Mitten in das Geschrei und Jammern brach der Drache über sie herein. Er schwang sich zur Brücke herab – und sah sich überlistet. Die Brücke war verschwunden, und seine Feinde saßen drüben auf einer Insel im tiefen Wasser – zu tief, zu dunkel und zu kalt für einen Drachen. Hätte er sich hineingestürzt, so würde sich ein solcher Dampf erhoben haben, daß das ganze Land ringsum für Tage in dichtem Nebel versunken wäre. Aber der See war mächtiger als Smaug. Sein tiefes Wasser hätte die Feuerglut des Drachen gelöscht, ehe er hinüber gelangte.
Brüllend kehrte er um und flog über die Stadt. Ein Hagel dunkler Pfeile prasselte ihm entgegen. Sie klirrten gegen seine Schuppen und Juwelen, entzündeten sich in Smaugs vernichtendem Atem und fielen brennend und aufzischend in den See, ein Feuerwerk, wie man es sich prächtiger nicht vorstellen kann. Das Schwirren der Bogensehnen und das Schrillen der Trompeten machten Smaug blind vor Wut und Zorn. Keiner hatte jahrhundertelang gewagt, ihm eine offene Schlacht zu liefern.
Und wenn jener Mann mit der grimmigen Stimme nicht gewesen wäre (Bard war sein Name), so hätte es auch jetzt keiner gewagt. Bard rannte umher und schrie den Bogenschützen Mut zu. Er zwang den Meister, daß er ihnen befahl, bis zum letzten Pfeil zu kämpfen.
Feuer schoß dem Drachen aus dem Maul. Für eine Weile kreiste er hoch in der Luft und erleuchtete den ganzen See. Die Bäume an den Ufern schimmerten wie Kupfer und Blut. Ihre dunklen Schatten irrten gespenstisch am Boden. Dann brach Smaug geradewegs in den Pfeilhagel hinein, tollkühn in seiner Wut, und hatte nicht acht, ob sein Schuppenpanzer den Menschen zugekehrt war oder nicht: Sein einziger Gedanke war, die Stadt in Brand zu setzen.
Feuer sprang von den Strohdächern und von den Balkenenden auf, während Smaug sich immer von neuem herabstürzte, wendete und zurückkehrte. Was nützte es, daß alle Dächer mit Wasser begossen wurden, ehe er kam. Abermals flogen die Wassereimer hundert Hände entlang, wo immer ein Brand ausbrach. Aber immer wieder kehrte der Drache zurück. Ein Schlag mit seinem Schwanz, und die große Halle stürzte krachend zusammen. Hoch sprang die nicht mehr zu erstickende Flammensäule in die Nacht. Noch ein Angriff und noch einer: Der Feuersturm erfaßte ein Haus nach dem anderen, und es krachte zusammen. Kein Pfeil hielt Smaug zurück, keiner verletzte ihn mehr als ein Mückenstich drüben in den Sümpfen.
Schon sprangen an allen Seiten der Inselstadt die Menschen ins Wasser. Frauen und Kinder flüchteten in die Lastboote des Markthafens. Waffen wurden fortgeworfen. Kummer und Trauer herrschten, wo vor noch gar nicht langer Zeit die alten Lieder über die Zwerge und die kommenden frohen und heiteren Zeiten erklungen waren. Jetzt verfluchten sie die Zwerge. Der Meister aber flüchtete zu seinem großen, vergoldeten Boot und hoffte, in der allgemeinen Verwirrung davonrudern und sich in Sicherheit bringen zu können. Bald würde die ganze Stadt vernichtet sein, heruntergebrannt bis auf den dunklen Spiegel des Sees.
Das jedenfalls war Smaugs Absicht. Er hatte nichts dagegen, daß sie in ihre Boote kletterten. Das würde eine schöne Jagd geben! Oder er würde sie auf dem See aushungern. Gingen sie aber an Land, so würde er schon wissen, was er zu tun hatte. Den ganzen Uferwald würde er in Brand setzen, Feld und Weideland ausdorren. Gerade jetzt aber betrieb er die Vernichtung der Stadt wie einen Sport. Seit Jahren hatte ihm nichts mehr solchen Spaß gemacht.
Aber da hielt immer noch eine Schar Bogenschützen zwischen den brennenden Häusern stand. Ihr Führer war Bard mit der grimmigen Stimme und dem steinernen Gesicht. Obgleich seine Freunde ihn wegen der prophezeiten überschwemmungen und vergifteten Fische verlacht und verspottet hatten, kannten sie doch seinen Wert und seinen Mut. Einer seiner Vorfahren war Girion, Fürst von Dal, dessen Frau und Kind auf dem Eiligen Wasser dem Untergang entronnen waren. Jetzt schoß er mit einem großen Eibenbogen, bis alle seine Pfeile – ein einziger ausgenommen – verschossen waren.
Dicht neben ihm prasselten die Flammen. Seine Kameraden verließen ihn. Er spannte den Bogen zum letzten Male.
Plötzlich flatterte aus dem Dunkel etwas auf seine Schulter. Er erschrak – aber es war nur eine alte Drossel. Furchtlos ließ sie sich dicht neben seinem Ohr nieder und brachte seltsame Nachricht. Bard wunderte sich, daß er die Sprache der Drossel verstehen konnte. Aber er war ja ein Sohn von Dal.
»Warte«, sagte sie zu ihm. »Der Mond kommt herauf Schau auf die linke Seite von Smaugs Brust, wenn er über dir kreist!« Und während Bard staunend zuhörte, erzählte sie ihm, was im Berg geschehen und was dort oben gesprochen worden war.
Dann zog Bard die Bogensehne bis ans Ohr. Der Drache flog niedrig kreisend zurück, und als er herankam, erhob sich der Mond über dem Ostufer und versilberte Smaugs gewaltige Schwingen.
»Pfeil«, sagte der Bogenschütze, »schwarzer Pfeil, ich habe dich als letzten aufgespart. Du hast nie gefehlt, immer habe ich dich wiedergefunden. Ich habe dich von meinem Vater erhalten, und auch er erhielt ihn als Erbe aus alten Tagen. Wenn du wirklich aus den Schmieden des wahren Königs unter dem Berg kommst, so flieg jetzt, und Glück sei mit dir!«
Der Drache schoß tiefer denn je herab, und als er sich wandte, versprühte seine untere Panzerseite im Mondlicht weißes Edelsteingeglitzer – aber ein einzelner Fleck blieb stumpf Der große Eibenbogen schwirrte, und der schwarze Pfeil verließ in gradem Flug die Sehne, geradewegs hinauf zu jenem stumpfen Fleck in der linken Brustseite, über dem sich die Vordertatze zum Schlag erhoben hatte. Der Pfeil schlug ein – und Widerhaken, Schaft und Feder verschwanden, so scharf war sein Flug. Mit einem Schrei, der Menschen ertauben ließ, Bäume fällte und Steine zersplitterte, schoß Smaug feuerspeiend in die Höhe, überschlug sich und krachte von oben zu Tode getroffen herab.
Mitten in die Stadt fiel der Drache. In seinem Todeskampf schlug er Esgaroth in funkensprühende Trümmer. Der See brach herein. Eine gewaltige Dampfwolke erhob sich, weiß vor der tiefen Finsternis unter dem Mond. Ein Zischen, ein aufschießender Wirbel – dann war Stille. Und dies war das Ende von Smaug und Esgaroth, nicht aber von Bard.
Der Mond stieg höher und höher, und der Wind blies laut und kalt. Er drehte seltsam verzwirnte Wolkensäulen und jagende Felsen aus dem weißen Nebel, trieb ihn fort nach Westen und zerfetzte ihn über den Sümpfen am Rande des Nachtwaldes. Wie schwarze, kleine Pünktchen trieben zahlreiche Boote über den See, und der Wind trug die Stimmen der Menschen von Esgaroth über das Wasser, die ihre verlorene Stadt, ihr Hab und Gut und ihre zerstörten Häuser beklagten. Indessen war trotz allem Anlaß genug, dankbar zu sein wenn man es auch gerade in diesem Augenblick nicht von ihnen erwarten konnte. Mindestens drei Viertel der Stadtbevölkerung war mit dem Leben davongekommen.
Ihre Wälder, Weiden und Felder, das Vieh und die meisten ihrer Boote waren heil geblieben. Und der Drache war tot. Was das bedeutete, hatten sie noch gar nicht begriffen.
Am westlichen Ufer sammelten sich die jammernden Menschen. Sie froren im kalten Wind. Ihre erste Verbitterung machte sich Luft gegen den Meister, der die Stadt allzu rasch verlassen hatte, während mancher noch bereit war, sie zu verteidigen.
»Er mag einen gescheiten Kopf haben, was Geschäfte angeht, besonders für seine eigenen«, murrten einige. »Aber wenn es ernst wird, dann ist kein Verlaß auf ihn.« Und sie priesen Bards Mut und seinen letzten wunderbaren Schuß.
»Wenn er bloß nicht gefallen wäre«, klagten alle. »Wir würden ihn zum König machen. Bard, der Drachenschütze, aus dem Geschlecht von Girion! Welch ein Jammer, daß er tot ist!«