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„Nanu“, sagte der Jokus. „Was ist denn passiert?“

Der Kleine Mann lächelte verlegen. „Ich bin mitten in der Nacht umgezogen.“

„Und warum?“

„Die alte Streichholzschachtel ist natürlich ganz etwas andres“, erklärte Mäxchen.

DAS SECHZEHNTE KAPITEL

Der Kleine Mann am eignen Herd / Ruhm strengt an / Und Ruhm macht müde / Der zweite Brief aus Pichelstein / Nürnberger Spielzeug / Ein Lied wird populär / Der Jokus macht eine schreckliche Entdeckung: Mäxchen ist spurlos verschwunden!

Das Geschenk des Königs Bileam und seiner zwei Sprößlinge war für die Fotoreporter wieder einmal, wie es so treffend heißt, ein gefundenes Fressen. Sie drängten sich mit ihren Apparaten ins Hotelzimmer, knipsten, was das Zeug hielt, und bescherten der Welt neue Bildserien mit prächtigen Unterschriften: ,Der Kleine Mann mit Schürze und Kochmütze am eignen Herd‘, ,Der Kleine Mann hält im neuen Schaukelstuhl Siesta‘, ,Der Kleine Mann vor dem Regal mit seiner Miniaturbücherei‘, ,Der Kleine Mann im Himmelbett aus Breganzona‘, ,Der Kleine Mann zum ersten Mal in einer Badewanne‘, ,Der Kleine Mann zeigt den Tauben Minna und Emma seine Gemächer‘ - es wollte kein Ende nehmen.

Als die nervenlosen Burschen mit ihren Kameras und Blitzlichtern schließlich verschwunden waren, zog sich Mäxchen ärgerlich an den Haaren und rief dreimal hintereinander: „Warum bin ich nicht der Leutnant Unsichtbar!“

„Ruhm strengt an“, bemerkte der Jokus. „Das gehört sich so. Außerdem werden wir die Fotos in ein Album kleben und nach Breganzona schicken. Da werden sich der König und die Königskinder sicher freuen.“

„Das machen wir“, sagte der Kleine Mann. „Aber die Einladung müssen wir vorläufig ablehnen. Ruhm strengt an.“ Dann schlüpfte er in seinen Trainingsanzug und kletterte eine Stunde auf dem schönen Waldemar herum. Danach legte er sich in die Streichholzschachtel, gähnte gewaltig und murmelte vorm Einschlafen: „Ruhm macht müde.“

Wenige Tage später kam ein zweiter Brief aus Pichelstein. Ferdinand Pichelsteiner, der Erste Vorsitzende des Turnvereins, schrieb dem hochverehrten Ehrenmitglied, daß das Dorf weder mit einem Mädchen noch einem Knaben in Mäxchens Größe dienen könne. Allerdings seien immer wieder einmal junge Ehepaare in die weite Welt gezogen. Was aus den meisten geworden sei, hieß es weiter,

Der Jokus faltete langsam den Brief zusammen und sagte: „Nimm’s nicht zu schwer, Kleiner!“

„Ach wo!“ meinte Mäxchen. Er saß in seinem niedlichen Wohnzimmer auf dem grünen Sofa und baumelte mit den Beinen. „Es wäre natürlich schön gewesen. Noch dazu jetzt, wo ich die Wohnung habe. Das Mädchen hätte in meinem Bett schlafen können. Denn in der Streichholzschachtel gefällt’s mir sowieso besser.“

„Das neue Bett ist doch viel bequemer.“

„Schon, schon“, sagte Mäxchen. „Aber es ist von deinem Bett zu weit weg.“

Habe ich eigentlich schon den Rechtsanwalt erwähnt, mit dem sich der Jokus in der Hotelhalle unterhalten hatte? Er war im Auftrag einer Nürnberger Spielzeugfabrik dagewesen. Sie hatten miteinander verhandelt. Sie hatten sich geeinigt und Verträge unterschrieben. Und eines Tages war es dann soweit. Die Nürnberger Fabrik schickte ein Päckchen mit zehn Streichholzschachteln.

Mit zehn Streichholzschachteln? Ja. Voller Streichhölzer? Nein. Sondern in jeder Schachtel lag auf weißer Watte ein Kleiner Mann! Zehn Kleine Männer, unserem Mäxchen zum Verwechseln ähnlich! In zehn Pyjamas, grau und blau gestreift, genau wie der Schlafanzug, den Mäxchen besonders gern hatte. Die zehn Mäxchen waren in den Gelenken beweglich. Man konnte sie aus den Schachteln herausnehmen und aufstellen. Man konnte sie wieder hineinsetzen. Man konnte sie langlegen, als ob sie schliefen.

Kurz und gut, es handelte sich um ein neues Spielzeug, das bald danach in allen Ländern und Geschäften, aber auch an der Zirkuskasse verkauft wurde und der Spielzeugfabrik viel Geld einbrachte. Aber nicht nur ihr, sondern auch dem großen Dieb und dem Kleinen Mann’. Sie waren mit acht Prozent am Umsatz beteiligt. Deswegen hatte ja der Jokus mit dem Nürnberger Rechtsanwalt in der Hotelhalle verhandelt. Denn der Professor Jokus von Pokus war nicht nur ein berühmter Zauberkünstler, sondern auch ein tüchtiger Geschäftsmann.

Das glaubt ihr nicht? Ihr denkt, ein tüchtiger Geschäftsmann wäre nicht beim Direktor Brausewetter geblieben, sondern - hast du was, kannst du - zu einem reicheren Zirkus abgewandert? Nun, auch ein tüchtiger Geschäftsmann darf zuweilen freundlich handeln. Sonst ist er eine zweibeinige Rechenmaschine und wird nicht nur den anderen, sondern auch sich selber eines Tages meterweit zum Halse heraushängen.

Von dem neuen Spielzeug hätte ich übrigens nicht so ausführlich erzählt, wenn nicht eine dieser verflixten Nürnberger Streichholzschachteln im nächsten Kapitel eine wichtige Rolle spielen würde. Aber habt noch ein bißchen Geduld. Denn ...

Denn zuvor möchte ich euch noch von einem Lied berichten, das um die gleiche Zeit entstand und sehr schnell populär wurde. Man konnte es auch als Schallplatte kaufen. Es wurde im Rundfunk gesungen, und in den Lokalen tanzte man danach. Die Musik hatte Romano Korngiebel, der Kapellmeister des Zirkusorchesters, komponiert. Wer am Text schuld war, weiß ich nicht. Der Titel hieß

Das Lied vom kleinen Mann

Ich habe sogar ein paar Strophen im Kopf behalten. Es begann folgendermaßen:

Was ist denn bloß geschehn?

Die Menschen stehn und reden, und jeder Mensch fragt jeden:

Haben Sie den Kleinen Mann gesehn?

Man fragt zehn Polizisten, die’s schließlich wissen müßten.

Drauf rufen alle zehn:

„Wen?“

So wurden alle möglichen Leute gefragt, ob sie den Kleinen Mann gesehen hätten. Bis es hieß:

Da ruft ’ne dicke Frau:

„Ich kenn ihn ganz genau!

Er schläft bis früh halbachtel in einer Streichholzschachtel.

Dann frühstückt er Kakao.

Er wiegt fünf Zentimeter, mißt achtundfünfzig Gramm und wechselt manchmal Briefe mit König Bileam.

Am Abend stiehlt der Knabe im Zirkus wie ein Rabe.

Doch gibt er Stück für Stück, wie sich’s gehört .“

Hier reißt mein Gedächtnisfaden wieder ab. Nur an den Schluß kann ich mich noch erinnern. Da hieß es, wer den Kleinen Mann sehen wolle, müsse sich außerordentlich beeilen, da er neuerdings und zusehends noch viel kleiner werde:

Ab Dienstag sieht ihn keiner mehr.

Er wird tagtäglich kleinerer.

Am Montag hat’s noch Zweck.

Doch am Dienstag, am Dienstag, am Dienstag ist er weg

,Am Dienstag ist er weg!‘ Diese letzte Zeile des Liedes sollte sehr bedeutungsvoll werden. Und zwar auf so schlimme Weise bedeutungsvoll, daß ich mich kaum getraue, es niederzuschreiben.

Bitte erschreckt nicht zu sehr! Ich kann’s nicht ändern, und ich darf s nicht verschweigen. Es hilft alles nichts. Wie fange ich’s nur an? Haltet euch am Stuhl oder an der Tischkante oder am Kopfkissen fest! Und zittert nicht zu sehr! Das müßt ihr mir versprechen. Sonst erzähle ich’s lieber nicht. Einverstanden? Nicht zu sehr zittern! Also:

Am Dienstag war er weg!

Wer?

Mäxchen war weg!

Er war wie vom Erdboden verschwunden.

Als der Jokus ins Hotelzimmer trat, hüpften Emma und Minna nervös auf dem Schrank hin und her. Der Jokus fragte Mäxchen, der friedlich in seiner Streichholzschachtel lag: „Was ist denn mit den beiden Tauben los? Hast du eine Ahnung?“