Bald zog das Gewitter nach Südost ab. Die Fledermauswolke kam, tiefer fliegend, über die Bergseite, schwirrte über ihre Köpfe hinweg, löschte das Tageslicht aus und erfüllte alle mit Furcht und Schrecken.
»Zum Berg!« schrie Bard. »Zum Berg! Nehmt eure Plätze ein, solange noch Zeit ist!«
Auf dem südlichen Ausläufer, in seinen niedrigeren Hängen und den Felsen an seinem Fuße setzten sich die Elben fest. Auf dem östlichen Ausläufer rüsteten sich Menschen und Zwerge. Aber Bard und einige der gewandtesten Menschen und Elben erkletterten den Grat des Ostausläufers und spähten nach Norden aus. Da sahen sie die Lande vor dem Berg schwarz von heraneilenden Orkmassen. Es dauerte gar nicht lange, und die Vorhut wirbelte um den Bergausläufer und stürzte nach Dal hinein. Es waren die schnellsten Wolfsreiter. Ihr Geschrei und Geheul zerriß die Luft. Einige wenige mutige Männer traten ihnen entgegen und leisteten schwachen Widerstand. Viele von ihnen fielen, ehe der Rest sich zurückzog und nach beiden Seiten floh. Wie Gandalf gehofft hatte, sammelte sich das Heer hinter der aufgehaltenen Vorhut und stürmte nun wütend ins Tal, zwischen die Bergflanken, wo sie den Feind erwarteten. Ihre roten und schwarzen Banner waren zahllos, wie eine Flut brandeten sie daher, voll rasender Wut und ohne Ordnung.
Es war eine schreckliche Schlacht, das schlimmste Erlebnis, das Bilbo je widerfuhr und das er zeit seines Lebens am meisten haßte. Aber es muß gesagt werden, daß es ein Erlebnis blieb, auf das Bilbo sehr stolz war. Und noch lange erzählte er nur zu gern davon, obgleich er eine ganz belanglose Rolle darin spielte. Gleich zu Anfang streifte er den Ring auf den Finger und verschwand aus dem Blickfeld allerdings nicht aus der Gefahr. Ein Zauberring dieser Art ist durchaus kein ausreichender Schutz gegen einen Orkangriff. Er schützt nicht vor schwirrenden Pfeilen und wild geworfenen Speeren. Aber er hilft, dem Schlimmsten aus dem Weg zu gehen, und bewahrt euren Kopf davor, Ziel für die Schwertstreiche eines Orks zu sein.
Die Elben griffen zuerst an. Ihr Haß gegen die Orks war ein kalter, bitterer Haß. Ihre Speere und Schwerter leuchteten im Zwielicht mit schneidend kalter Flamme – so tödlich war der Haß der sie führenden Hände. Sobald das Heer ihrer Feinde dicht im Tal aufgerückt war, schickten sie einen Pfeilhagel hinein. Jeder abgeschossene Pfeil glühte auf wie ein Feuerstreif. Den Pfeilen folgten tausend Speerträger, die zum Angriff übergingen. Schreie gellten ohrenbetäubend. Die Felsen schwärzten sich von Orkblut.
Gerade als sich die Orks von dem unerwarteten Angriff erholten und die Elben zum Stehen gekommen waren, erhob sich von der anderen Talseite ein tiefkehliges Gebrüll. Mit dem Ruf »Moria!« und »Dain, Dain!« griffen die Zwerge der Eisenberge, ihre Zweihänder schwingend, ein. Neben ihnen bahnten sich die Menschen vom See ihren Weg mit blitzenden Langschwertern.
Entsetzen ergriff die Orks. Und kaum hatten sie sich umgewandt, um diesem neuen Angriff zu begegnen, als die Elben mit frischen Scharen auf sie einstürmten. Schon flohen zahlreiche Orks am Fluß zurück, um der Falle zu entgehen. Viele ihrer eigenen Wölfe fielen über sie her und zerrissen Tote und Verwundete. Der Sieg schien nahe, als oben auf den Höhen Kampfgeschrei erklang.
Orks hatten das Gebirge von der anderen Seite erstiegen, und schon hingen sie zahlreich in den steilen Hängen über dem Eingangstor. Tollkühn strömten andere Scharen herab, beachteten nicht die Todesschreie der Orks, die von Klippen und Steilhängen abstürzten. Sie kamen die Pfade vom Hauptmassiv herunter und griffen die Bergschultern von oben her an. Die Verteidiger aber waren nicht zahlreich genug, um diese Pfade lange sperren zu können. Das Blatt schien sich zu wenden. Es war nur die erste schwarze Flut, die zurückgeschlagen wurde.
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Orks sammelten sich wieder im Tal. Mit hechelnden Zungen stürzten Warge vor, dicht gefolgt von der Leibwache Bolgs, großgewachsenen Orks mit krummen Stahlsäbeln. Bald überzog Dunkelheit den stürmischen Himmel, währenddessen schwirrten große Fledermäuse den Elben und Menschen um Köpfe und Ohren oder setzten sich Vampiren gleich auf die Geschlagenen. Jetzt mußte Bard den Ostausläufer verteidigen. Schon zogen seine Kampfgefährten sich langsam zurück, während drüben auf dem südlichen Ausläufer in der Nähe des Wachpostens am Rabenberg die Elbenfürsten, um ihren König geschart, Widerstand leisteten.
Plötzlich entstand ein Geschrei, und vom großen Tor erklang Trompetengeschmetter. Sie hatten Thorin vergessen! Thorin Eichenschild hatte Hebebäume von innen ansetzen lassen. Krachend stürzte ein Teil der Mauer in die schützende Wasserfläche, und hinaus rannte der König unter dem Berg, und seine Gefährten folgten ihm. Mantel und Kapuze hatten sie zurückgelassen. Sie trugen glänzende Rüstungen, und zornig glühten ihre Augen. In der Dunkelheit schimmerte die Rüstung des großen Zwergenkönigs wie Gold in sterbendem Feuer.
Von oben warfen die Orks Felsbrocken herab. Aber die Zwerge hielten stand, eilten am Wasserfall hinab und stürzten sich in die Schlacht. Wölfe und Reiter fielen oder flohen vor ihnen. Thorin schwang seine Axt mit mächtigen Streichen. Nichts schien ihm etwas anhaben zu können.
»Hierher! Hierher! Elben und Menschen! Hierher, o meine Brüder!« schrie er, und seine Stimme klang wie ein Hornruf. Alle Schlachtordnung mißachtend, stürzten ihm Dains Zwerge zu Hilfe. Herab kamen auch zahlreiche Menschen der Seestadt. Bard konnte sie nicht halten. Und von der anderen Seite schlossen sich ihm viele Speerträger der Elben an. Noch einmal wurden die Reihen der Orks im Tal zusammengeschlagen. Dunkel und häßlich füllten ihre Toten die Ebenen von Dal. Längst waren die Warge zum Teufel gejagt, und Thorin griff jetzt Bolgs Leibwache an. Aber ihre Reihen konnte er nicht durchbrechen.
Hinter dem angreifenden Thorin lagen viele Menschen und Zwerge tot zwischen den erschlagenen Orks – und mancher Elb, der noch lange ein fröhliches Leben in den Wäldern hätte führen sollen. Und da, wo das Tal breiter wurde, kam Thorins Angriff gar zum Stehen. Seiner Mitstreiter waren zu wenige, seine Flanken offen. Schon mußten die Stürmenden den Gegensturm auf sich anbranden sehen. Sie wurden zusammengedrängt und auf allen Seiten von den umkehrenden Orks und Wölfen eingeschlossen und angegriffen. Die Leibwache Bolgs warf sich Thorin heulend entgegen und brach in seine Reihen ein, so wie Küstenwellen über Sandklippen hinwegspülen. Thorins Freunde konnten ihm nicht helfen, denn auch auf dem Berg wurde der Angriff mit neuer Wut aufgenommen. überall wurden Menschen und Elben langsam Schritt um Schritt zurückgedrängt.
Auf all dies blickte Bilbo mit tiefer Betrübnis hinab. Er hatte bei den Elben auf dem Rabenberg Stellung bezogen, teils, weil er von dort leichter entkommen konnte, und teils (und das war mehr der Tukseite in ihm zuzuschreiben), weil, wenn es schon um ein verzweifeltes Aushalten ging, er lieber den Elbenkönig verteidigte. Auch war Gandalf dort. Er saß auf dem Felsboden und schien in tiefe Gedanken versunken. Vermutlich bereitete er einen letzten Zauberstreich vor, ehe das Ende kam.
Und das schien nicht fern zu sein. Nicht mehr lang, dachte Bilbo, und die Orks erobern das Eingangstor, und wir werden alle zusammengehauen, davongejagt oder gefangen. Man möchte heulen, wenn man bedenkt, was wir durchgestanden haben. Ich wollte, der alte Smaug wäre auf diesem verwünschten Schatz sitzen geblieben. Das wäre mir lieber, als daß diese widerlichen Kreaturen ihn bekommen und der arme alte Bombur und Balin, Fili und Kili und alle die andern ein schlimmes Ende finden, und Bard auch und die Menschen vom See und die fröhlichen Elben. O Jammer! Ich habe manches Lied von mancher Schlacht gehört, und ich habe immer gedacht, daß auch eine Niederlage ruhmreich sein kann. Aber sie scheint doch sehr ungemütlich zu sein, um nicht zu sagen betrüblich. Ach, wenn ich nur aus allem schon heraus wäre!