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„Weißt du, wer ich bin?“ fragte Mäxchen.

Der Junge nickte eifrig.

„Willst du mir helfen?“

Der Junge nickte noch viel eifriger. Seine Augen leuchteten.

„Ich mußte dich so ärgern“, erklärte Mäxchen, „sonst wärst du nicht herübergekommen. ’tschuldigung.“

Der Junge nickte schon wieder. Oder noch immer. Dann brachte er endlich den ersten Ton heraus. „Nicht der Rede wert, Kleiner Mann“, sagte er. „Ist schon vergessen. Ich heiße Jakob.“

„Ich heiße Mäxchen. Habt ihr Telefon?“

Jakob nickte.

„Halt deine Hand auf!“ sagte Mäxchen. „Aber zerreib mich nicht zwischen den Handflächen!“

Jakob wurde puterrot und hielt die Hand so hoch, wie er konnte. Mäxchen sprang vom Sockel herunter. Mitten in die geöffnete Hand.

Jakob rannte über die Straße, setzte den Kleinen Mann aufs Fensterbrett, kletterte an der Mauer hoch und schwang sich ins Zimmer. Dann ergriff er Mäxchen wieder und lief zum Schreibtisch. Dort stand das Telefon.

„Wen willst du anrufen?“ fragte Jakob.

„Die Kriminalpolizei“, sagte Mäxchen. „Denn wenn ich den Jokus im Hotel anrufe - aber den Jokus kennst du nicht.“ „Erlaube mal!“ meinte Jakob. „Natürlich kenne ich den Professor Jokus von Pokus! Ich kenn euch alle beide. Aus dem Zirkus und vom Fernsehen und aus der Zeitung und überhaupt!“

„Denn wenn ich den Jokus anrufe, kommt er sofort und dreht dem kahlen Otto den Hals um. Und anschließend erst recht dem Bernhard. Das würde nur stören.“

„Schon kapiert“, sagte Jakob. „Otto und Bernhard, die Kidnapper.“ Er blickte auf einen Zeitungsausschnitt, der in der Schreibunterlage steckte. „Das ist der Aufruf von der Polizei. Mit der Telefonnummer und so weiter.“

„Tüchtig, tüchtig, Freund Jakob“, meinte Mäxchen und rieb sich endlich wieder einmal vor Wonne die Hände. „Wenn du wen an der Strippe hast, legst du den Hörer auf den Schreibtisch, ja? Dann red ich selber.“

Jakob wählte die Telefonnummer und sagte nach einer Weile: „Verbinden Sie mich bitte mit Herrn Kriminalkommissar Steinbeiß! Der hat keine Zeit? Das ist aber schade. Na, dann richten Sie ihm einen schönen Gruß vom Kleinen Mann aus!“ Jakob grinste Mäxchen an und murmelte: „Das saß! Den Wachtmeister hat fast der Schlag getroffen!“

Drei Sekunden später dröhnte aus dem Telefon eine Stimme, als ob der Kommissar mitten im Zimmer stünde: „Hier Steinbeiß! Waaas ist los?“

Mäxchen kniete sich vor die Sprechmuschel und rief: „Hier spricht der Kleine Mann! Mäxchen Pichelsteiner! Ich bin entwischt! Aus dem Hause Kickelhahnstraße 12! Otto wird gleich wiederkommen! Jetzt bin ich im Haus gegenüber ..

„Hausnummer 17“, flüsterte Jakob hastig. „Bei Hurtig. Erdgeschoß links.“

„Hausnummer 17, bei Hurtig, Erdgeschoß links! Haben Sie mich verstanden? Moment, ich muß erst zur Hörmuschel sausen!“

Mäxchen rannte also zu Hörmuschel.

„Wir sind sofort bei dir!“ rief der Kriminalkommissar. „Sei inzwischen vorsichtig! Sonst noch was?“

Mäxchen sprang an die Sprechmuschel zurück und steckte vor lauter Aufregung beinahe den Kopf hinein. „Kommen Sie bitte nicht mit Sirene und Blaulicht. Otto ist noch in der Apotheke und riecht sonst Lunte! Und die hauptsächlichste Hauptsache, Herr Krimissar, nein, Herr Missionar, oje, bin ich durchgedreht. Sagen Sie dem Jokus nichts! Noch nicht, noch nicht! Bitte bitte und dreimal bitte! Er regt sich so leicht auf! Geht’s ihm denn gut? Und der Rosa Marzipan auch? Und .“

Jakob hielt das Ohr fest an die Hörmuschel gepreßt und winkte ab. „Schweigen im Walde. Wahrscheinlich springt der wackre Beamte soeben aus dem dritten Stock direkt ins Auto. Mit zwanzig Pistolen im Halfter.“

„Eilig währt am längsten“, meinte Mäxchen. „Trag mich bitte ans Fenster!“

Jakob legte den Telefonhörer auf die Gabel. „Es wird mir eine besondre Ehre sein, Herr von Pichelsteiner.“

Sie saßen am offnen Fenster und warteten ungeduldig auf die Zukunft. Wer würde zuerst durchs Ziel gehen? Kriminalkommissar Steinbeiß mit seinen Leuten? Oder der kahle Otto mit den Baldriantropfen?

Jakob spuckte wieder Kirschkerne nach dem grünen Ball und traf noch immer nicht. „Zielspucken ist schwer“, stellte er fest. „Fast so schwer wie das Leben.“

„Wieso ist das Leben noch schwerer?“ fragte Mäxchen. „Mein lieber Mann!“ seufzte der andre Junge. „Es sieht trübe aus. Vater fort. Mutter fort. Sohn nährt sich von Obst. Ist das etwa nichts?“

„Wann haben sie dich denn verlassen?“ fragte Mäxchen erschrocken.

„Heute früh.“

„Für immer?“

„Nicht ganz. Morgen abend kommen sie zurück.“

Da mußten beide lachen.

„Tante Anna“, berichtete Jakob, „ist vom Storch ins Bein gebissen worden. Ich konnte das meinen Eltern nicht ausreden. Sie wollten sich unbedingt den Storch ansehen oder den Biß ins Bein oder das Baby.“

„Und sie haben dir nur eine Tüte Kirschen hiergelassen?“ „Bewahre!“ sagte Jakob gekränkt. „Ich war reich wie drei Sparbüchsen. Sollte im ,Spaten‘ essen. Heute mittag und heute abend und morgen mittag. Aber ...“

„Aber was?“

„Wie ich in die Schule will, steht Fritz Griebitz davor und weint. Und hält seinen kleinen Dackel im Arm, der ihn immer hinbringt und abholt. Ein Auto hatte ihn totgefahren. Puffi hieß er.“

„Oh“, murmelte Mäxchen.

„Da haben wir Geld gesammelt. Fürs Begräbnis und den nächsten Puffi. Und wie wir ins Klassenzimmer kommen, guckt der Lehrer auf die Uhr. Mann, war der sauer! Und der verheulte Fritz . Und der tote Dackel beim Pförtner . Und nur noch achtzig Pfennige bis morgen abend . Und dauernd Kirschen . Ist nun das Leben schwer oder nicht?“

Mäxchen nickte verständnisvoll. Er knabberte und nagte an einer Kirsche, die er mit beiden Händen festhielt. Es sah aus, als wolle er einen Riesenkürbis stemmen, der auf der Weltausstellung die Goldene Medaille erhalten hat. Dabei sagte er: „Noch ein Weilchen, Jakob, und wir essen miteinander Ananastörtchen.“

„Schon wieder Obst!“ meinte Jakob niedergeschlagen.

Kriminalkommissar Steinbeiß und Inspektor Müller Zwo kamen zu Fuß schnell die Kickelhahnstraße entlang. Drei Autos mit den übrigen Beamten warteten gleich um die Ecke in der Dreisterngasse.

„Drüben ist die Hausnummer 12“, murmelte der Inspektor. „Dort war er eingesperrt.“

„Sehr stille Straße“, sagte der Kommissar. Dann griff er sich an seine Backe. „Wer schießt denn hier mit Kirschkernen?“

„Entschuldigen Sie“, rief der Junge, „ich wollte den grünen Ball treffen!“

„Seit wann seh ich wie ein grüner Ball aus?“ schimpfte der Kommissar.

„Nummer 17, Erdgeschoß links“, murmelte Inspektor Müller Zwo. „Wir sind am Ziel.“

Der Kommissar trat zu dem offenen Fenster. „Heißt du zufällig Hurtig?“

„Hurtig heiße ich schon“, gab Jakob zur Antwort. „Aber von Zufall kann gar keine Rede sein.“

Inspektor Müller Zwo grinste.

„Kriminalpolizei!“ knurrte der Kommissar. „Wir wollen den Kleinen Mann abholen.“

Jakob meinte: „Das wollen manche. Darf ich mal Ihren Ausweis besichtigen?“

Zunächst juckte es Herrn Steinbeiß gewaltig in den Fingern. Doch dann rückte er mit seinem Ausweis heraus und zeigte ihn dem vorlauten Bengel.

Jakob studierte das Papier gründlich. „Es sind die Richtigen, Mäxchen“, sagte er.

Jetzt erst steckte Mäxchen den Kopf über die Brüstung. „Willkommen, meine Herren! Wie geht’s ihm?“

„Wem?“

„Dem Jokus!“

„Er bildet sich zum Hungerkünstler aus“, sagte der Kommissar trocken.

Mäxchens Gesicht verdunkelte sich. Aber nur eine Sekunde

lang. Dann strahlte er wieder und rieb sich die Hände. „Heute abend ißt er mindestens vier Schnitzel! Ich freue mich schon aufs Zusehen!“