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Hier errichteten sie ihr drittes Lager und hievten, was sie brauchten, mit Tauen aus der Tiefe empor.

Auf dieselbe Weise ließen sie gelegentlich einen der unternehmungslustigeren Zwerge hinab (beispielsweise Kili), um Neuigkeiten auszutauschen oder an der Wache teilzunehmen, während Bofur zum Hochlager heraufgezogen wurde. Bombur indessen wollte weder mit dem Seil noch über den Pfad heraufkommen.

»Ich bin zu fett für solche Flugpartien«, sagte er. »Ich würde bloß schwindlig, träte auf meinen Bart, und dann wärt ihr wieder nur dreizehn. Außerdem sind die aneinandergeknoteten Taue viel zu dünn für mein Gewicht.« Glücklicherweise stimmte das nicht, wie man bald sehen wird.

In der Zwischenzeit untersuchten einige den Sims über der Kesselöffnung und fanden einen Steig, der höher und höher den Berg hinaufführte. Aber sie wagten nicht, ihm ein größeres Stück zu folgen.

Auch hätte es nicht viel Nutzen gebracht. Dort oben herrschte eine große Stille, die durch keinen Vogelruf unterbrochen wurde. Nur der Wind pfiff in den Gesteinsspalten. Sie sprachen leise, niemals riefen oder sangen sie, denn Gefahr brütete hinter jedem Fels. Auch die anderen, die sich abmühten, das Geheimnis der Tür zu entdecken, hatten keinen Erfolg. Sie waren viel zu begierig, um sich um die Runen oder die Mondschrift zu kümmern, sondern versuchten rastlos, in der glatten Oberfläche des Felsens herauszufinden, wo die Tür verborgen saß. Sie hatten Spitzhacken und mancherlei anderes Handwerkszeug aus der Seestadt mitgebracht. Zuerst versuchten sie, damit etwas auszurichten. Aber als sie in den Stein schlugen, zersplitterten die Stiele, und der Ruck renkte ihnen fast die Arme aus; der Stahl zerbrach oder verbog sich wie Blei. Ihre Kenntnisse im Stollenbau, das wurde ihnen klar, taugten nichts für den Zauber, der dieses Tor geschlossen hielt. Und das Echo ihrer Klopferei jagte ihnen einen Schrecken nach dem anderen ein.

Bilbo fand das Sitzen auf der Türschwelle eine langweilige und mühselige Beschäftigung. Natürlich gab es da keine richtige Türschwelle; aber sie hatten sich daran gewöhnt, den kleinen, grasigen Platz zwischen Wand und Kesselöffnung spaßeshalber »Türschwelle« zu nennen. Es erinnerte sie an Bilbos Worte, die vor langer Zeit bei der unerwarteten Gesellschaft in der Hobbithöhle gefallen waren.

Damals hatte er gesagt, sie brauchten sich bloß auf die Türschwelle zu setzen, und es würde ihnen schon etwas einfallen. Und sitzen und nachdenken taten sie jetzt, oder sie wanderten planlos umher und wurden von Tag zu Tag mürrischer.

Ihr Unternehmungsgeist war bei der Entdeckung des Pfades ein wenig gestiegen, aber jetzt sank er wieder in die Stiefel hinunter. Und trotzdem wollten sie nicht aufgeben und davonziehen. Der Hobbit war übrigens keineswegs munterer als die Zwerge. Er wollte nichts anderes mehr tun als mit dem Rücken zur Felswand sitzen und nach Westen durch die Öffnung starren, über die Klippen und über die weiten Länder hinweg bis zu der schwarzen Mauer des Nachtwaldes hin und weiter in jene Fernen, in denen er zuweilen ganz klein und schwach die Nebelberge zu erblicken glaubte. Wenn die Zwerge ihn fragten, was er da mache, so antwortete er: »Ihr sagtet, das Aufder-Türschwelle-Sitzen und Nachdenken würde meine Aufgabe sein, abgesehen vom Hineinspazieren. Gut. Ich sitze denn und denke nach.« Aber ich fürchte, er dachte nicht viel an seine Aufgabe, sondern an das, was hinter den blauen Felsen lag: das ruhige Westland, der Hügel und seine Hobbithöhle darunter.

Mitten im Gras lag ein großer, grauer Stein. Schwermütig starrte Bilbo ihn an, oder er beobachtete die großen Schnecken. Sie liebten offenbar diesen geschützten Kessel aus kühlem Fels, denn es gab zahlreiche merkwürdig große Schnecken, die langsam ihre klebrigen Silberstreifen über die Felswände zogen.

»Morgen fängt die letzte Herbstwoche an«, sagte Thorin eines Tages.

»Und nach dem Herbst kommt der Winter«, fügte Bifur hinzu.

»Und das nächste Jahr kommt nach diesem«, sagte Dwalin, »und unsere Bärte werden wachsen und über die Klippe hinab ins Tal reichen, ehe hier sich etwas rührt. Was tut unser Meisterdieb eigentlich für uns? Da er einen unsichtbarmachenden Ring hat und angeblich ein ganz besonderer Könner ist, habe ich schon einmal gedacht, er könnte ja durch das Vordertürchen einsteigen und ein bißchen umherspähen.«

Bilbo hörte es, denn die Zwerge saßen über ihm in den Felsen. Ach, du meine Güte! dachte er, die sind ja auf schöne Gedanken gekommen! Immer bin ich es, der ihnen aus Schwierigkeiten helfen soll, zum mindesten, seit der Zauberer uns verlassen hat. Was soll ich tun? Ich habe ja immer geahnt, daß mir am Ende etwas Schreckliches zustoßen wird. Die unglückselige Gegend von Dal wiederzusehen und das qualmende Tor, das ist zuviel für mich!

In dieser Nacht fühlte er sich sehr elend, kaum konnte er schlafen. Am nächsten Tag streunten die Zwerge in allen Richtungen umher. Einige schafften den Ponys unten Bewegung, andere streiften auf dem Berghang umher. Bilbo aber saß den ganzen Tag düster in dem grasigen Kessel, starrte auf den Stein oder blickte durch die enge Öffnung hinaus. Er hatte das sonderbare Gefühl, daß er auf irgend etwas wartete. Vielleicht kommt heute der Zauberer ganz plötzlich zurück, dachte er. Wenn er seinen Kopf hob, konnte er einen Streifen des fernen Waldes sehen. Als die Sonne sich nach Westen wandte, lag goldener Schimmer über den Wipfeln, als ob das Licht in den letzten welken Blättern glühte. Bald sah er den orangefarbenen Ball tiefer und tiefer sinken. Bilbo ging zur Öffnung, und da stand fahl und blaß ein schmaler neuer Mond über dem Rand der Erde.

Genau in diesem Augenblick hörte Bilbo ein scharfes Krachen hinter sich. Im Gras auf dem grauen Stein saß eine ungewöhnlich große Drossel. Sie war nahezu kohlschwarz, und ihre blaßgelbe Brust war dunkel gefleckt. Krach! Sie hatte eine Schnecke gefaßt und schmetterte sie gegen den Sims. Krach!

Krach!

Plötzlich verstand Bilbo. Alle Gefahr vergessend, trat er an den Simsrand und rief die Zwerge, laut und mit den Armen winkend, herbei. Die am nächsten waren, kamen über die Felsen herangestolpert oder eilten, so schnell es ging, den Sims entlang. Sie wunderten sich sehr, was in aller Welt wohl geschehen war. Die anderen schrien und wollten aufgehievt werden (außer Bombur natürlich, der schlief).

Schnell erklärte Bilbo. Da wurden sie still. Der Hobbit stand beim grauen Stein. Ungeduldig und mit zitternden Bärten beobachteten die Zwerge. Die Sonne sank tiefer und tiefer, und ihre Hoffnungen begannen zu schwinden. Schließlich versank sie hinter einem Gürtel roter Wolken.

Die Zwerge stöhnten. Aber noch immer stand Bilbo bewegungslos da. Der schmale Mond berührte den Horizont. Der Abend kam. Doch plötzlich, als ihre Hoffnungen schon ganz vernichtet schienen, stieß ein roter Sonnenstrahl wie ein Finger durch einen Wolkenriß. Licht drang durch die Kesselöffnung und fiel auf die glatte Felswand. Die alte Drossel, die von hoch oben mit schiefgelegtem Kopf und kleinen Augenknöpfen zugeschaut hatte, stieß plötzlich einen Schrei aus. Lautes Krachen folgte. Ein flaches Stück Gestein splitterte vom Fels und fiel herab: Ein kleines Loch erschien etwa drei Fuß über der Erde. Zitternd Vor Aufregung, daß die Gelegenheit ungenutzt vorbeigehen könnte, stürzten die Zwerge zur Wand und stemmten sich dagegen – vergebens.

»Der Schlüssel! Der Schlüssel!« rief Bilbo. »Wo ist Thorin?« Thorin eilte herbei.

»Der Schlüssel!« schrie Bilbo. »Der Schlüssel, der bei der Karte war! Versucht es, noch ist Zeit!«