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»Eine Nachricht?« fragte der arme Mister Beutlin ganz verwirrt.

»Du lieber Himmel!« antwortete Gandalf. »Ich kenne Euch nicht wieder. Habt Ihr denn den Kaminsims noch nicht abgestaubt?«

»Was hat das damit zu tun? Ich habe genug mit dem Abwasch für vierzehn zu schaffen gehabt!«

»Hättet Ihr den Kaminsims abgestaubt, so hättet Ihr dies hier unter der Uhr gefunden«, sagte Gandalf und übergab Bilbo einen Brief (der natürlich auf Bilbos eigenem Briefpapier geschrieben war). Da war folgendes zu lesen:

»Thorin & Companie grüßen den Meisterdieb Bilbo! Für Eure Gastfreundschaft unseren aufrichtigen Dank, und für Euer Angebot beruflicher Hilfeleistung unsere freundliche Annahme. Bedingungen: Auszahlung bei Ablieferung. Der Betrag darf den 14. Teil des Gesamtgewinns, wenn es überhaupt welchen geben sollte, erreichen, darf ihn aber keinesfalls überschreiten, alle Reisekosten in jedem Falle garantiert; Begräbniskosten werden von uns oder unseren Vertretern getragen, falls sich die Notwendigkeit ergeben sollte und die Angelegenheit nicht auf andere Weise geregelt werden kann. Da wir es nicht für notwendig erachten, Eure hochgeschätzte Ruhe zu stören, sind wir vorausgegangen, um unsere Vorbereitungen zu treffen, und werden Eure geachtete Persönlichkeit beim Gasthaus, Zum grünen Drachen‹ zu Wassernach Punkt elf erwarten. Hoffend, daß Ihr pünktlich sein werdet, haben wir die Ehre zu verbleiben

Eure sehr verbundene Thorin & Co.«

»Das läßt Euch gerade noch zehn Minuten. Ihr müßt laufen«, bemerkte Gandalf.

»Aber –«, sagte Bilbo.

»Keine Zeit dafür«, sagte der Zauberer.

»Aber ich –«, fing Bilbo noch einmal an.

»Auch dafür keine Zeit! Ihr müßt losgehen.«

Bis zum Ende seiner Tage konnte Bilbo sich nicht erinnern, wie er herausgekommen war, ohne Hut, ohne Spazierstock und ohne Geld, ohne irgend etwas, das er gewöhnlich mit sich nahm, wenn er ausging. Sein zweites Frühstück ließ er halb beendet und das Geschirr ungespült. Die Schlüssel drückte er Gandalf in die Hand, und dann rannte er, so schnell wie seine bepelzten Füße ihn den Weg hinuntertrugen, an der großen Mühle vorbei über das Wasser und dann eine ganze Meile weiter oder mehr.

Er schnaufte mächtig, als er Wassernach genau auf den Glockenschlag elf erreichte. Und dabei entdeckte er, daß er ohne Taschentuch unterwegs war!

»Bravo!« sagte Balin, der an der Wirtshaustür nach ihm Ausschau gehalten hatte.

Gerade in diesem Augenblick kamen die anderen um die Wegkehre vom Dorf her. Sie saßen auf Ponys, und jedes Pony war bepackt mit allen möglichen Gepäckstücken, Paketen, Bündeln und Ausrüstungsgegenständen. Es war auch ein sehr kleines Pony dabei, augenscheinlich für Bilbo.

»Auf, ihr zwei, und los geht’s!« sagte Thorin. »Es tut mir schrecklich leid, entgegnete Bilbo, »aber ich bin ohne Hut gekommen, habe mein Taschentuch vergessen und kein Geld eingesteckt. Um genau zu sein: Ich habe euren Brief erst nach 10.45 Uhr bekommen.«

»Ihr braucht nicht genau zu sein«, sagte Dwalin, »und sorgt Euch nicht deshalb! Ihr werdet auch ohne Taschentücher und ohne manches andere zurechtkommen, bevor das Ende der Reise erreicht ist. Und was den Hut angeht, so habe ich einen überzähligen Kapuzenmantel in meinem Gepäck.«

So nahm die Reise ihren Anfang. Sie trotteten mit ihren beladenen Ponys an einem schönen Morgen kurz vor dem 1. Mai vom Wirtshaus los. Bilbo trug eine dunkelgrüne Kapuze (sie war ein bißchen verschossen) und einen dunkelgrünen Mantel, den Dwalin ihm geliehen hatte. Beides war ein bißchen weit für ihn, und er sah ziemlich komisch darin aus. Was hätte sein Vater Bungo gesagt – ich wage nicht, es auszudenken. Bilbos einzige Beruhigung war, daß er nicht mit einem Zwerg verwechselt werden konnte, denn er trug keinen Bart.

Sie waren noch nicht sehr lang geritten, als Gandalf auf einem prächtigen weißen Pferd erschien. Er hatte eine Masse Taschentücher mitgebracht und Bilbos Pfeife und Tabak dazu. So ritt die Gesellschaft in bester Stimmung weiter. Man erzählte einander Geschichten und sang Lieder. Den ganzen Tag über wurde geritten, ausgenommen natürlich, wenn man der Mahlzeiten wegen anhielt. Diese jedoch gab es durchaus nicht so oft, wie Bilbo es gern gesehen hätte. Aber immerhin kam es ihm vor, als ob Abenteuer schließlich doch nicht so schlimm wären, wie er angenommen hatte.

So ging es eine ganze Weile. Ein ausgedehnter Landstrich mußte durchquert werden, der von einem achtbaren Volk bewohnt wurde, von Menschen, Hobbits, Elben und was weiß ich von wem sonst noch.

Die Wege waren gut, es gab auch ein paar Gasthäuser, und hin und wieder traf man einen Zwerg, einen Kesselflicker oder einen Bauern, die ihren Geschäften nachgingen. Aber nach einer gewissen Zeit gelangten sie in eine Gegend, wo die Leute sonderbar sprachen und Lieder sangen, die Bilbo nie zuvor gehört hatte. Die Gasthäuser wurden rar und waren gar nicht gut, und die Wege wurden immer schlechter. Höher und höher erhoben sich die Berge. Auf einigen standen Burgen, denen man ansah, daß sie zu bösen Zwecken erbaut worden waren. Auch das Wetter, das bisher so schön gewesen war, wie es der Mai sonst nur in fröhlichen Geschichten ist, schlug um, und es wurde geradezu scheußlich.

»Dabei haben wir morgen den ersten Juni«, brummte Bilbo, während er hinter den anderen in einer sehr schmutzigen Spur einherpatschte. Teezeit war vorüber. Es goß in Strömen, und es hatte den ganzen Tag über schon so gegossen. Von der Kapuze tropfte es ihm in die Augen, der Mantel hatte sich voll Wasser gesogen, das Pony war müde und stolperte über die Steine, und die anderen waren viel zu brummig, um zu sprechen. Ich bin sicher, daß der Regen bis in die Kleider gegangen ist und in die Verpflegungstaschen, dachte Bilbo. Verflixte Meisterdieberei und alles, was damit zu tun hat! Ich wünschte, ich wäre zu Hause in meiner hübschen Höhle beim Kaminfeuer, wenn gerade der Kessel anfängt zu summen! Es war nicht das letzte Mal, daß er sich das wünschte.

Die Zwerge trotteten weiter, keiner drehte sich um, keiner nahm vom Hobbit Notiz. Hinter den grauen Bergen mußte die Sonne untergegangen sein, denn es wurde dunkel. Wind kam auf, und die Weiden am Flußufer beugten sich und seufzten. Ich weiß nicht, was für ein Fluß es war. Er floß sehr rasch und war erdigrot; die Regengüsse der letzten Tage hatten ihn stark anschwellen lassen. Er kam herab aus dem Gebirge, das vor ihnen lag.

Es war beinahe Nacht. Der Wind riß die grauen Wolken auf, und zwischen den fliegenden Wolkenfetzen erschien der Mond über den Bergen. Sie hielten an, und Thorin brummte etwas von Abendessen und »wo sollen wir einen trockenen Fleck zum Schlafen finden?«

Bisher hatten sie nicht bemerkt, daß Gandalf verschwunden war. Er war den ganzen Weg bei ihnen gewesen. Kein Wort hatte er darüber verlauten lassen, ob er am Abenteuer teilzunehmen gedachte oder ob er ihnen nur für eine Weile Gesellschaft leisten wollte. Er hatte am meisten gegessen, am meisten erzählt und am meisten gelacht. Und nun war er einfach nicht mehr da. »Ausgerechnet wenn ein Zauberer am nützlichsten sein könnte«, maulten Dori und Nori (die des Hobbits Ansichten über regelmäßige, zahlreiche und ausführliche Mahlzeiten teilten).

Endlich beschlossen sie, daß sie ihr Lager hier an Ort und Stelle errichten wollten. Sie zogen zu einer Baumgruppe, unter der es zwar ein bißchen trockener war, aber der Wind schüttelte den Regen von den Blättern, und das Drippdripp war höchst störend und unerfreulich. Auch schien das Unglück ins Feuer q. gefahren zu sein. Zwerge können überall und aus allem Feuer machen, mit Wind oder ohne Wind. Aber in dieser Nacht gelang es ihnen nicht. Selbst Oin und Gloin nicht, die darin besonders gut waren.

Dann bekam eines der Ponys vor einem Nichts einen Schreck und ging durch. Es sprang in den Fluß, bevor sie es fangen konnten. Und bevor sie es wieder herausholen konnten, waren Fili und Kili beinahe ertrunken, und das ganze Gepäck, das das Pony getragen hatte, wurde vom Strom weggerissen. Ausgerechnet ihre Verpflegung war darin; es blieb ihnen sehr wenig für das Abendessen und noch weniger für das Frühstück übrig.