„Dr. Mallin“, sagte der älteste der drei Richter, der in der Mitte saß, „worin besteht nach Ihrer fachlichen Meinung der Unterschied zwischen intelligentem und nichtintelligentem Denken?“
„In der Fähigkeit, bewußt zu denken“, erklärte er. Der Bildschirm blieb blau.
„Meinen Sie damit, daß nichtintelligente Wesen kein Bewußtsein haben, oder meinen Sie, daß sie nicht denken?“
„Nun, keines von beiden. Jedes Lebewesen mit einem Zentralnervensystem besitzt irgendeine Art von Bewußtsein — das Bewußtsein seiner Existenz und seiner Umgebung. Und jedes Wesen mit einem Gehirn denkt, um den Ausdruck einmal laienhaft zu benutzen.
Was ich meine, ist, daß nur ein intelligenter Verstand denkt und auch weiß, daß er denkt.“
Bis jetzt bestand noch keine Gefahr. Er sprach über Sinnesreize und Reflexe, wobei er bis in das erste präatomare Jahrhundert zurückgriff und Pavlov und Korzybski und Freud erwähnte. Der Bildschirm blieb blau.
„Wichtig ist außerdem, daß ein intelligenter Verstand zu generalisieren vermag, also von speziellen Dingen auf allgemeine Prinzipien schließen kann. Für nicht vernunftbegabte Wesen ist jedes Erlebnis entweder völlig neu oder mit irgendeinem anderen Erlebnis, woran es sich erinnert, identisch. Ein Hase flieht vor einem Hund, weil dieser im Geist des Hasen mit einem anderen Hund identisch ist, der ihn schon einmal gejagt hat. Ein Vogel fühlt sich zu einem Apfel hingezogen, weil für ihn ein Apfel etwas Rotes ist, auf das man pickt. Vernunftbegabte Wesen dagegen sagen: 'Diese roten Gegenstände sind Äpfel; Äpfel als Klasse, und sie sind eßbar und schmecken gut.' Das vernunftbegabte Wesen bildet also eine Klasse unter dem allgemeinen Begriff 'Apfel'. Das wiederum führt zur Bildung abstrakter Ideen — rot, Geschmack usw., die auch ganz losgelöst von bestimmten physikalischen Gegenständen Geltung haben und zu weiteren Abstraktionen führen — 'Frucht' zum Unterschied von 'Apfel', 'Nahrung' im Gegensatz zu 'Frucht'.“
Immer noch blieb der Schirm blau. Die drei Richter warteten, und er fuhr fort:
„Nachdem nun diese abstrakten Ideen gebildet sind, wird es notwendig, sie zu symbolisieren, um sie auch unabhängig von dem eigentlichen Gegenstand behandeln zu können. Das vernunftbegabte Wesen ist ein Wesen, das symbolisiert und Symbole weitergibt; es kann anderen vernunftbegabten Wesen seine Gedanken in symbolischer Form weitergeben.“
„Wie Pa - pii dscheek?“ fragte der Richter rechts von ihm.
Sofort blitzte der Bildschirm rot auf.
„Euer Ehren, ich kann nicht zufällig eingeprägte und mechanisch nachgeplapperte Laute als Sprache bezeichnen. Die Fuzzys haben nur gelernt, diesen Laut mit einem bestimmten Menschen zu assoziieren und benützen ihn als Signal, nicht als Symbol.“
Immer noch war der Bildschirm rot. Der Oberrichter schlug mit dem Hammer auf den Tisch.
„Dr. Mallin! Von allen Menschen auf diesem Planeten sollten wenigstens Sie sich der Unmöglichkeit bewußt sein, unter dem Lügendetektor zu lügen. Andere Menschen wissen nur, daß das nicht geht. Sie kennen sogar die Gründe dafür. Ich werde jetzt Richter Janivers Frage neu formulieren und erwarte diesmal eine wahrheitsgemäße Antwort. Wenn Sie die nicht geben, betrachte ich das als eine Beleidigung des Gerichts. — Als diese Fuzzys schrien: 'Pa — pii dscheek', glauben Sie oder glauben Sie nicht, daß es sich dabei um einen Ausdruck handelt, der in der Meinung der Fuzzys für Mr. Holloway stand?“
Er konnte es nicht sagen. Diese ganze Intelligenz war ein großer Schwindel — das mußte er glauben.
Aber er glaubte es nicht. Er wußte es besser. Er schluckte.
„Ja, Euer Ehren. Der Begriff 'Pa — pii dscheek' ist nach Meinung der Fuzzys ein Symbol, das für Mr. Jack Holloway steht.“
Er blickte auf den Bildschirm. Das Rot war zu Violett geworden, und dann wurde daraus ein dunkles Blau. Er fühlte sich jetzt zum ersten Male seit jenem Nachmittag, an dem Leonard Kellogg ihm von den Fuzzys berichtet hatte, wieder wohl.
„Dann denken Fuzzys also bewußt, Dr. Mallin?“ Das war Pendarvis.
„Oh, ja. Die Tatsache, daß sie Wortsymbole benutzen, bestätigt das, selbst ohne andere Beweise. Und die Encephalographenaufnahmen, die wir machten, halten sehr wohl einen Vergleich mit denen eines zehn- oder zwölfjährigen Kindes von der Erde aus. Das gleiche gilt für ihre Lernkapazität und die Fähigkeit, Rätsel zu lösen. Bei Rätseln überdenken sie das Problem immer zuerst und verrichten dann die rein manuelle Arbeit, und zwar mit der gleichen Anstrengung wie vielleicht für einen Menschen das Händewaschen ist.“
Der Bildschirm strahlte in klarem Blau. Mallin hatte es aufgegeben zu lügen; jetzt drängte alles aus ihm heraus, was er dachte.
16.
Neun Uhr am Morgen darauf.
Max Fane trat mit ausdruckslosem Gesicht auf den Richtertisch zu.
„Euer Ehren, ich schäme mich, Ihnen berichten zu müssen, daß der Beklagte, Leonard Kellogg, dem Gericht nicht vorgeführt werden kann. Er ist tot; er hat vergangene Nacht in seiner Zelle Selbstmord verübt. Die Verantwortung dafür trifft mich“, fügte er bitter hinzu.
„Wie konnte das geschehen, Marshal?“ fragte Oberrichter Pendarvis.
„Der Gefangene befand sich in seiner Einzelzelle, die mit einem Fernsehauge ausgestattet war. Einer meiner Mitarbeiter hat ihn am Bildschirm beobachtet.“ Fanes Stimme klang wie die eines Roboters. „Um zweiundzwanzig Uhr dreißig ging der Gefangene zu Bett. Er war mit seinem Hemd bekleidet. Er zog sich die Decken über den Kopf. Der Beamte, der ihn beobachtete, dachte sich nichts dabei.
Als heute morgen ein Wächter ihn wecken wollte, fand er das Bett unter der Decke mit Blut getränkt. Kellogg hatte den Reißverschluß seines Hemdes hin-und hergezogen, bis er die Schlagader durchsägt hatte. Er war tot.“
„Großer Gott, Marshal!“ Pendarvis war erschüttert.
„Ich glaube nicht, daß man Ihnen einen Vorwurf machen kann, weil Sie nicht mit so etwas gerechnet haben. Daran hätte niemand gedacht.“
Marshal Fane verbeugte sich wortlos und trat zur Seite.
Leslie Coombes, den es sichtlich Mühe kostete, ein gebührend schockiertes und betrübtes Gesicht zu machen, erhob sich.
„Euer Ehren, ich stelle fest, daß ich keinen Mandanten mehr habe“, sagte er. „Genau genommen, habe ich hier überhaupt nichts mehr verloren; die Anklage gegen Mr. Holloway ist natürlich automatisch hinfällig. Er hat einen Mann erschossen, der versuchte, ihn zu töten. Das ist alles. Ich bitte Euer Ehren deshalb, die Anklage gegen ihn fallen zu lassen und ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen.“
Der Richter schüttelte den Kopf. „Nein, das werde ich nicht tun“, sagte er. „Mr. Holloway ist unter Anklage des Mordes verhaftet worden. Wenn er nicht schuldig ist, steht ihm zumindest die Genugtuung eines Freispruchs zu. Ich fürchte, Mr. Coombes, daß Sie fortfahren müssen, die Anklage gegen ihn zu vertreten.“
Der Hammer klopfte. Little Fuzzy kletterte auf Jack Holloways Schoß. Nach fünf Tagen vor Gericht hatten sie alle gelernt, was dieses Geräusch bedeutete. Alle Fuzzys — und auch alle anderen Leute, mußten sich ruhig verhalten.
Der Saal sah jetzt wieder wie ein Gerichtssaal aus. Die Tische standen in einer Reihe vor dem Richtertisch, und der Zeugenstuhl und die Geschworenenbank befanden sich ebenfalls an ihrer angestammten Stelle. Nur eines war ungewöhnlich. Jetzt saß ein vierter Mann am Richtertisch, ein Mann in der schwarzen Uniform der Raumnavy. Er bewahrte einen kleinen Abstand zu den Richtern und bemühte sich auszusehen, als wäre er überhaupt nicht vorhanden — Raumkommodore Alex Napier.