Bald hörte man von rechts unter den Bäumen das Lied von den lahmen Lümmeln und das andere vom Atterkopp. Das brachte die Spinnen ganz durcheinander. Sie stellten den Angriff ein, und einige rannten der Stimme nach. »Atterkopp« machte sie so böse, daß sie ihren Verstand verloren. Dann führte Balin, der Bilbos Plan besser als die anderen begriffen hatte, einen Angriff. Die Zwerge drängten sich zu einem Haufen zusammen, und mit einem wahren Hagelschauer von Steinen trieben sie die Spinnen nach links und brachen durch den Ring. Hinter ihnen hörte plötzlich das Schreien und Singen auf Mit der verzweifelten Hoffnung, daß sich Bilbo bloß nicht einfangen ließ, rannten sie weiter – aber keinesfalls schnell genug. Sie waren krank und todmüde, und ihr Laufen war nur noch ein Gehinke und Gehumpel, obgleich die Spinnen dicht hinter ihnen her waren. Dann und wann mußten sie sich stellen und die Viecher abschlagen, die sie eingeholt hatten, und schon waren einige Spinnen in den Bäumen über ihnen und warfen ihre langen Klammerseile herab.
Es sah sehr ungemütlich für sie aus, als plötzlich Bilbo auftauchte und sich von der Seite her unerwartet in die überraschten Spinnen stürzte.
»Lauft zu Lauft zu rief er. »überlaßt mir die Säbelei Und dann fing er an. Er stach vorwärts und rückwärts, durchschnitt die Fäden der Spinnen, hackte nach ihren Beinen und stach nach ihren fetten Bäuchen, wenn sie ihm zu nahe kamen. Die Spinnen schwollen vor Wut, geiferten und schäumten und zischten entsetzliche Flüche über ihn. Aber sie hatten tödliche Angst vor dem zurückgekehrten Stachel und wagten nicht, in seine Nähe zu kommen. Sie mochten fluchen, soviel sie wollten: Ihre Beute zog langsam, aber stetig davon. Es war schrecklich mühevoll und dauerte, so schien es, viele Stunden.
Aber am Ende, gerade als Bilbo spürte, daß er seine Hand auch nicht zu einem einzigen Streich mehr heben konnte, gaben die Spinnen auf, folgten ihnen nicht mehr, sondern zogen enttäuscht in ihren düsteren Winkel zurück.
Da merkten die Zwerge, daß sie an den Rand eines jener Ringe gelangt waren, in denen Elbenfeuer gebrannt hatten. Ob es jedoch eines der Feuer war, das sie in der vergangenen Nacht gesehen hatten, das konnten sie nicht sagen. Aber es schien, als ob ein freundlicher Zauber an solchen Plätzen wohnte, den die Spinnen nicht mochten. Jedenfalls war das Licht hier frischer grün, das Laubdach weniger dicht und bedrohlich, und sie hatten endlich die Möglichkeit, zu rasten und Atem zu schöpfen.
Da lagen sie nun, schnauften und atmeten schwer. Aber bald ging die Fragerei los. Sie wollten die Geschichte mit dem Unsichtbarwerden ganz genau erklärt haben, und der gefundene Ring beschäftigte sie so sehr, daß sie für eine Weile ihre eigenen Sorgen vergaßen. Besonders Balin bestand darauf, die Gollumgeschichte ausführlich nebst sämtlichen Rätseln immer und immer noch einmal zu hören und vor allem das, was den Ring betraf. Aber die Zeit verging, das Licht wurde schwächer, und dann wurden ganz andere Fragen gestellt.
Wo waren sie nur, wo war der Pfad, wo gab es etwas zu essen und was sollten sie als nächstes unternehmen? Das fragten sie immer aufs neue, und es schien, als ob sie von dem kleinen Bilbo die Antwort erfahren wollten. Daraus ist zu ersehen, daß sie ihre Meinung über Mister Beutlin geändert hatten und er in ihrer Achtung sehr gestiegen war (und anders hatte es Gandalf ja auch nicht vorausgesagt). In der Tat, sie vermuteten, daß er sich bereits einen wundervollen Hilfsplan ausgedacht hatte, und jammerten nicht mehr soviel. Sie wußten sehr wohl, daß sie bald ihren letzten Puster getan hätten, wenn Bilbo nicht gewesen wäre, und sie dankten ihm mehr als einmal dafür.
Einige standen sogar auf und verbeugten sich vor ihm bis auf die Erde, obgleich sie bei dieser Anstrengung vornüber fielen und eine ganze Weile überhaupt nicht mehr auf die Beine kommen konnten. Daß sie die Wahrheit über sein Verschwinden erfuhren, minderte ihre Wertschätzung Bilbos in keiner Weise. Sie sahen, daß er sowohl Verstand als auch Glück hatte und obendrein einen Zauberring, was allen zusammen sehr nützlich war. Sie lobten ihn in der Tat so sehr, daß Bilbo schon glaubte, irgendwie müsse doch wirklich etwas von einem kühnen Abenteurer an ihm sein. Er würde sich jedoch noch unvergleichlich kühner vorgekommen sein, wenn es jetzt etwas zu essen gegeben hätte.
Aber es gab nichts, rein gar nichts. Und keiner war überhaupt noch in der Lage, herumzustöbern oder gar nach dem verlorenen Pfad zu fahnden. Der verlorene Pfad! Kein anderer Gedanke wollte mehr in Bilbos müden Kopf kommen. Er saß und starrte die endlosen Baumreihen vor sich an, und nach einer Weile wurden sie alle wieder still. Alle, ausgenommen Balin.
Lange nachdem die anderen aufgehört hatten zu reden und nachdem ihnen die Augen zugefallen waren, murmelte er noch immer und lachte in sich hinein: »Gollum! Jetzt geht mir ein Licht auf! Er ist an mir vorbeigeschlichen – nun ist es mir klar.
Lautlos dahergekrochen, nicht wahr, Mister Beutlin? Knöpfe überall auf der Torschwelle! Guter alter Bilbo – Bilbo – bobobo« – damit schlief er ein, und für eine lange Weile herrschte völliges Schweigen.
Ganz plötzlich öffnete Dwalin ein Auge und blickte sie der Reihe nach an. »Wo ist Thorin?« fragte er.
Sie erschraken furchtbar. Natürlich, da lagen nur dreizehn, zwölf Zwerge und ein Hobbit. Wo aber war Thorin? Sie zerbrachen sich den Kopf, welch böses Verhängnis ihm widerfahren sein mochte. War es Zauberei, oder war er in die Fänge finsterer Ungeheuer geraten? Schauer liefen ihnen über den Rücken, wie sie so verloren im Wald hockten. Und als der Abend in schwarze Nacht überging, fiel einer nach dem andern in schweren Schlaf voll schauriger Träume. Darin müssen wir sie jetzt liegen lassen. Im übrigen waren sie viel zu krank und zu müde, um Wachen aufzustellen oder wenigstens der Reihe nach die Augen aufzuhalten.
Thorin aber war viel eher als die anderen gefangen worden. Ihr erinnert euch, wie Bilbo einem Baumstamm gleich in tiefen Schlaf gefallen war, als er in den Lichtkreis der Elben eindrang? Als nächster war Thorin gefolgt. Und als die Lichter auslöschten, stürzte er um wie ein verzauberter Stein.
Aller Lärm der Zwerge, die sich in der Nacht verirrt hatten, alles Geschrei, als sie von den Spinnen gefangen und gefesselt wurden, ja selbst das Getöse der Schlacht am folgenden Tag war ungehört über ihn hinweggegangen. Dann waren die Waldelben gekommen, hatten ihn gebunden und fortgetragen.
Die Feiernden waren natürlich Waldelben gewesen, und Waldelben sind alles andere als ein hinterhältiges Volk. Wenn sie einen Fehler haben, so ist es ihr ausgesprochenes Mißtrauen gegen Fremde, und obgleich ihr Zauber sehr stark war, blieben sie doch selbst in jenen Tagen äußerst vorsichtig. Sie unterschieden sich sehr von den Hochelben des Westens. Sie waren gefährlicher als diese und auch nicht so weise. Die meisten von ihnen (und auch ihre in den Bergen zerstreut lebenden Verwandten) stammten von jenen uralten Stämmen ab, die niemals nach Faerie gezogen waren. Dort lebten die Lichtelben, die Unterirdischen (oder Gnomen) und die See-Elben seit langer, langer Zeit. Sie waren schöner, weiser und geschickter geworden, hatten manchen Zauber erfunden und ihre Kunstfertigkeit vervollkommnet, so daß sie schöne und wunderbare Dinge herstellen konnten, ehe sie in die Weite Welt zurückkehrten. Die Waldelben indessen waren im Zwielicht, das vor dem Aufgang von Sonne und Mond herrschte, geblieben. Später wanderten sie in die Wälder, die gegen Sonnenaufgang wuchsen. Waldsäume, von denen sie auf Jagd ziehen oder im Mond- und Sternenlicht weit in das offene Land hinaus rennen und reiten konnten, mochten sie besonders gern. Als die Menschen kamen, zogen sie sich immer mehr in die Dämmerung zurück. Aber es waren und blieben Elben. Und Elben sind gute Wesen.
In einer großen Höhle, einige Meilen vor dem Ostrand des Nachtwaldes, lebte zur Zeit unserer Geschichte ihr größter König. Vor ihren hohen Steintoren floß ein Strom hinaus in die Sümpfe, die sich am Fuß der Waldhöhen ausbreiteten. Diese Höhle, von der unzählige kleinere nach allen Seiten abzweigten, wand sich mit all ihren Durchlässen und Hallen tief unter der Erde dahin. Aber sie war heller und gesünder als jede Orkbehausung und weder so tief noch so gefährlich. Die Untertanen des Königs lebten und jagten ja meistens in den offenen Wäldern. Draußen besaßen sie Hütten auf der Erde und in den Zweigen. Ihre Lieblingsbäume waren Buchen. Die Königshöhle indessen diente als Palast, feste Schatzkammer und in Kriegszeiten dem Volk als Festung.