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„Den Jokus?“ Der Kleine Mann war perplex.

„Fernando ist eifersüchtig. Weil er glaubt, der Jokus sei in mich verliebt.“

„Das stimmt doch auch!“ rief Mäxchen.

Da wurde der Zauberkünstler rot wie eine Blutapfelsine und hätte sich, wenn er’s gekonnt hätte, auf der Stelle fortgehext. Oder in eine Zahnbürste verwandelt. Doch das können nur ganz echte Zauberer.

Fräulein Rosa Marzipan blickte ihn mit funkelnden Augen an. „Ist das wahr?“ fragte sie und stand langsam auf. „Ist das wahr?“ wiederholte sie drohend.

„Jawohl“, bemerkte der Jokus finster und betrachtete seine Schuhspitzen, als habe er sie noch nie gesehen.

„Ich könnte dir die Ohren abreißen“, schimpfte sie. „Warum hast du mir das nicht gesagt, du Schurke? Warum bist du nicht längst vor mir in die Knie gesunken, du Elender? Warum hast du mich nicht angefleht, dir mein Marzipanherz zu schenken, du Faultier?“

Der Professor sagte: „Ich werde dir gleich die Hosen straffziehen!“

Da warf sie die Arme hoch und rief begeistert: „Endlich! Das erste liebe Wort!“ Dann fiel sie ihm um den Hals, daß die Teller klirrten.

Mäxchen rieb sich wieder einmal die Hände.

Nach fünf Minuten flüsterte Rosa Marzipan: „Schade um jeden Tag, den ich’s nicht wußte! Wir haben viel Zeit verloren.“

„Mach dir nichts draus“, sagte der Jokus. „Du bist ja noch jung.“

„Freilich“, meinte sie. „Und Marzipan hält sich lange frisch.“

Nach weiteren fünf Minuten hüstelte jemand neben ihnen. Es war der Oberkellner. „Einen schönen Gruß von Mäxchen.“ „Wo ist er denn?“ riefen beide wie aus einem Munde. Sie wurden vor Schreck weiß wie das Tischtuch.

„Oben im Zimmer. Ich mußte ihn im Lift hinaufbringen. Er sitzt im Blumentopf auf dem Balkon und sei sehr vergnügt, läßt er ausrichten.“

„Schrecklich“, murmelte der Professor, als der Oberkellner gegangen war. „Wir haben überhaupt nichts gemerkt. Ich bin ein Rabenvater.“

„Höchste Zeit, daß jemand auf euch beide aufpaßt!“ erklärte sie. „Ist der Posten noch frei? Ich wüßte wen.“

„Hoffentlich ist es niemand, der auf dem Trampolin herumhüpft“, sagte er.

Sie lächelte. „Ich habe nicht die Absicht, mein Leben lang in der Luft Purzelbäume zu schlagen. Ich bewerbe mich um den Posten, Herr Professor.“

„Sie sind engagiert“, gab er zur Antwort.

DAS ELFTE KAPITEL

Mäxchen im Maiglöckchentopf / Frau Holzer muß ein paarmal niesen / Beim Facharzt für Unzufriedene / Der Kleine Mann wächst und wird ein Riese / Er sieht sich im Spiegel / Der zweite Zaubertrank / Ein völlig normaler Knabe.

Inzwischen saß also der Kleine Mann auf dem Balkon in einem Blumentopf. Es war ein Topf aus weißem Steingut. Der Hotelgärtner hatte am Morgen zwanzig Maiglöckchen eingepflanzt, weil er wußte, daß sie Mäxchens Lieblingsblumen waren.

„Gibt es ein Gedicht über den Maiglöckchenduft?“ hatte der Junge früher einmal gefragt. Aber weder der Jokus noch der Gärtner kannten eines.

„Wahrscheinlich wäre es so schwierig wie der vierfache Salto“, hatte Jokus vermutet.

„Den vierfachen Salto gibt’s doch gar nicht!“ hatte der Kleine Mann gerufen.

„Eben“, hatte der Jokus geantwortet. „Das ist es ja.“

Nun saß der Kleine Mann, wie gesagt, im Blumentopf, lehnte an einem der zartgrünen Stengel, blickte in die weißen Maiglöckchenwipfel empor, schnupperte den sogar für Dichter unbeschreiblichen Duft und dachte über das Leben nach. Man tut das manchmal. Auch als gesunder Junge. Auch als Kleiner Mann.

Er dachte an seine Eltern und den Eiffelturm, an den Jokus und Fräulein Marzipan, an die vertauschten Fräcke und den Clown Fernando, an Galoppinskis zerbrochene Peitsche und Herrn Magers Hosenträger, an den lauten Zirkus und die leisen Maiglöckchen und . und . und . Und dann schlief er ein und träumte.

Er lief, klein wie er war, im Traum durch eine endlos lange Geschäftsstraße und wußte sich vor lauter Schuhen und Stiefeln nicht zu retten. Es war lebensgefährlich. Die Passanten hatten es eilig, sahen ihn nicht, trabten mit großen Schritten an ihm vorbei und über ihn weg, und er sprang aus Angst vor ihren Sohlen und Absätzen in wildem Zickzack übers Pflaster. Manchmal preßte er sich dicht an die Hauswand, um ein bißchen zu verschnaufen. Dann lief er weiter. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Wenn man ihn zertreten hätte, wäre es keinem Menschen aufgefallen. Und der Jokus hätte sein Mäxchen vergeblich gesucht. Vielleicht wäre ein Straßenkehrer mit dem Besen gekommen und hätte ihn mit Zeitungspapier und Zigarettenstummeln auf die Schaufel gefegt und in die Müllkarre geworfen. Welch klägliches und frühes Ende für einen jungen und strebsamen Artisten!

Da! Schon wieder kamen ein Paar schwere Stiefel des Wegs. Im letzten Moment konnte der Kleine Mann beiseite springen! Doch dadurch wäre er fast unter den spitzen Absatz eines Damenschuhs geraten. In seiner Verzweiflung machte er einen Luftsprung und kriegte den Saum eines Mantels zu packen. Er kletterte den Mantel hoch bis zur Schulter hinauf und setzte sich auf einen breiten Kragen.

Der Kragen gehörte zu einem Flauschmantel. Und der Flauschmantel gehörte einer Frau. Sie bemerkte nicht, daß sie nicht mehr allein war, und so konnte Mäxchen sie in Ruhe betrachten. Es war eine ältere Frau. Ihr Gesicht sah gemütlich aus. Sie schien ein Marktnetz zu tragen und allerlei eingekauft zu haben. Manchmal blieb sie vor einem der Schaufenster stehen und musterte die Auslagen. Einmal mußte sie niesen und sagte laut zu sich selber: „Gesundheit, Frau Holzer!“ Mäxchen hätte beinahe gelacht.

Als sie vor einem Wäschegeschäft stehenblieb, um die Preise der Tischtücher, Handtücher, Taschentücher, Frottiertücher und Servietten zu begutachten, hatte der Kleine Mann Langeweile und las deshalb die Schilder an der Haustür neben dem Schaufenster. Da gab es eine Waschanstalt für schmutzige Kinderhände, ein Erholungsheim für halbtote Lebkuchen und das Schild eines Arztes, das der Junge atemlos anstarrte. War denn das zu glauben? Auf dem Schild stand:

In diesem Augenblick nieste die Frau noch einmal. „Es wird schönes Wetter“, meinte sie, „die Schöpse niesen!“ Und schon wieder hielt sie seufzend die Luft an, und wieder machte sie: „Hatschi!“

Da sagte der Kleine Mann: „Gesundheit, Frau Holzer!“ „Danke vielmals“, antwortete sie fröhlich. Dann stutzte sie, drehte sich nach allen Seiten um und fragte: „Wer hat mir denn da eben Gesundheit gewünscht?“

„Ich!“ rief Mäxchen fidel. „Aber Sie können mich nicht sehen, weil ich nur fünf Zentimeter groß bin und auf Ihrem Mantelkragen sitze.“

„Fall bloß nicht runter!“ sagte sie besorgt und trat dicht an das spiegelnde Schaufenster heran. „Ich glaube, jetzt seh ich dich. Junge, Junge, bist du aber winzig! So etwas gibt’s nicht alle Tage! Willst du mit mir nach Hause kommen? Hast du Hunger? Bist du müde? Tut dir der Bauch weh? Soll ich dir bei mir vielleicht eine Wärmflasche machen?“

„Nein“, erklärte Mäxchen. „Sie sind furchtbar nett, aber mir fehlt nichts. Ich möchte nur, daß Sie mich nebenan in die erste Etage tragen und links bei dem Doktor Wachsmuth klingeln. Klingelknöpfe sind für mich zu hoch.“

„Wenn’s weiter nichts ist!“ meinte Frau Holzer resolut, marschierte in den Hausflur, stapfte treppauf und drückte im ersten Stock auf die Klingel. Dabei las sie das Schild. „Was es so alles gibt“, sagte sie. „Ein Facharzt für Unzufriedene?“ Sie lachte. „Der würde an mir nicht reich! Von mir aus könnte der Mann ...“

Doch bevor sie mitteilen konnte, was der Medizinalrat von ihr aus könne, öffnete sich die Tür, und sie erblickten einen alten Herrn im weißen Arztkittel und mit ungeheuer viel Bart im Gesicht. Er musterte Frau Holzer kurz vom Scheitel bis zur