein?«
»Ich habe schon zu viel gesagt«, flüsterte der Mann ängstlich. »Ich muß nun gehen.« Er verneigte sich ein wenig linkisch und eilte dann mit langen Schritten den Gang hinab.
Golo deckte den Spielmann zu und ging zu seiner Kammer. Dabei klangen ihm immer wieder die Worte des Dieners in den Ohren. Hütet Euch, daß Ihr in diesen Mauern Euer Seelenheil nicht verliert. Was mochte der Kerl damit nur gemeint haben?
2. KAPITEL
»Seht Euch das nur an!« Der Frankenfürst zeigte auf ein paar gemauerte Bögen, die im rechten Winkel auf die Stadtmauer trafen. »Sie haben meilenlange Brücken gebaut, auf denen sie das Wasser aus den Bergen in die Städte leiteten. Hunderte von Männern müssen ein Leben lang daran gearbeitet haben. Für sie war nichts unmöglich...«
»Und dennoch haben unsere Ahnen sie von hier vertrieben.« Volker kannte die Bauwerke der Römer. Auch seine Heimatstadt Alzey war einst eine ihrer Garnisonen gewesen, und auch dort gab es noch viele Ruinen, die an die Pracht der vergangenen Zeiten erinnerten.
»Du hast recht, mein Freund. Sie sind schwach geworden. Deshalb konnten wir sie besiegen. Die ganze Welt hatte sich gegen sie erhoben. Und doch dauert selbst ihr Untergang schon mehr als ein Jahrhundert, und noch sind sie nicht endgültig besiegt.«
Golo schnaubte verächtlich. »Was ist von ihrer Größe schon geblieben? Heute winseln ihre Gesandten am Hof des Hunnenkönigs um Gnade, damit er Italien verschont. Was nutzt es, wenn man die Kunst beherrscht, Wasser viele Meilen über Brücken laufen zu lassen, aber nicht mehr in der Lage ist, seine Städte zu verteidigen.«
Ricchar lachte. »Du hast recht, Golo. Viele meiner Reiter denken ähnlich. Für das, was von ihnen geblieben ist, habe auch ich nur Verachtung übrig. Doch einst hat das römische Volk die ganze Welt beherrscht. Wenn nicht auch wir eines Tages vor Etzels Kriegern winselnd im Staub liegen wollen, dann müssen wir das Geheimnis von Roms verlorener Größe ergründen. Mein König hat Gesandte an den Hof der Hunnen geschickt. Sie berichten, daß Etzels Reiter so zahlreich wie die Kiesel am Ufer des Rheins sind. Wenn sie eines Tages beschließen sollten, in den Westen vorzustoßen, dann wird nichts und niemand sie aufhalten können. Es sei denn, wir könnten ihnen eine Armee entgegenstellen, wie sie einst Rom besessen hat. Doch das genügt noch nicht...« Der Krieger blickte zu den Bergen westlich der Stadt und schien plötzlich düsteren Gedanken nachzuhängen.
»Und was würde der Heermeister des Frankenkönigs tun, um Etzel zu bezwingen?« stichelte Volker.
»Den Krieg mit den Hunnen von langer Hand vorbereiten«, entgegnete Ricchar trocken. »Eines Tages werden sie hierher an den Rhein kommen, und dann müssen wir gerüstet sein. Doch dazu reicht es nicht allein, eine Armee zu haben. Hinter jedem Soldaten müssen mindestens fünf Männer stehen, die ihn unterstützen, wenn er erfolgreich im Krieg sein soll. Wir brauchen Schmiede, die nichts anderes tun, als Rüstungen und Waffen für unsere Kämpfer herzustellen. Köhler, die dafür sorgen, daß der Vorrat an Holzkohle neben den Schmiedefeuern niemals zur Neige geht. Bergarbeiter, die das Erz aus den Tiefen der Erde holen. Schuster, die die Stiefel der Soldaten schneiden. Rinderherden, damit meine Männer Fleisch auf ihren Tellern liegen haben und damit es Leder für Stiefel und Sättel gibt... So geht es endlos weiter. Eine gute Armee allein genügt nicht. Die Römer waren so mächtig, weil sie all dies hatten. Cäsar konnte einst in weniger als einem Jahr zehntausend Soldaten unter Waffen stellen. Kein König kann ihm das heute gleichtun und wäre er selbst so reich wie der legendäre Midas! Es gibt einfach keinen Ort, an dem man zehntausend Schwerter kaufen könnte...«
Volker schüttelte den Kopf. »Das ist es doch nicht allein. Rom hatte genügend Schuster und Schmiede. Trotzdem haben unsere Ahnen die Legionen vom Rhein vertrieben.«
»Weil die Römer ihren Glauben und ihren Kampfgeist verloren hatten.« Ricchars himmelblaue Augen blitzten im Sonnenlicht. »An beidem mangelt es meinen Kriegern nicht. Wenn ich ihnen auch den Rest verschaffe, dann werden sie unbesiegbar sein!«
»Und ihr erstes Ziel ist dann Treveris, nehme ich an?«
Der Frankenfürst zuckte mit den Schultern. »Vielleicht? Diese Entscheidung liegt bei meinem König.«
»Das heißt, wir würden uns vielleicht eines Tages als Feinde auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen?« Volker musterte den Grafen, doch auf Ricchars Gesicht zeigte sich nicht die geringste Regung. Es war so kalt wie die eisernen Masken seiner Reiter.