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„Auauau!“ stöhnte er. „Ohohoh!“ jaulte er. „Huhuhu!“ heulte er und krümmte sich in seiner Streichholzschachtel wie ein Wurm. „Einen Arzt!“ schrie er. „Sofort! Auauau! Schnell, schnell!“

„Wo soll ich denn ’nen Doktor hernehmen?“ fragte Otto nervös.

„Holen!“ brüllte der Junge. „Einen holen! Sofort!“

„Du bist wohl total übergeschnappt?“ rief Otto. „Die ganze Stadt sucht dich, und da soll ich ’nen Doktor ins Haus schleppen, damit er uns verhaften läßt?“

„Auauau!“ jammerte Mäxchen und warf sich hin und her. „Hilfe, ich sterbe!“

„Untersteh dich!“ schrie Otto. „Das fehlte gerade noch! Mach uns keine Scherereien! Hier wird nicht gestorben! Deij Lopez läßt uns den Kragen umdrehen, wenn wir ohne dich ankommen!“ Der Glatzkopf schwitzte Blut und Wasser. „Wo tut’s dir denn weh?“

Mäxchen hielt sich den Bauch. „Hier!“ wimmerte er. „Ohohoh! Es sind, aua, Krämpfe! Hab ich manchmal, huhu-hu! Schnell den Arzt! Oder, ooooh, wenigstens Baldriantropfen!“

Er heulte wie acht Hyänen bei Nacht.

„Baldriantropfen?“ ächzte Otto und wischte sich mit dem Taschentuch übers Gesicht. „Wo soll ich denn Baldriantropfen hernehmen?“

„Apotheke!“ brüllte Mäxchen. „Rasch, rasch! Auauau!“

„Ich kann doch jetzt nich aus ’m Zimmer!“ schrie Otto. „Trink ’n Schnaps! Is auch Medizin!“ Er hob die Flasche hoch. Sie war leer. „Verflucht noch eins!“

„Apotheke!“ stöhnte Mäxchen. „Sonst ...“ Er sank jammernd in sich zusammen, japste nach Luft und lag still wie ein Bauklötzchen.

Otto stierte erschrocken in die Streichholzschachtel. Er war völlig von den Socken. „Bist du ohnmächtig?“

„Noch nicht ganz“, flüsterte Mäxchen. Er klapperte mit den Augendeckeln und auch ein bißchen mit den Zähnen.

„Ich schließ die Zimmertür zu, renn in ’ne Apotheke und bin gleich wieder da! Kapiert?“

„Ja.“

Otto setzte den Hut auf, rannte aus dem Zimmer, drehte den Schlüssel zweimal im Schloß um, steckte den Schlüssel in die Hosentasche, stolperte durch den Korridor, riß die Wohnungstür auf, schlug sie hinter sich zu, schloß sie ab, steckte auch diesen zweiten Schlüssel in die Hosentasche und polterte treppab.

Aus dem Haus. Durch den Vorgarten und durchs eiserne Gartentor. Er suchte eine Apotheke. Oder wenigstens eine Drogerie.

„Baldriantropfen für den Zwerg“, ächzte er. „Und ’ne Pulle Schnaps für den armen Otto.“

Das Zimmer war abgeschlossen. Bis Otto wiederkäme, konnte keiner herein, und niemand konnte hinaus. Auch Mäx-chen nicht. Doch das war ja auch nicht mehr nötig.

Nanu! Warum war das denn nicht mehr nötig? Wißt ihr, warum? Sicher habt ihr es schon erraten. Nein? Na, hört mal! Es war ganz einfach deshalb nicht mehr nötig, weil Mäxchen gar nicht mehr im Zimmer war. Er hatte es mit Otto gemeinsam verlassen! Aber wie? Natürlich auf Ottos Rücken! Das war ja der Plan gewesen, den er sich zurechtgelegt hatte!

Daß Otto einen Arzt holen werde, hatte der Kleine Mann niemals geglaubt. Keine Sekunde lang. Doch es gehörte zum Plan. Der Kahlkopf würde tausendmal lieber in eine Apotheke rennen, hatte Mäxchen vermutet. Und genauso war es gekommen.

Otto hatte, als er den Hut vom Haken nahm, der Streichholzschachtel den Rücken gedreht - und schon war Mäxchen, mit einem lautlosen Hechtsprung, auf Ottos Jackett gelandet und daran hochgeklettert. Für einen berühmten Artisten war das ein Kinderspiel.

Und während Otto die Zimmertür und die Wohnungstür abgeschlossen hatte und die Treppe hinunter und aus dem Haus und durch den Vorgarten gelaufen war, immer hatte Mäxchen auf Ottos Schulter gehockt.

Am Gartentor war er dann zu einem der eisernen Gitterstäbe hinübergesprungen. Und auch das hatte geklappt. Gelernt ist gelernt.

Die Stirn tat ein bißchen weh. Gußeisen ist nicht aus Gummi. Wahrscheinlich würde es eine Schramme oder eine Beule geben oder auch beides. Und wennschon!

Mäxchen saß jetzt auf einem der zwei hohen Steinsockel, die das Gartentor einrahmten und von je einer Kugel aus Sandstein gekrönt wurden. Er saß dort oben und atmete tief. Es duftete nach Jasmin. Und es roch nach Freiheit!

Mäxchen war selig. Aber für Jasmin und Seligkeit war jetzt nicht die rechte Zeit. Er mußte hier fort. Er mußte weiter. Otto würde nicht lange fortbleiben! In weniger als einer Stunde kam Bernhard aus dem ,Krummen Würfel‘ zurück!

Jede Minute war kostbarer als in ruhigeren Zeiten ein ganzes Jahr.

Die Straße war leer, als gäbe es keine Menschen auf der Welt. Die Häuser auf der anderen Seite lagen still und wie ausgestorben.

Mäxchen drehte sich um und blickte auf die Haustür, durch die kurz zuvor Otto mit ihm herausgestolpert war. Neben der Tür hing ein blaues Schild mit einer weißen Hausnummer. Und unter der Nummer stand, klein und weiß, der Name der Straße.

„Kickelhahnstraße 12“, murmelte Mäxchen. „Kickelhahn-straße 12.“ Als er es zum dritten Mal vor sich hinsagte, öffnete sich im Haus gegenüber, im Erdgeschoß, ein Fenster. Dann lümmelte sich ein Junge aufs Fensterbrett, holte aus einer braunen Tüte Kirschen heraus, steckte eine Kirsche nach der anderen in den Mund und spuckte die Kirschkerne auf die Straße. Er zielte nach einem kleinen grünen Kinderball, der dort herumlag, und machte seine Sache gar nicht schlecht.

DAS ZWANZIGSTE KAPITEL

Der Kirschenspucker ärgert sich und heißt Jakob / Mäxchen telefoniert und wartet auf die Zukunft / Die Wagen 1 und 2 und 3 / Der kahle Otto fährt im Auto / Mäxchen fährt im Auto / Jakob fährt im Auto / Die stille Straße liegt wieder still.

„Hallo!“ rief Mäxchen.

Aber der Junge am Fenster ließ sich nicht stören, sondern fuhr in seinen Zielübungen fort. Es war gar nicht so einfach, den grünen Ball mit einem Kirschkern zu treffen. Matrosen hätten es vielleicht geschafft. (Die Kerle sollen ja, wie jedes Kind weiß, wahre Meisterspucker sein. Als Steuermann und Kapitän lassen sie etwas nach. Wahrscheinlich ist es eine Altersfrage.)

„Hallo!“ rief Mäxchen noch lauter.

Der Junge blickte über die Straße, spuckte dann aber, weil er niemanden sah, sorgfältig weiter.

Mäxchen war unruhig. Die Zeit verging. Was konnte er tun? Wie konnte er den Jungen in Trab bringen? Glücklicherweise hatte er einen erfolgversprechenden Einfall. Ich werde ihn so lange beschimpfen, dachte er, bis ihn die kalte Wut packt.

Er rief also wieder „Halloooh!“ und dann, weil der Junge nicht reagierte, sondern die nächste Kirsche in den Mund steckte: „Bist du denn taub, du alter Hornochse?“

Der Junge zuckte zusammen, verschluckte hierbei den Kirschkern und starrte grimmig in Mäxchens Richtung. Welcher Elende gehörte zu dieser unverschämten Stimme?

„Mach kein so dämliches Gesicht!“ brüllte Mäxchen. „Sonst tauschen dich deine Eltern beim nächsten Ausverkauf um!“

Da schwang der Junge drüben die Beine übers Fensterbrett. „Nun wird mir’s zu bunt!“ stieß er hervor. „Was zuviel ist, ist zuviel!“ Er sprang aufs Pflaster, kam über die Straße gesaust, blieb vor dem Gartentor stehen, ballte empört die Fäuste und sah weit und breit keine Menschenseele. „Zeig dich, du Feigling!“ rief er außer sich. „Tritt aus dem Gebüsch, du Abschaum! Ich werde dich zwischen meinen Handflächen zerreiben!“

Darüber mußte Mäxchen laut lachen.

Der Junge hob den Kopf, entdeckte Mäxchen, der oben auf dem Sockel an der Sandsteinkugel lehnte, und sperrte entgeistert den Mund auf. Er wollte etwas sagen, aber es hatte ihm die Sprache verschlagen. Keinen Ton brachte er heraus.